Die SED und ihre kontroverse Kulturpolitik
Die Kulturpolitik der SED war jeher ein Balanceakt - für Schriftsteller und für Parteifunktionäre gleichermaßen. 1979 werden neun Mitglieder des DDR-Schriftstellerverbandes ausgeschlossen.
Rotes Rathaus Berlin, 7. Juni 1979: Der Schriftstellerverband der DDR, Vollstrecker der SED-Kulturpolitik, schließt neun seiner Mitglieder aus - ein Schauprozess. Das Jahrzehnt brachte mit dem Machtantritt Erich Honeckers 1971 zunächst eine liberale Kulturpolitik, auch um die junge Bevölkerung für sich zu gewinnen. Doch die Auseinandersetzung mit kritischen Schriftstellern verschärfte sich bis 1979. Das Jahr des 30. Geburtstages der DDR sollte für die SED ein Party-Jahr werden. Doch es kam zu einem nie dagewesenen Schlagabtausch mit ihren Schriftstellern, aus dem die Partei schwer angeschlagen in ihr letztes Jahrzehnt ging.
Balanceakt "Kulturpolitik"
Sowohl für Schriftsteller und wie auch für Parteifunktionäre war die Kulturpolitik der SED seit jeher ein Balanceakt. Die Kunst sollte im Dienste des Sozialismus gesellschaftliche Zustände thematisieren und kritisieren, auch die in der DDR. Doch schnell konnte ein Werk als "staatsgefährdende Propaganda und Hetze" verboten und sein Autor bestraft werden. Allerdings hatte die Partei kein Interesse daran, die DDR mit staatlicher Zensur in Verbindung zu bringen, gerade nicht gegenüber der Bundesrepublik.
Denn in den westdeutschen Medien wurde die deutschsprachige Literatur aus dem sozialistischen Nachbarland genau verfolgt. Um dem Ansehen der DDR nicht zu schaden, scheuten die zuständigen SED-Kulturfunktionäre offene Verbote. Da aber bei einigen kritischen Autoren scheinbar willkürlich die Zulassung zur Veröffentlichung ihrer Texte verweigert wurde, wichen diese teilweise auf Verlage in der Bundesrepublik aus.
Schriftstellerverband der DDR oder der SED?
Eine besondere Rolle bei der indirekten Zensur spielte der Schriftstellerverband der DDR. Nur wer hier Mitglied war, bekam eine Steuernummer und konnte als freier Schriftsteller in der DDR arbeiten. Er musste sich allerdings zur "führenden Rolle der Arbeiterklasse und ihrer Partei in der Kulturpolitik" - also zur SED - bekennen. Jene, die von dieser Linie abwichen, wurden in der Öffentlichkeit diffamiert, verloren gegebenenfalls die Möglichkeit zu veröffentlichen und damit ihre existenzielle Grundlage.
Über den Schriftstellerverband wollte die SED ihre Kulturpolitik in der nationalen Literatur durchsetzen. Die Verbandsspitze um den Präsidenten Hermann Kant bestand ausschließlich aus SED-Kadern. Kant, selbst als Schriftsteller tätig, wurde später sogar Mitglied im ZK der SED, dem höchsten Parteiorgan. Doch die Partei und ihre Kulturpolitik gerieten nach einer liberalen Phase Anfang der 1970er-Jahre in immer schärfere Auseinandersetzungen mit ihren Künstlern.
Biermann und die zunehmende Konfrontation
Deren öffentlich geäußerte Kritik an der Ausbürgerung des kritischen Liedermachers Wolf Biermann 1976 beantwortete die SED mit Berufsverboten. Immer mehr DDR-Autoren wichen nun auf West-Verlage aus. Doch die SED-Führung schaute sich das nicht lange an, sie suchte die Konfrontation mit diesen Schriftstellern. Da sie die West-Veröffentlichungen aber nicht direkt verbieten konnte, verschärfte sie 1979 das Devisengesetz: Wer ohne Einwilligung Bücher im Ausland veröffentlichte, musste hohe Geldstrafen fürchten.
Stefan Heym wird bestraft
Einer der betroffenen Autoren war der weltberühmte DDR-Schriftsteller und Antifaschist Stefan Heym. Auch er protestierte gegen Biermanns Ausbürgerung, blieb aber weiterhin in der DDR. Nachdem aber sein Buch "Collin" in der DDR keine Zulassung erhielt, veröffentlichte er es im Frühjahr 1979 in Westdeutschland ohne in der DDR eine Genehmigung einzuholen. Daraufhin wurde er wegen "Verstoßes gegen das Devisengesetz" zu einer Geldstrafe von 9.000 Mark verurteilt und in der Presse verunglimpft. Die SED erhoffte sich eine abschreckende Wirkung, erreichte jedoch das Gegenteil.
