Eine Gruppe von Frauen bei der Miss DDR Wahl, in der Mitte Leticia Koffke. © NDR

"Ich habe bis heute ein Shopping-Trauma"

Stand: 14.09.2020 08:00 Uhr

Im September 1990 wird Leticia Koffke zur schönsten Frau Ostdeutschlands gewählt. Zwölf Tage darf sie sich mit dem Titel Miss DDR schmücken - dann kommt die Einheit.

Leticia Koffke im Porträt. © NDR
Die Miss-Wahl hat das Leben von Leticia Koffke verändert.

Schwerin, die Halle am Fernsehturm. Um 23.55 Uhr am 21. September 1990 ist es soweit: Leticia Koffke aus Brandenburg, 19 Jahre alt, wird zur Miss DDR gewählt. Sie ist die erste letzte Schönheitskönigin der DDR. Für gerade einmal zwölf Tage. Denn bereits am 3. Oktober 1990 um null Uhr, hört die DDR mit der Wiedervereinigung auf zu existieren. Die junge Krankenschwester ist aber auch die erste und einzige Miss DDR. Denn im Sozialismus waren Schönheitswettbewerbe offiziell verpönt. Sie entsprachen nicht dem staatlich verordneten Frauenbild der Werktätigen.

Im Fokus der ersten und letzten Miss-Wahl: Geld

Organisiert wird diese historische Wahl damals von einem Oldenburger Veranstalter und dem Werbeleiter der Schweriner Volkszeitung als Partner. Die Miss-Wahl in der schnöden Mehrzweckhalle am Stadtrand von Schwerin ist ein Novum für die ostdeutschen Partner und die Kandidatinnen aus allen DDR-Bezirken. Es geht nicht nur um Schönheit, sondern vor allem um Sponsoren, Werbe-Verträge und: Geld. Eher unbekümmert ist dagegen Leticia Koffke. Für sie stehen Spaß und Glamour im Vordergrund. An eine freudige, gespannte und erwartungsvolle Stimmung in dieser Nacht erinnert sie sich. Alles sei ganz neu gewesen, erzählt Koffke: "Sich selbst zu präsentieren, einen guten Eindruck auf andere Menschen zu machen, so rein äußerlich!"

Die Miss-Wahl verändert das Leben

Leticia Koffke in einem gewonnenen Mini-Copper. © NDR
"Mini-Rover gewonnen - das einzige Foto meines ersten Autos", schreibt Koffke auf die Rückseite dieses Fotos.

Der Miss-Titel verändert das Leben der frisch ausgebildeten Krankenschwester. Sie ist überwältigt, bricht in Tränen aus. Und gewinnt ein Auto, dabei hat sie noch nicht einmal einen Führerschein. Noch am nächsten Abend sitzt sie in der Aktuellen Schaubude im NDR Fernsehen. An ihren ersten Flug erinnert sie sich noch heute: Von Hamburg nach Berlin Tempelhof. Leticia Koffke genießt die aufregende Zeit. Es folgt der Titel Miss Germany. Sie ist nun die schönste unter den Schönen aus DDR und Bundesrepublik. Es gibt für beide Titel - Miss DDR und Miss Deutschland - je ein Auto und Werbe-Verträge. Mit einem gutem Geschäft mit der schönen Leticia rechnet der westdeutsche Veranstalter zunächst aber offenbar nicht: Er lässt das Mädchen wieder in die Provinz, in die Stadt Brandenburg ziehen. Wenige Tage später schickt er einen Brief: "Bitte melde Dich sofort!" Ein Telefon hat die 19-Jährige - wie die meisten Ostdeutschen - damals noch nicht.

Also muss Leticia Koffke zum Marktplatz, wartet anderthalb Stunden vor der einzigen öffentlichen Telefonzelle. Sie soll kündigen und nach Oldenburg kommen. Alle wollen mit der Miss DDR werben. Die junge Frau wohnt zunächst bei dem Manager und seiner Frau. Auftritte über Auftritte: Bambi-Verleihung, Bundespresseball und Fernsehsendungen. Es geht von Termin zu Termin. Nach Werbe-Auftritten katapultiert es Leticia Koffke auch in das internationale Model-Geschäft. Beverly Hills, Malibu, sie lernt eine "faszinierende Welt" kennen und reist viel. "Es war schon angenehm, so einfach Geld zu verdienen, mit fast Nichtstun."

"Ich will etwas leisten, nicht nur gut aussehen"

Setcard von Leticia Koffke aus den 1990er-Jahren. © NDR
Die Bilder der damaligen Setcard zeigen die Standard-Posen der Models.

Doch der Reiz des Neuen ist bald verflogen. Als Miss DDR interessierte man sich anfangs noch für ihr Leben, als Model ist sie nur noch "Kleiderständer". Nur gut aussehen reicht ihr nicht. Sie will mehr. "Ich will auch etwas leisten", sagt sie, "mit dem, was in mir steckt und nicht nur mit dieser äußeren Hülle". Für eine mögliche Karriere als Moderatorin fehlt es ihr nicht an Gelegenheit, sondern an Selbstvertrauen. So gründet sie mit ihrem damaligen Freund eine Textilhandelsgesellschaft, die Immotex. Nebenbei nimmt sie dennoch immer mal wieder Aufträge für Foto-Shootings an.

Bei einem Job in Phoenix in den USA kann sie ihre Unlust nicht mehr verbergen. Sie hat "einfach keinen Bock mehr". Der Fotograf spricht sie an: "Leticia, du hast doch gar keine Lust." Sie schmeißt hin, reist ab, hängt den Model-Job endgültig an den Nagel und konzentriert sich auf ihre Firma. "Eigentlich habe ich drei Leben", sagt sie heute. Geprägt ist sie durch Kindheit und Jugend in der DDR, ihr erstes Leben. Mit der Miss-Wahl in Schwerin 1990 beginnt ihr zweites Leben. Was war damals neu? "Konsum! Ich habe bis heute ein Shopping-Trauma!", lacht sie.

Ein neues Leben geschenkt

2011 dann feierte Leticia Koffke einen weiteren Geburtstag. Denn ihre Gesundheit ist seit Kindheit und Jugend angeschlagen. Ihre Nieren arbeiten nicht mehr richtig, sie muss an die Dialyse. Ihre Hoffnung: eine Organtransplantation. Doch die Wartezeit auf ein Spenderorgan beträgt Jahre. Dann erklärt ihr Bruder sich zu einer Lebendspende bereit und schenkt ihr damit ein neues, ein drittes Leben. Heute wohnt Koffke bei Köln im Rheinland und ist seit Kurzem berufsunfähig in Rente. Auch daran musste sie sich erst gewöhnen. Eine Ärztin hat ihr ein Motto mit auf den weiteren Weg gegeben: "Meine Arbeit ist jetzt: leben." Und werben möchte sie heute nur noch für eines: Organspende.

 

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Eine Familie überquert im November 1989 mit Einkaufstüten einen geöffneten Grenzübergang zwischen DDR und BRD. © picture-alliance / dpa Foto: Wolfgang Weihs

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Dieses Thema im Programm:

Nordmagazin | 21.09.2020 | 19:30 Uhr

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