Die DDR und der Westen: Wie die Wende ins Kino kam
Am 3. Oktober jährt sich die Vereinigung der beiden deutschen Staaten zum 30. Mal. Recht schnell kam dieses historische Ereignis damals im Kino an - und bis heute liefert es Stoff für Geschichten auf der Leinwand.
Auf Mauerfall-Komödien wie "Go Trabi Go" folgte die Nostalgiephase mit "Sonnenallee" und dem Publikumshit "Good Bye, Lenin!". Regie führten dabei fast immer die "Wessis", auch beim Oscar-prämierten Stasi-Drama "Das Leben der Anderen". Was verraten die Filme bis hin zu Andreas Dresens vielfach preisgekröntem "Gundermann" über die deutsch-deutsche Befindlichkeit und ihre Dynamik seit der Wende? Was erzählen sie über die Identität der so zwiespältig vereinten Nation, über Fremdheit und Annäherung der Menschen diesseits und jenseits der Mauer?
"Coming out" - Filmpremiere in der Nacht des Mauerfalls
In der Nacht des Mauerfalls feierte Heiner Carows Schwulen-Film "Coming out" in Ost-Berlin Premiere. In den West-Berliner Kinos am Kurfürstendamm liefen am 9. November 1989 Blockbuster wie "Batman" oder "Friedhof der Kuscheltiere". Von der Premierenfeier zu Carows Film in einer Kneipe in Prenzlauer Berg ist überliefert, dass der in die Gesellschaft hereinplatzende Passant mit der Wahnsinnsneuigkeit "Die haben die Mauer aufgemacht" weniger auf Begeisterung stieß als auf Befremden. Was daran liegen mag, dass mitten im Freudentaumel noch etwas anderes existierte: nicht die Hoffnung auf das schnelle Ende der DDR, sondern auf einen anderen, reformierten sozialistischen Staat. Nicht auf die Wende, sondern den Wandel. Daraus wurde bekanntlich nichts, die Träume der Bürgerrechtler zerplatzten.
Wo bleibt der große Wende-Film?
Wer 30 Jahre nach der Wiedervereinigung auf die Filme zurückblickt, die sich ostwestdeutschen Themen widmen, bemerkt schnell, dass der eine, große Wende-Film bis heute nicht existiert. Genauso wenig wie der vielfach beschworene Wende-Roman oder das immer wieder bauverzögerte Einheitsdenkmal. Ebenfalls ist im Rückblick schnell klar, dass eine Wiedervereinigung der Filmlandschaft nicht stattgefunden hat. Zwar zeigte das Leipziger Dokfilmfest wenige Wochen nach dem Mauerfall bestürzende, in Windeseile entstandene Defa-Zeugnisse der friedlichen Revolution, Filme wie "Leipzig im Herbst" oder "Zehn Tage im Oktober". In körnigen Schwarz-Weiß-Bildern dokumentierten sie den Mut jener auf die Straße gehenden DDR-Bürger, die nicht wissen konnten, ob es für sie vielleicht genauso blutig enden würde wie kurz zuvor für die Demonstranten auf dem Tian’anmen-Platz in Peking. Aber die Defa, der Staatsbetrieb, begann schon bald zu zerbröseln.
Die renommierten Ost-Regisseure verschwanden von der Bildfläche. Rainer Simon, Peter Kahane, Ulrich Plenzdorf, Helke Misselwitz, Andreas Kleinert, sie drehen "Tatorte", unterrichten, tauchen noch in Retrospektiven auf, einige starben früh. Selbst Frank Beyer, der prominenteste in der DDR schikanierte Defa-Filmer, realisierte bald vor allem Fernsehproduktionen über sein verschwundenes Land, Titel wie "Nikolaikirche" oder "Abgehauen". Es waren zwei Franzosen, Jean-Luc Godard und Marcel Ophüls, die die bis heute eindrücklichsten Mauerfall-Dokumentarfilme drehten, "Allemagne neuf zero" und "November Days".
