Protest am Plattenteller
Riskante Leidenschaft
Mit der Entscheidung gegen seine staatstreuen Eltern war der Musikfan der Staatssicherheit nun endgültig ein Dorn im Auge. Er stand praktisch ständig unter Beobachtung, wie er nach der Wende seinen Stasi-Akten - die insgesamt vier dicke Ordner umfassten - entnehmen konnte. Doch Kutz versuchte, das Beste daraus zu machen. Tagsüber absolvierte er eine Lehre als Elektronik-Facharbeiter, nach Feierabend kümmerte er sich um seine Musik. Er war Mitglied eines Tauschringes, der über Mundpropaganda funktionierte. Der junge Mann wusste immer, wer welche Platten besitzt und wer welche Platten sucht. "Der Ring deckte eigentlich ganz Mecklenburg ab. Bevor ich in Wismar anfing zu studieren, wusste ich, welche Leute dort welche Zappa-Platten hatten, die mir noch fehlten", erzählt Kutz lachend.
Auch während seines Informationstechnik-Studiums war die Musik Kutz' wichtigstes Hobby. Er ließ sich Schallplatten aus dem Westen besorgen, tauschte sie gegen andere Tonträger, überspielte sie und gab sie dann weiter - bis auf die Zappa-Platten, die behielt er. Beim Besorgen der Musik nutzte Kutz neben den Übergaben auf Rastplätzen auch andere Tricks. Er bat Reisende aus dem Westen, für ihn Schallplatten in Schließfächern des Flughafens Berlin-Schönefeld zu deponieren. Oder er besorgte sich die Tonträger in Polen. Dazu hatte er die Seitenverkleidung seines Wolga so präpariert, dass er jeweils bis zu 20 Platten auf der linken und rechten Seite des Fahrzeuges unterbringen und über die Grenze bringen konnte.
Respekt vor der Flucht
Die Musik war aber nicht Kutz' einziger Antrieb, sich für ihre Verbreitung zu engagieren. "Mir hat es Spaß gemacht, das System, das mich unterdrückt hat, auszutricksen", erklärt der 54-Jährige. "Man musste in der DDR erfinderisch sein, um nicht am System kaputtzugehen." Während sein Freund Wolf B. Anfang der 80er-Jahre über die Ostsee in den Westen floh, blieb Kutz. Auch er hatte an Flucht gedacht, als er sich ein Faltboot kaufte. Doch als er das Gefährt auf einem See testete und kenterte, verwarf er den Plan. Er hatte zu viel Respekt - nicht nur vor der stundenlangen Überfahrt, sondern auch vor der Ungewissheit, die ihn im Westen empfangen hätte. "Ich dachte mir, irgendwann wird das hier schon zu Ende gehen, man hat gemerkt, dass es immer schlechter wurde", erzählt Kutz und fügt hinzu: "Dass es so schnell geht, hätt ich allerdings nicht gedacht."
Doch dann öffneten sich die Grenzen. Ein paar Monate später veranstaltete Kutz mit Freunden eine große Zappa-Party bei Bad Doberan. Ein Traktoranhänger mit heruntergeklappten Seitenwänden diente einer Cover-Band als Bühne. Die Party wuchs mit der Zeit zum Festival "Zappanale" an, das 2009 zum 20. Mal stattfand.
Nach der Wende versöhnte sich Kutz mit seinen Eltern, und er erhielt Einsicht in seine ausführlichen Stasi-Akten. "Insgesamt waren im Laufe meines Lebens 24 inoffizielle Mitarbeiter auf mich angesetzt. Ich war praktisch schon vor der Wende ein guter Arbeitgeber", Kutz lacht. Nach der Wiedervereinigung machte er sich erst in Bad Doberan, dann in Lübeck selbständig - und beschäftigt nun in beiden Städten tatsächlich einige Mitarbeiter.
1993 starb Frank Zappa, für Kutz ein großer Verlust. In seinem Haus hat der Bad Doberaner ein eigenes "Zappa-Zimmer" eingerichtet, 20 Quadratmeter groß und bis unter die Decke gefüllt mit 3.500 Zappa-Platten und allen erdenklichen Fan-Artikeln. Bis heute besorgt Wolfhard Kutz sich seine Platten aus aller Welt - nur muss er sich dazu nicht mehr auf Rastplatz-Toiletten rumtreiben.
- Teil 1: Protest am Plattenteller
- Teil 2: Riskante Leidenschaft