Auf den Spuren der Creutzfeld-Jakob-Krankheit
Mit dem Ausbruch der Rinderseuche BSE in den 1990er-Jahren werden die Wissenschaftler Hans Gerhard Creutzfeldt und Alfons Maria Jakob der Öffentlichkeit zum Begriff. Der Hirnforscher Creutzfeldt wurde in Hamburg geboren.
Breslau 1913: Der Nervenarzt Hans Gerhard Creutzfeldt beobachtet an einer Patientin in der Breslauer Universitäts-Nervenklinik mysteriöse Symptome. Sie leidet unter bebenden Gesichtsmuskeln, unkontrollierten Zuckungen der Arme, einer verzerrten Sprache und epileptischen Anfällen. Nach kurzer Krankheit stirbt die junge Frau. Aufgrund seiner Beobachtungen vermutet Creutzfeldt eine Hirnkrankheit. Nach dem Tod der Patientin untersucht er ihr Gehirn und stellt "eine eigenartige, herdförmige Erkrankung des Zentralnervensystems" fest. Das Gehirn hat sich schwammartig aufgelöst. Der Forscher vermutet, dass er eine neue Krankheit entdeckt hat. Als Creutzfeldt seine Beobachtungen aufschreiben und veröffentlichen möchte, beginnt jedoch der Erste Weltkrieg. Der Mediziner wird zum Kriegsdienst eingezogen.
Alfons Maria Jakob beobachtet die gleichen Symptome
Erst sieben Jahre später publiziert er seine Erkenntnisse. Dabei kommt er dem Nervenarzt Alfons Maria Jakob einige Monate zuvor, der die gleichen Symptome bei mehreren Patienten beobachtet hatte. Alle sterben an der geheimnisvollen Krankheit. Sie wird 1922 nach ihren beiden Entdeckern Creutzfeldt-Jakob-Krankheit genannt. Die Ursache der Krankheit bleibt beiden Ärzten zeitlebens ein Rätsel. Heute wissen die Forscher, dass Eiweiße - sogenannte Prionen - eine zentrale Rolle spielen. Sie blockieren Nervenzellen, die schließlich absterben. Die Erkrankung führt in kurzer Zeit zum Tod und wird vermutlich vererbt oder aufgrund zufälliger Mutationen im Gehirn ausgelöst.
Rinderseuche BSE taucht in den 90er-Jahren auf
In der 1990er-Jahren bekommt die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit eine neue Bedeutung: Plötzlich taucht die Rinderseuche BSE auf. Die Symptome weisen deutliche Parallelen zur Creutzfeldt-Jakob-Krankheit auf. Die Experten sprechen im Zusammenhang mit BSE nun von einer neuen Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit, die aber durch den Verzehr von verseuchtem Rindfleisch ausgelöst wird. Auffallend ist, dass die neue Variante bei jüngeren Menschen auftaucht und der Krankheitsverlauf länger ist. Hans Gerhard Creutzfeldt ist plötzlich einer breiten Öffentlichkeit ein Begriff.
Creutzfeldt setzt auf Hirnforschung
Der bedeutende Hirnforscher stammt aus einer Mediziner-Familie aus Hamburg-Harburg. Am 2. Juni 1885 geboren, macht er 1903 sein Abitur und entscheidet sich, wie sein Vater, für ein Medizinstudium. Nach Stationen in Jena und Rostock besteht Creutzfeldt 1908 sein Examen in Kiel. Jetzt zieht es ihn in die Ferne. Am Bernhard-Nocht-Institut bildet er sich zum Schiffsarzt weiter und bereist zwei Jahre Südostasien und die Südsee.
1912 entscheidet Creutzfeldt, sich der Hirnforschung zu widmen. In seiner Arbeit untersucht er psychiatrische Erkrankungen und legt dabei das Hauptaugenmerk auf Veränderungen der Anatomie des Gehirns. Er arbeitet in den folgenden Jahren am St.-Georg-Krankenhaus in Hamburg, im Neurologischen Institut in Frankfurt am Main und an der psychiatrisch-neurologischen Klinik in Breslau. Nach dem Ersten Weltkrieg, den er als Marinesanitätsoffizier erlebt, arbeitet er in München als Assistent an der Deutschen Forschungsanstalt für Psychiatrie. Aber bereits nach einem Jahr zieht es Creutzfeldt wieder in den Norden. In Kiel übernimmt er eine Assistenzstelle an der Universitätsnervenklinik, wo er auch habilitiert. Hier beschreibt er erstmals seine Beobachtungen aus seiner Zeit in Breslau.
