Kerzen als Waffe gegen die Stasi
Protest-Aktionen in Röbel
Auch andernorts im Bezirk Neubrandenburg, in Röbel an der Müritz, äußern die Bürger ihren Unmut. Sie hängen Plakate auf, auf denen christliche Sprüche stehen, die ihre Wut ausdrücken. Gottfried Timm, damals Pastor, später Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern, plakatiert im Schaukasten seiner Kirche den Spruch "Bleibet im Lande und wehret euch täglich" - eine Abwandlung des Bibelspruchs "Bleibet im Lande und mehret euch redlich". Vertreter der Staatssicherheit streichen den Schaukasten mit schwarzer Farbe über.
Am 19. Oktober findet in Röbel die "Versammlung für demokratische Erneuerung" in der Marienkirche statt. Aus Platzmangel wird die zweite Versammlung am 26. Oktober auf den Marktplatz verlegt. 3.000 Menschen kommen zusammen. Vor Ort ist auch eine Hundertschaft der Bereitschaftspolizei. Doch dank der Besonnenheit der Demonstranten und der Veranstalter vom "Neuen Forum", das mittlerweile auch in Röbel aktiv ist, kommt die Polizei nicht zum Einsatz.
Am 4. November treffen sich in Röbel mehrere Tausend Menschen zum ersten Protestmarsch durch die Stadt. Auch Berndt Seite, der spätere Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern, ist dabei. "Als sich eine Gruppe mit einem riesigen schwarz-rot-goldenen Transparent mit dem Schriftzug 'Deutschland einig Vaterland' an die Spitze setzte, haben wir sie ans Ende der Demonstration gesetzt und andere Plakate nach vorne geschickt. Wir waren damals noch nicht so weit. Ich gebe das ehrlich zu", sagt er heute.
Der Niedergang der Stasi
Die Bürger Neubrandenburgs werden immer mutiger: "Stasi raus!", rufen sie, auf Protestmärschen, Woche für Woche, im Oktober 1989. Am 9. November fällt in Berlin die Mauer. Am 17. November wird das Ministerium für Staatssicherheit in "Amt für Nationale Sicherheit" umbenannt - doch außer dem Namen ändert sich nicht viel. Wenige Wochen später, am 6. Dezember, stehen Ulli von Saß und weitere Neubrandenburger vor dem Bezirksamt des neuen Ministeriums. Sie gelangen in das Gebäude und versuchen, die Vernichtung der Stasi-Akten zu stoppen, die bereits auf Hochtouren läuft. Was sie jedoch nicht wissen: Die laufenden Stasi-Vorgänge befinden sich nicht an diesem Ort und werden stillschweigend weitervernichtet.
Zur gleichen Zeit, als die Neubrandenburger die Stasi-Zentrale des Bezirkes besetzen, sichern Bürger die Kreisdienststellen in Anklam, Demmin, Waren, Ueckermünde und Röbel. "Wir haben am Anfang wild entschlossene Stasi-Mitarbeiter vorgefunden, die nicht begreifen wollten, dass es für sie zu Ende geht", erinnert sich Berndt Seite. Am 14. Dezember beschließt die DDR-Regierung die Auflösung des Amtes für Nationale Sicherheit. Die Reißwölfe stehen nun endgültig still. Die Tonbänder zeichnen keine Telefonate mehr auf. Das Ende des Überwachungsstaates im Bezirk Neubrandenburg ist besiegelt.
- Teil 1: Unmut in Neubrandenburg
- Teil 2: Protest-Aktionen in Röbel