Deutsch-deutschen Kinofilme als Vorboten von Stimmungsumschwüngen
Und es waren bald darauf die Kollegen aus der BRD, die die Mauer und die DDR in den Jahrzehnten ihrer Existenz als Filmstoff zwar ignoriert hatten, sie nach der Wende jedoch zuhauf ins Kino brachten. In Komödien und Tragikomödien, Dramen und Melodramen wie "Go Trabi Go", "Sonnenallee", "Good Bye, Lenin!", "Der rote Kakadu" oder "Das Leben der Anderen". Zwei Ausnahmen in der West-Riege: Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase, der unter anderem für Volker Schlöndorff arbeitete und noch im hohen Alter aktiv ist. Und Andreas Dresen, 1989 Student in Babelsberg. Mit Filmen wie "Nachtgestalten" und "Halbe Treppe" nahm er früh die Wendeverlierer in den Blick, die Ernüchterung in den damals sogenannten Beitrittsgebieten.
Bei den deutsch-deutschen Kinofilmen fällt insgesamt auf, dass sie die Gemütslage und Debatten im Land widerspiegeln, sie mitunter verstärken, manchmal auch unterlaufen, als Vorboten von Stimmungsumschwüngen. Das erste Wende-Glück brachte schnelle, freche Komödien hervor. Wobei die "Unifizierung" des Witzes, wie schon Sigmund Freud die Pointen-Technik der Liaison von eigentlich Unvereinbarem nannte, in Peter Timms Italien-Roadmovie "Go Trabi Go" mit leisem Unbehagen einhergeht. Da erzählt ein Wessi einem Ossi bei der Fahrt über den Brenner eine ganze Nacht lang Trabi-Witze, bis der Ossi im Morgengrauen fröstelnd aussteigt. So einvernehmlich ging es dann doch nicht mit der Veralberung der DDR.
Geschichte als schöner Schein
Der erste große Mauerfall-Spielfilm feierte 1995 auf der Berlinale Premiere: Margarethe von Trottas Königskinder-Melodram "Das Versprechen" fiel krachend durch, bei der Kritik wie beim Publikum. Stasi-Debatten, die im Kino auch in IM-Dokumentationen und eindringlichen Offiziers-Porträts ihren Niederschlag fanden, hatten das Land erschüttert. Dem Publikum war nicht mehr danach, sich in den Armen zu liegen. Es war die Zeit der Treuhand, der Massenarbeitslosigkeit, die Rede ging von der Kolonisierung des Ostens und von Bürgern zweiter Klasse. Keine Spur mehr von Euphorie.
Was die Ostalgie nach sich zog, eine Trotz- und Trostreaktion. Es war doch unser Leben, und nicht alles war schlecht: Lasst uns nicht verbiestern! Die Erfolge von Leander Haußmanns "Sonnenallee" 1999 und von Wolfgang Beckers "Good Bye, Lenin!" 2003 verdankten sich nicht zuletzt der allzu schnellen Verdrängung des DDR-Alltags im wiedervereinigten Deutschland. Eine wilde Jugend in Ost-Berlin mit geschmuggelten West-LPs; eine Mutter, die vor der Wende ins Koma fällt und nach ihrem Erwachen vor den Härten der Einheit bewahrt werden muss, auf 79 Quadratmetern Plattenbau: Nichts hatte sich historisiert. Also wurde Geschichte im Kino erfunden, als Groteske, als Märchen, als schöner Schein.
