"Ich leb' hier genauso wie drüben"
"Die 100.000 Wohnung im Bezirk Schwerin seit dem 8. Parteitag der SED" steht eingraviert auf der Plakette, die dem Ehepaar Kolz feierlich überreicht wird - inklusive Schlüssel. Es ist der 2. September 1988 im neuen Güstrower Wohngebiet Distelberg und der Reporter des DDR-Fernsehens kommentiert vor der Neubau-Fassade: "Für jeden zweiten Bürger im mecklenburgischen Bezirk haben sich durch Neubau, Rekonstruktion und Modernisierung die Wohnverhältnisse schon verbessert."
60 Quadratmeter, warm und trocken
Joachim und Roswitha Kolz haben lange gekämpft für ihr Wohnglück: 60 Quadratmeter, eine neue Küche, Badzelle ohne Fenster, dafür ein Balkon, und ein Extra-Kinderzimmer für die beiden Töchter. Stundenlanges Warten beim Wohnungsamt und 1.500 Aufbaustunden waren der Preis. Und dann gibt es zum warmen und trockenen neuen Heim auch noch einen Krippenplatz für die zweite Tochter dazu, damit Roswitha Kolz wieder arbeiten kann und als "Werktätige" in die Jubiläumswohnung zieht. 60 Mark Miete zahlen sie.
Umzug nach 41 Jahren
Preise wie diese sind zwei Jahre später Geschichte. Joachim und Roswitha Kolz werden gleichzeitig arbeitslos - kurz vor Weihnachten. Beide hatten in Güstrow im Fleischkombinat gearbeitet. Jetzt pendelt der Familienvater nach Bremen. "Ich hab' auch Bewerbungen geschrieben - ohne Ende", sagt Roswitha Kolz. Aber nichts klappt. Nach Bremen will sie trotzdem nicht ziehen. Die Kinder sind ihr noch zu klein. Nach Jahren des Alleinverdienens und als es finanziell immer enger wird, beschließen beide dann aber doch: Sie gehen weg aus Güstrow. "Das war sehr schwer - nach 41 Jahren abzuhauen", sagt Joachim Kolz.
Doch das Angebot im schleswig-holsteinischen Preetz ist gut. Joachim Kolz kann Abteilungsleiter werden. Der Chef verspricht, auch seiner Frau eine Stelle zu besorgen. Beide verdienen wieder Geld. Und trotzdem: Eine Tochter bleibt in Mecklenburg. Und Roswitha Kolz ist Familienmensch: "Es war nicht einfach die erste Zeit", erinnert sie sich. Beim Abschied nach Besuchen seien oft Tränen geflossen. "Aber ich fühl' mich heute hier richtig wohl."
Acht Quadratmeter Unterschied
Der Unterschied zwischen der Neubauwohnung in Güstrow und dem neuen Heim in Preetz? "Acht Quadratmeter", grinst Joachim Kolz. Und statt der Erdgeschoss-Wohnung müssten sie jetzt in den dritten Stock laufen. "Ich leb genauso hier wie drüben - da hat sich nix geändert", sagt der Familienvater. "Bammel" habe er schon gehabt - wie sie hier wohl behandelt würden, weil sie aus dem Osten kommen. Umsonst. "Weil auch schon viele Ossis hier waren", meint Joachim Kolz. Und die würden sich eben untereinander verstehen.