Als der "Lord von Barmbeck" in Folterketten lag
Um 1920 ist Julius Adolf Petersen Hamburgs berüchtigster Einbrecher-König, bekannt als "Lord von Barmbeck". Am 29. Juni 1921 wird er verhaftet. In vier Teilen erzählt der NDR seine Geschichte. Teil 3: Die lange Haft und das Geständnis.
Im Sommer 1921 hat die Polizei den "Lord von Barmbeck" nach jahrelanger Suche gefasst - als er versuchte, sich in einem Kleiderschrank der Verhaftung zu entziehen. Doch im Gefängnis denkt Petersen nicht daran, sich zu ergeben. Immer wieder gelingt es ihm, Kassiber, also heimliche Nachrichten aus dem Gefängnis zu schmuggeln. Viele von ihnen sind in Urinschrift verfasst, damit die Wärter die Botschaften nicht entdecken. Aus seiner Zelle heraus organisiert er sich so ein Alibi für den Einbruch in ein Wäschegeschäft, das ihm zum Verhängnis geworden ist: Er sei zur Tatzeit auf der Verlobungsfeier seiner Schwester gewesen. Diese Feier im Hause seiner Mutter gab es zwar nicht, der "Lord" lässt aber sogar einen Verlobungsring mit dem passenden Datum anfertigen. Mit seinen Verwandten spricht er Details ab. Doch am Ende fliegt die Sache auf.
Der "Lord" liegt fünf Monate lang in Folterketten
Die Ermittler wollen von Petersen ein Geständnis erzwingen. "Während meiner fast zweijährigen Untersuchungshaft kämpfte ich die ersten zehn Monate mit dem Untersuchungsrichter hart auf hart", schreibt Petersen später. "Selbst die Folterketten, die mir allabendlich fünf Monate lang angelegt wurden, bis mir die Handgelenke anschwollen und entzwei gingen, konnten mich seelisch nicht derart deprimieren, daß ich die gewünschten Geständnisse ablegte. Wie der Untersuchungsrichter sah, daß er mit seinen 15 Pfund Folterketten nichts erreicht, änderte er seine Taktik. Er deckte mir alle Karten auf über Geständnisse von Mitschuldigen auf, die mich als Mittätter belasteten. Auch diese Kartenaufdeckung bewog mich nicht zum Geständnis."
Geständnis von Frida Goedje: Er brachte Unglück über mich
Seine Geliebte Frida Goedje hat ein Geständnis abgelegt. Monatelange Einzelhaft hatten sie zermürbt - und so packt sie im November 1921 aus. "Ich hätte es auch schon eher gesagt, wenn ich nicht zu sehr im Banne von Petersen gestanden hätte und auch seine Rache hätte fürchten müssen, daß er mir etwas angetan hätte, falls ich ausgesagt hätte", so Frida Goedje damals. "Heute weiß ich, daß ich für Petersen nur Mittel zum Zweck war." Sie sagt dem Untersuchungsrichter, sie wolle sich endgültig von Petersen lossagen. "Zu viel Unglück brachte er über mich, und über andere."
Was aber wusste Frida Goedje von den Verbrechen? Die Staatsanwaltschaft ist überzeugt, das sie "über sein ganzes Leben und seine Tätigkeiten im Bilde war". Petersen hingegen hilft seiner Geliebten mit der Aussage: Er habe stets verborgen, dass er Diebstähle begehe. Frida Goedje selbst schreibt: "Ich hatte wohl gewusst, daß Petersen keinen guten Lebensruf hatte." Aber von den ganzen Verbrechen habe sie erst nach ihrer Verhaftung erfahren. Dreizehn Monate sitzt Goedje in Untersuchungshaft, vor Gericht wird sie freigesprochen.
Warum legte der "Lord" sein Geständnis ab?
Auch Petersen gibt schließlich seinen Widerstand auf: Am 20. April 1922 legt der "Lord von Barmbeck" ein umfassendes Geständnis ab. Er schildert darin 49 Verbrechen, die er in den zurückliegenden Jahren in Hamburg begangen hatte. Er nennt alle Komplizen, die bei einem Einbruch dabei waren - und schreibt nieder, wie jeder Einbruch im Einzelnen über die Bühne ging.
Warum Petersen sich letztlich zu dem Geständnis entschied, ist unklar. In seinen Memorien schweigt er sich darüber aus. Wenige Wochen zuvor hatte er jedoch an seinen jüngeren Bruder Arnold, der ebenfalls in Haft saß, geschrieben: "Würden sie die Mutter laufen lassen, wäre ich bereit alles zuzugeben, ob ichs gemacht habe oder nicht." Denn auch die Mutter sitzt seit Monaten im Gefängnis, weil sie in ihrer Wohnung Diebesgut ihres Sohnes verwahrt haben soll. Aber Petersen ist offenbar unsicher, ob sich der Untersuchungsrichter an eine solche Absprache halten würden. Und so bittet er seinen Bruder: "Bietet sich in nächster Zeit mehr Überzeugung, dass die Mutter freikommt, dann lasse uns beide ein Geständnis machen und niemanden schonen. Dann wollen wir beide unser Schicksal tragen wie Männer."
Möglicherweise sieht Petersen aber auch ein, dass seine Lage durch die Geständnisse seiner Komplizen inzwischen aussichtslos ist. Und so macht er reinen Tisch. "Geradezu phänomenal wirkte mein Geständnis auf alle Richter", hält Petsersen in seinen Memoiren fest. "Die Gefängnistore öffneten sich für mich, ich konnte mich im Sommer 1922 täglich auf freiem Fuß bewegen." Zumindest bis zum Herbst 1922, als der Prozess beginnt.
"Überall war ich Gegenstand der Sensation"
Der Prozess gegen den "Lord von Barmbeck" ist in Hamburg eine Sensation. Die Zeitungen breiten genüsslich die Einzelheiten aus. Petersen schreibt dazu: "Mein Geständnis hatte in der Öffentlichkeit großes Aufsehen gemacht. Überall war ich Gegenstand der Neugier und der Sensation, die durch sensationelle Zeitungsartikel nicht unbedeutend aufgebauscht wurde." Jedes Verbrechen wird einzeln verhandelt - für den Postraub erhält der "Lord von Barmbeck" beispielsweise sechs Jahre Zuchthaus. Insgesamt summieren sich die Einzelstrafen auf mehr als 50 Jahre. 1924 werden die Einzelstrafen aber zu einer Gesamtstrafe von 15 Jahren Zuchthaus zusammengezogen.
"Noch zwei Jahre nach meiner Verurteilung kamen Besucher in die Strafanstalt, die mich sehen wollten", heißt es in den Memoiren des "Lord von Barmbeck", die er um 1927 im Zuchthaus Fuhlsbüttel verfasst. "Selbst der Senat ließ mich einmal kommen. Heute, nachdem ich sieben Jahre verbüßt habe, ist die Erinnerung an meine Person abgeflaut. Die Neugier ist befriedigt."
Im vierten und letzten Teil der Serie über das Leben des "Lords von Barmbeck" erfahren Sie, wie Julius Adolf Petersen seine beiden letzten Lebensjahre verbringt und wie NDR.de seine bis dahin unbekannte Grabstelle aufgespürt hat.