Die unübersehbare Mauer in den Köpfen
Das Stasi-Drama "Das Leben der Anderen" markierte 2006 den Beginn einer versuchten Historisierung. Der heftige Streit um Florian Henckel von Donnersmarcks Oscar-prämierten Film mit Ulrich Mühe als Stasi-Spitzel, der sich vom Saulus zum Paulus läutert, nimmt sich wie ein Echo auf die Heftigkeit der ersten Stasi-Debatten aus. Ein Täterversteher-Film, ein Thriller, Genrekino mit Hollywood-Ambitionen - und mit gespaltenem Publikum zwischen moralischer Überheblichkeit und dem Gefühl des Unverstanden-Seins. Die Mauer in den Köpfen wurde unübersehbar. Ebenso deutlich wurde aber auch, wie sehr die Frage nach dem vergifteten Privatleben in der DDR immer noch tabu war. Damals, 17 Jahre nach dem Mauerfall, bleiben die Deutschen sich fremd. Obwohl das Land da schon von einer ostdeutschen Kanzlerin regiert wird.
Konfektionskino und TV-Movies
Der Wunsch, dieses Private in den Fokus zu nehmen, nicht das System, sondern die Menschen, hat eine unüberschaubare Menge von Konfektionskino und TV-Movies zur Folge, von "Der Tunnel" über "Der Turm" und die "Bornholmer Straße" bis zum ZDF-Dreiteiler "Preis der Freiheit". Solide Genreproduktionen, in denen die DDR aber schnell mal zum Ausstattungsfilm schrumpfte. Mit ähnlich holzschnittartigen Charakteren zwischen Anpassung und Dissidenz, wie man sie aus den History-Dramen über die NS-Zeit kennt. Wobei die vier Staffeln der 2010 gestarteten facettenreichen ARD-Serie "Weißensee" eine breitere gesellschaftliche Verständigung über das reale Leben im Unrechtsstaat in Gang setzten. Ein Gespräch, das 2013 durch die Kanzlerin persönlich neue Nahrung bekam, als Angela Merkel erstmals von ihrer jugendlichen Tätigkeit als FdJ-Agitatorin erzählte.
Die Besser-Wessis waren beschämt. Wer hört den Ost-Deutschen tatsächlich zu, wo bleiben Neugier und Empathie für gebrochene Biografien, existenzielle Kränkung, innere Realität, innere Wahrheit?
Die Heldinnen von Christian Petzolds stillen, wachsamen Ost-West-Filmen "Yella", "Jerichow" und vor allem "Barbara" haben diese neue Phase der deutsch-deutschen Annäherung teilweise vorweggenommen. Der Filmemacher, selbst Kind von vor dem Mauerbau in den Westen geflüchteten Eltern, hat den widersprüchlichen Ost-Identitäten mit Nina Hoss ein Gesicht gegeben. Eines, das bleibt in der Geschichte des Nachwendekinos.
Das Kapitel ist noch lange nicht abgeschlossen
Allmählicht differenziert das Bild sich aus. Zum Beispiel mit Ingo Schulzes Wende-Erzählung "Adam und Evelyn", in der der Sog der Geschichte die Protagonisten auch in der filmischen Version nicht mitreißt, sondern sie eher zufällig über die Grenze treibt. Das Versehentliche, Unwägbare von Biografie tritt zutage. Und mit Andreas Dresens preisgekröntem Biopic "Gundermann" von 2018 über den bagger-fahrenden Songpoeten, der beides war, Täter und Opfer. Wobei Dresen das Zweifelhafte, Zwielichtige seines Protagonisten am Ende doch zu eilfertig kittet.
Zum 30. Mauerfall-Jubiläum kam der erste Animationsfilm über den November '89 ins Kino, "Fritzi - eine Wendewundergeschichte". Längst wachsen Kinder auf, die die DDR nur aus dem Geschichtsbuch kennen. Gleichzeitig ist das Kapitel noch lange nicht abgeschlossen. Kanzlerin Merkel sagte im vergangenen Jahr, sie habe damals kein Lebensgefühl für die Freiheit gehabt. Der Stoff, aus dem die Zeitgeschichte gewebt ist, und eben dieses Lebensgefühl: Es braucht wohl noch viele Filme, um das zu ergründen.