Als Hamburg stank und Alsterwasser trank
So also fühlt es sich an, Wasserträger zu sein: Hart drückt das Joch auf den Nacken, links und rechts baumeln an Eisenketten zwei hölzerne Zehn-Liter-Eimer. Der Rücken krümmt sich. Jetzt bloß nicht stolpern! "Und nun stellen Sie sich vor, Sie müssen die Eimer bis zum Rand gefüllt ins oberste Stockwerk eines Hauses schleppen", sagt Katrin Hoyer vom Informationszentrum WasserForum in Hamburg-Rothenburgsort. In der Tat: Ein Knochenjob.
Vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert schinden sich vor allem Frauen für einen kargen Lohn, weil Wasserträger zu dieser Zeit einer der wenigen Berufe ist, die sie ausüben dürfen. Zur Hamburger Kultfigur allerdings wird ein männlicher Vertreter des Gewerbes: Der schrullige "Hans Hummel". Im WasserForum des städtischen Unternehmens Hamburg Wasser können sich Besucher nicht nur an den Tagen der Industriekultur am Wasser probeweise das "Dracht" genannte Joch der Wasserträger auflegen.
Holzleitungen zu Quellen außerhalb der Stadt
Jahrhunderte lang ist sauberes Wasser in der Hansestadt rar. Die meisten Einwohner schöpfen ihren Bedarf zum Baden, Waschen und Kochen aus Alster und Elbe. Das brackig schmeckenden Flusswasser ist allerdings nicht das Volksgetränk - sondern Bier. Vereinzelt gibt es Brunnen, an denen sich die Menschen Wasser kaufen können. Wer Geld hat, lässt es sich nach Hause bringen. Besonders betuchte Hamburger schließen sich in dieser Zeit zu sogenannten Brunneninteressengemeinschaften zusammen. In ihrem Auftrag legen Arbeiter hölzerne Leitungen zu natürlichen Quellen außerhalb der Stadt.
Blei und Arsen im Alsterwasser
Ab Mitte des 16. Jahrhunderts entstehen an der Binnenalster die ersten Wasserwerke, "Wasserkünste" genannt. Mit Hilfe von Windrädern wird das Wasser in Behälter im Dachgeschoss der Gebäude gepumpt und von dort aus über Leitungen in die Nachbarhäuser verteilt. So fortschrittlich die Technik, so schlecht ist die Qualität des gewonnenen Wassers: Zu dieser Zeit ist es nicht nur üblich, Abfall in die Alster zu kippen. Auch Handwerksbetriebe wie die Färber leiten ihre mit Blei, Arsen und anderen Giften belasteten Abwasser in den Fluss.
"Auf der einen Seite geschietert, auf der anderen gepumpt"
Zudem fungieren in der Kaufmannsstadt Alster und Elbe als Orte fürs alltägliche menschliche Geschäft. Tonnenweise landen Fäkalien und Urin in den Flüssen. Zu vielen Häusern an den Fleeten gehört eine sogenannte Laube, eine Art Plumpsklo-Loggia. Es gibt sogar Bilder von "Wasserkünsten" mit einer Laube im gleichen Haus. "Auf der einen Seite wurde in die Alster geschietert, auf der anderen das Wasser hochgepumpt", fasst es Referentin Hoyer zusammen. Überhaupt hat Hamburg zu dieser Zeit ein zunehmendes Müll- und Schietproblem, in den Gassen und auf den Plätzen verbreiten Unrat und Fäkalien teils unerträglichen Gestank.
Erstes Sielnetz auf europäischem Festland
Im Mai 1842 zerstört der "Große Brand fast ein Drittel der eng bebauten Stadt. Der Wiederaufbau wird für Hamburg zur Gelegenheit, die Wasserver- und Abwasserentsorgung erstmals zentral zu regeln. Zu verdanken ist dies der Weitsicht der Stadtväter und einem findigen britischer Ingenieur: William Lindley. Der gebürtige Londoner lebt bereits seit Langem in der Hansestadt und hat sich dort bereits beim Bau der Bergedorfer Eisenbahn als kluger Kopf bewährt. Nun entwickelt er für Hamburg das erste Sielnetz der Neuzeit auf dem europäischen Festland. Innerhalb weniger Jahre entstehen unterirdische Abwasserkanäle. Sie sind aus Ziegelsteinen gemauert und teilweise so groß, dass Boote hindurch fahren können.
"Stadtwasserkunst" in Rothenburgsort
Zudem überzeugt Lindley die Verantwortlichen, die Hamburger künftig mit Elb- statt mit dem stärker verdreckten Alsterwasser zu versorgen. "Damit das Wasser möglichst frisch war, entstand die neue Stadtwasserkunst einige Kilometer vom Zentrum entfernt in Rothenburgsort", erklärt Katrin Hoyer. Nach Lindleys Plänen werden vier große Becken gebaut, in die das Wasser zunächst geleitet wird, damit sich der Elbschlamm absetzen kann. Im Anschluss wird das Wasser mit Hilfe zweier Pumpen über gusseiserne Leitungen in die Stadt transportiert. Ein 67 Meter hoher Turm aus rotem Klinker beherbergt die Technik für den Druckausgleich. Bis heute prägt er das Erscheinungsbild von Rothenburgsort.
Lustfahrten zur Wasserversorgung
Nicht nur die meisten Hamburger sind von Lindleys Wunderwerken der Industriekultur hingerissen. Ein Reiseführer von 1861 lobt die Anlage als eine der "größten Sehenswürdigkeiten der Stadt", die "an Kühnheit des Entwurfs wie an Gediegenheit der Ausführung unübertroffen" sei. Ausflügler kommen in Scharen nach Rothenburgsort, erklimmen den Druckturm über eine Wendeltreppe und picknicken im darunter angelegten Ziergarten. Einige paddeln sogar mit Booten über die Absetzbecken.
- Teil 1: Holzleitungen zu Quellen außerhalb der Stadt
- Teil 2: "Aale, Aale - frisch aus Willis Wasserleitung"