1924 geht der Forscher an die Charité nach Berlin. Dort arbeitet er unter dem bekannten Psychiater Karl Bonhoeffer als Assistent und Oberarzt an der Psychiatrischen und Neurologischen Universitätsklinik. 1938 kehrt Creutzfeldt mit seiner Frau Cläre und seinen fünf Kindern wieder an die Kieler Förde zurück, er übernimmt den psychiatrisch-neurologischen Lehrstuhl an der Universität und die Leitung der Kieler Nervenklinik.
Creutzfeldts zwiespältige Rolle im Dritten Reich
Seine Rolle im Zweiten Weltkrieg ist zwiespältig: Er ist Anwärter des Nationalsozialistischen Deutschen Ärztebundes und passives Mitglied der SS. Als ärztlicher Beisitzer am Erbgesundheitsobergericht Berlin entscheidet er mit über Zwangssterilisationen. Aus der Kieler Universitätsklinik werden im Rahmen des Euthanasie-Programms der Nazis Hunderte Patienten in Landeskrankenhäuser verlegt, mindestens 65 werden ermordet. Außerdem wird in mindestens einem Fall aufgrund eines Gutachtens Creutzfeldts ein deutscher Marinesoldat hingerichtet. Zur Rechenschaft gezogen wird er dafür nach Kriegsende nicht.
Auf der anderen Seite sollen Menschen aufgrund seiner Gutachten vor der Hinrichtung bewahrt worden sein. Seine Ehefrau wird 1943 sogar wegen nazifeindlicher Äußerungen in der Öffentlichkeit von einem Sondergericht zu vier Monaten Gefängnis verurteilt.
Creutzfelds zwiespältige Rolle während der NS-Zeit führt im Jahr 2004 zu einer heftigen Diskussion in Kiel. Der Plan, eine Straßenkreuzung nach Creutzfeldt zu benennen, wird von den Stadtvertretern parteiübergreifend und einstimmig abgelehnt.
Erster Nachkriegsrektor in Kiel
Nach dem Zweiten Weltkrieg kämpft Creutzfeldt für den Wiederaufbau der Kieler Universität. Als erster Nachkriegsrektor setzt er sich dafür ein, die 18 nach Kriegsende in ganz Schleswig-Holstein verstreuten provisorischen Standorte der Universität wieder in Kiel zu vereinen. Zudem gelingt es ihm 1945/46, dass vier ehemalige Ausbildungsschiffe der Wehrmacht als Herberge für die Studenten zur Verfügung gestellt werden.
Doch dann gibt es Konflikte mit den britischen Besatzern: Sie werfen Creutzfeldt vor, zu viele als Kriegsverbrecher belastete Dozenten an der Universität anzustellen. Die Militärregierung fordert daraufhin eine Begrenzung bei der Neu-Immatrikulation von ehemaligen Wehrmachtsoffizieren. Creutzfeldt ignoriert diese Forderung und wird daraufhin bereits nach sechs Monaten als Rektor abgesetzt.
Daraufhin konzentriert sich Creutzfeldt auf den Wiederaufbau der Kieler Nervenklinik. Seine Arbeit in der Psychiatrie beschreibt er 1952 in einem Interview mit den "Kieler Nachrichten" folgendermaßen: "Ein gefährlicher Beruf, weil er leicht zu Überheblichkeit führen kann und andererseits zur Skepsis. Die Weisheit liegt in der Mitte, in dem Sich-Bescheiden."
1953 erfolgt seine Emeritierung. Er verbringt seinen Ruhestand in München und arbeitet dort noch einige Jahre als wissenschaftlicher Gast an der Deutschen Forschungsanstalt für Psychiatrie. 1955 wird er von der Universität Kiel zum Ehrensenator ernannt.
Am 30. Dezember 1964 stirbt Creutzfeld im Alter von 80 Jahren in der bayerischen Landeshauptstadt.