Stand: 02.10.2015 14:56 Uhr

Als Hamburg stank und Alsterwasser trank

von Kristina Festring-Hashem Zadeh

"Aale, Aale - frisch aus Willis Wasserleitung"

Nachbildung eines bürgerlichen Badezimmers am Ende des 19. Jahrhunderts im WasserForum © NDR.de Foto: Kristina Festring-Hashem Zadeh
Ende des 19. Jahrhunderts befand sich auf den Dachböden vieler Hamburger Haushalte ein Speicherkasten, der oft nicht nur Elbwasser enthielt.

Nach und nach werden sämtliche Hamburger Haushalte versorgt - zunächst über große Speicherbehälter, die meist auf den Dachböden installiert sind. In ihnen sammelt sich allerdings nicht nur das Wasser der Elbe, sondern bisweilen auch mancher ihrer Bewohner. "Aale, Aale - frisch aus Willis Wasserleitung" wird in dieser Zeit auf dem Fischmarkt gern gerufen.

Ein Spottgedicht auf die Wasserqualität von 1876 nennt 16 verschiedene Tierarten, die "im Hamburger Wasserrohr" vorkommen. Dennoch sind die Hamburger weitgehend glücklich über die günstige und praktische Versorgung mit Trinkwasser.

Spottgedicht auf die Hamburger Wasserqualität (1876)

"Vom Tier im Hamburger Wasserrohr
Da kommen 16 Arten vor:
Ein Neunaug', Stichling und ein Aal,
Drei Würmer leben in dem Strahl,
Drei Muscheln und drei träge Schnecken
Sich mit der muntern Assel necken.
Ein Schwamm, ein Moostier, ein Polyp,
Die dringen lustig durch das Sieb.
An toten Tieren kommen raus:
Der Hund, die Katze und die Maus;
Noch nicht gefunden sind, Malheur,
Der Architekt und Ingenieur!"
(Quelle: WasserForum)

Verzicht auf Filtration hat fatale Folgen

Für die Bevölkerung weitaus fataler als die lebendigen Rohrbewohner sind jedoch die fürs menschliche Auge nicht wahrnehmbaren Mikroorganismen. Beim Bau der Anlage in Rothenburgsort haben die Verantwortlichen aus Kostengründen auf Filter verzichtet. Zudem gehen auch am Ende des 19. Jahrhunderts noch viele davon aus, dass Filtration nur eine verfeinerte Methode zur Beseitigung von Trübungen sei. Die Ausbreitung von Krankheiten hingegen wird üblen Dünsten zugeschrieben.

Diese Fehleinschätzung rächt sich, als 1892 die Cholera ausbricht. In dem heißen Sommer führt die Elbe nur wenig Wasser - ideale Bedingungen für die Vermehrung von Keimen. Und da die Anlage in Rothenburgsort bei Flut verschmutztes Hafenwasser aufnimmt, gelangen die Cholera-Bakterien über die Wasserleitungen in die Haushalte. Fast 17.000 der etwa 640.000 Hamburger erkranken, etwa die Hälfe stirbt. Die Zahl der Cholera-Kranken im benachbarten Altona ist hingegen wesentlich geringer - die Stadt lässt ihr Trinkwasser bereits über Sandfilter reinigen. 1893 rüstet auch Hamburg nach und lässt bereits existierende Pläne für eine Sandfilteranlage auf der Elbinsel Kaltehofe umsetzen.

Nutzung von Elbwasser erst seit 1964 Vergangenheit

Obwohl das Elbwasser nun hygienisch einwandfrei ist, bleibt nach der Seuche bei vielen ein Unbehagen dem Flusswasser gegenüber. Die Verantwortlichen treiben die Suche nach Grundwasser voran. Bereits 1905 nimmt das erste Grundwasserwerk in Billbrook den Betrieb auf, weitere folgen. Allerdings werden noch über Jahrzehnte Grund- und Elbwasser gemischt. Erst seit 1964 fließt ausschließlich Grundwasser durch die Trinkwasserleitungen der Hansestadt. Daran, wie schwer die Wasserbeschaffung früher einmal gewesen ist, erinnert heute noch auf Postkarten und als Skulptur: Hans Hummel.

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Dieses Thema im Programm:

Hamburg Journal 18:00 Uhr | 22.03.2012 | 18:00 Uhr

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