Wie die Treuhand das DDR-Lotto "abwickelte"
Die Abteilung Grundsatzfragen der Treuhandanstalt ist ab 1990 für die speziellen Fälle unter den Volkseigenen Betrieben (VEB) zuständig - so auch für Lotto. Wie soll es weitergehen mit dem Glücksspiel der DDR?
Auch wenn es mit der Idee des Sozialismus eigentlich kaum vereinbar ist: Die DDR ist seinerzeit ein wahres Glücksspiel-Land. "Wir haben 'Tele-Lotto' gespielt", erinnert sich Barbara Becker-Hornickel, die von 1992 bis 2019 Geschäftsführerin von Lotto Mecklenburg-Vorpommern war.
Schon als kleines Kind darf die gebürtige Stralsunderin - wenn sie ihre Großmutter in einem Dorf in Vorpommern besucht - die Lotto-Scheine abgeben. Die seit 1972 sonntägliche Ziehung in der Sendung "Tele-Lotto" im ersten und zweiten DDR-Fernsehen hat Show-Charakter. So steht zum Beispiel jede gezogene Zahl für eine bestimmte Einlage - etwa ein Tanz einer spärlich bekleideten Frau zu Maurice Ravels "Bolero".
Lotto spült viel Geld in die DDR-Staatskasse
Mehrere Millionen DDR-Bürger spielen damals regelmäßig Lotto. "'Tele-Lotto' ist auch an heutigen Maßstäben gemessen eigentlich die erfolgreichste Ziehungssendung, die es überhaupt in Deutschland gab", sagt Becker-Hornickel. Die Spiel-Begeisterung der DDR-Bürger ist auch für den Staat eine Goldgrube: Der VEB Vereinigte Wettspielbetriebe gilt mit mehr als einer Milliarde Mark Umsatz als einer der gewinnbringendsten VEBs der DDR. Die Auswertung der Lottoscheine ist damals noch echte Handarbeit. "Dann saßen die da mit dem Schein, immer mit der Schablone rüber", so Becker-Hornickel. 60 Prozent der Einsätze werden an die Spieler ausgeschüttet. Der Rest wird für Kultur- und Sportstätten, Wohnungsbau oder Volksbildung verwendet.
Wettspielbetriebe zukunftsfähig machen - Aber wie?
Nach der Wiedervereinigung hat die Treuhand die Aufgabe, den VEB Vereinigte Wettspielbetriebe zukunftsfähig zu machen. Damit beauftragt ist Bert Preuß. Er war seinerzeit aus dem Ruhrgebiet zur Treuhand gekommen - in die Abteilung Sonderaufgaben. Eine wilde Zeit, wie sich Preuß erinnert: "Es war die Spannendste meines Lebens." Strukturen, Arbeitsrichtlinien, einheitliche Ausweise - alles Fehlanzeige. "Ich hätte da auch mit dem BVG-Ausweis am Pförtner vorbeigehen können." Viele Probleme und Fragestellungen wurden ganz pragmatisch angegangen. "Man hatte häufig keine Guideline, keine Hinweise, nach welchen Regeln das zu passieren hatte", so Preuß weiter.
Vom VEB Vereinigte Wettspielbetriebe zur Ostdeutschen Lotto GmbH
Preuß' erste Aufgabe damals ist es, mitzuhelfen, das Ost-Lotto "abzuwickeln". "Das würde ich eher unter Kurioses buchen. So ein Lotto-Betrieb, der passt halt nirgendwo so richtig rein und hat dann seine Aufhängung in diesem Direktorat Grundsatzfragen gefunden." Im ersten Schritt wird aus dem VEB Vereinigte Wettspielbetriebe die Ostdeutsche Lotto GmbH mit der Treuhand als alleinigem Anteilseigner. Da Glücksspiel in Deutschland Sache der Länder ist, werden die ehemaligen 15 Bezirksdirektionen länderweise zusammengefasst und auf die Bundesländer aufgeteilt.
Treuhand will beide Lotto-Systeme schrittweise anpassen
Der Plan der Treuhand: Ost- und West-Lotto sollen für die nächsten paar Jahre parallel laufen und nur schrittweise angepasst werden. "Es war ja ein gut funktionierendes, gut laufendes und deshalb auch sehr beliebtes System, was ohne großen Aufwand viel Geld in die Kassen spülte", so Preuß. Sollte man so etwas mutwillig beenden? Wohl kaum, meint Preuß. "Denn das Lotto-System der alten Bundesländer war in den neuen Ländern - jedenfalls zu der Zeit - noch überhaupt nicht etabliert." Erhebliche Einnahmeverluste wären die Folge gewesen, ist Preuß überzeugt.
"Da ist gar nichts versickert"
Kritiker werfen der Treuhand dagegen Verzögerungstaktik vor. Böse Zungen sprechen sogar von "Sickerverlusten" von mehreren hundert Millionen Mark. Dabei habe Preuß damals selbst überprüft, ob die Lotto-Einnahmen auch bei den Bundesländern ankommen. Er telefoniert seinerzeit alle Länder und Landeskassen ab. "Das Ergebnis dieser Aktion war, dass 100 Prozent abgeführt worden sind. Da ist gar nichts versickert." Laut Preuß gab es auch keine Hinhalte- oder Verzögerungstaktik seitens der Treuhandanstalt, diese Anteile länger zu halten als unbedingt notwendig. "Es war eher ein Konstrukt, was man irgendwie loswerden musste. Das aber auf dem richtigen Weg."
Eine Frau an der Spitze von Lotto MV
Schließlich verkauft die Treuhand die Anteile der Lotto-Gesellschaft inklusive Gebäude und Grundstücke an die Länder. Der symbolische Preis: eine D-Mark je Landesgesellschaft. Die Länder entscheiden dann, dass es deutlich schneller als von der Treuhand vorgesehen ein gemeinsames Lottospiel geben wird. Mit der neu gegründeten Lotto-Anstalt in Rostock bricht auch die Zeit von Barbara Becker-Hornickel an: Sie wird Mitte 1992 erste Geschäftsführerin von Lotto Mecklenburg Vorpommern. "Ich war die erste Frau überhaupt, die an der Spitze einer Lotterie-Gesellschaft stand. Im Kreis der Geschäftsführer des Deutschen Lotto- und Totoblocks habe sie sich "erstmal durchbeißen" und ein gewisses Standing beweisen müssen. "Ich denke mir heute immer, es ist eigentlich ein Geschenk, wenn man eine Gesellschaft aufbauen darf - auch ein bisschen nach dem eigenen Gusto."
Am 27. September 1992 ist Schluss mit Tele-Lotto
Unterstützung bei Ihrer Arbeit bekommen die Lotto-Gesellschaften der neuen Bundesländer damals von den Gesellschaften aus dem Westen. Im Fall von Mecklenburg-Vorpommern sind das Schleswig-Holstein und Hamburg. "Es gab eine ganz praktische Hilfe: Nämlich, dass alle Mitarbeiter aus Mecklenburg-Vorpommern eine bestimmte Zeit ein Praktikum in Schleswig-Holstein gemacht haben." Auch Becker-Hornickel absolviert ein dreiwöchiges Praktikum in Schleswig-Holstein. "Weil: Was wusste ich von Lotto?" Für das beliebte "Tele-Lotto" ist am 27. September 1992 Schluss - bedauerlich, wie Barbra Becker-Hornickel findet. "Ich habe ja noch einen Teil Ost-Lotto miterleben dürfen. Ich fand das schon traurig."