Protestbrief und Folgen
Viele Schriftsteller der DDR wollten die zunehmende Einschränkung ihrer Arbeit nicht mehr widerspruchslos hinnehmen. Acht Schriftsteller unterzeichneten einen Protestbrief an SED-Generalsekretär Erich Honecker, in dem sie die Kulturpolitik kritisierten. Darin heißt es unter anderem:
"Mit wachsender Sorge verfolgen wir die Entwicklung unserer Kulturpolitik. Immer häufiger wird versucht, engagierte, kritische Schriftsteller zu diffamieren, mundtot zu machen oder, wie unseren Kollegen Stefan Heym, strafrechtlich zu verfolgen. Der öffentliche Meinungsstreit findet nicht statt. Durch die Koppelung von Zensur und Strafgesetzen soll das Erscheinen kritischer Werke verhindert werden."
Nachdem die SED ihn weder veröffentlichte noch beantwortete, informierten die Autoren westdeutsche Medien über den Brief und seinen Inhalt. Wenig später reagierte Hermann Kant im SED-Zentralorgan "Neues Deutschland" auf den in der DDR-Öffentlichkeit unbekannten Brief: "Wer die staatliche Lenkung und Planung auch des Verlagswesens Zensur nennt, macht sich nicht Sorge um unsere Kulturpolitik - er will sie nicht." Doch bei öffentlicher Schelte wollte es die SED diesmal nicht belassen. Den Autoren sollten durch Ausschluss aus dem Schriftstellerverband die Grenzen aufgezeigt werden.
Vorbereitung des Ausschlusses
Hermann Kant wurde zum Vollstrecker der SED-Politik gegenüber den Unterzeichnern und organisierte den Ausschluss in Form einer Mitgliederversammlung. Sie sollte "demokratisch" entscheiden. Eingeladen waren allerdings nicht nur schreibende, sondern auch nichtschreibende Verbandsmitglieder, also Parteifunktionäre. Um eine Mehrheit für den Ausschluss zu garantieren, wurden viele der Stimmberechtigten im Vorfeld unter Druck gesetzt.
Da zwei der Schriftsteller bereits aus dem Verband ausgeschieden waren und Erich Loest einen zu großen Rückhalt bei den Verbandsmitgliedern hatte, wurden sie durch vier andere Autoren ersetzt, die dem Verband ein Dorn im Auge waren - allen voran Stefan Heym. Bei dieser Strategie schreckte die SED also auch nicht vor einem erheblichen Imageschaden für die DDR zurück.
Nur 60 Gegenstimmen
Die Mitgliederversammlung am 7. Juni 1979 im Roten Rathaus in Berlin war nach Aussage der Ausgeschlossenen eine Mischung aus Parteiverfahren und Schauprozess. Eine offene Debatte über den Protestbrief oder über das Ausschlussverfahren war nicht vorgesehen, in den Redebeiträgen gab es kaum Widerspruch. Von den 400 Stimmberechtigten votierten immerhin 60 gegen die Ausschlüsse.
Trotz dieser leisen Gegenstimmen gegen den Ausschluss positionierte sich die SED damit über den Schriftstellerverband sehr unmissverständlich, wo die Grenzen der Kritik in ihrer Kulturpolitik lagen. Es war der Höhepunkt in der langjährigen Auseinandersetzung mit Künstlern und Schriftstellern und für diese eine deutliche Warnung weniger als ein halbes Jahr vor dem 30. Republikgeburtstag.
Schaden für die DDR
Antworten auf diese Maßnahme blieben nicht aus. Zahlreiche Leser appellierten an die Vernunft der Kulturpolitiker und wandten sich in Briefen gegen die Ausschlüsse, auch bekannte Künstler wie Christa Wolf und Ulrich Plenzdorf - jedoch erfolglos. Auch international galt der Ausschluss als Skandal, ein schwerer Schlag für das Ansehen der DDR. Erich Honecker jubelte dennoch kurz darauf gegenüber Kulturschaffenden: Im 30. Jahr der DDR könne sich die "Kultur in einem Ausmaß entfalten - wie nie zuvor auf deutschem Boden."
Die ausgeschlossenen Autoren sahen das anders. Fünf von ihnen verließen wenig später die DDR. Die vier, die blieben, wie Stefan Heym, mussten erhebliche Schikanen hinnehmen: Veröffentlichungen wurden verhindert, Bücher aus den Verlagsprogrammen gestrichen. Dieser Umgang mit den eigenen Autoren prägte das Bild von der DDR-Kulturpolitik bis zu ihrem Ende. Denn auch wer zum Sozialismus stand, konnte in diesem Staat zum Feind werden. Auch an diesem kulturpolitischen Gegensatz zerbrach die Macht der SED im Herbst 1989. Hermann Kant musste wenig später seinen Posten verlassen.