Als KZ-Gefangene mitten in Hamburg schufteten
In der Spätphase des Zweiten Weltkriegs mussten Tausende Gefangene des KZ Neuengamme schwere Arbeit in Hamburg verrichten. Nach den verheerenden Bombenangriffen im Jahr 1943 mussten sie Leichen bergen und Trümmer in den zerstörten Stadtvierteln räumen. Später arbeiteten sie als billige Arbeitskräfte auf Baustellen, in Werften und Rüstungsbetrieben. Für die Hamburger Bevölkerung waren die KZ-Gefangenen im Alltag sichtbar. Die Ausstellung "Eine Stadt und ihr KZ" zeigt im Hamburger Rathaus wie die Hamburger auf das Elend reagierten.
Unmittelbar nach dem ersten großen Luftangriff der Alliierten in der Nacht zum 25. Juli 1943 brachte die Stadt Hamburg sie in die zerstörten Stadtviertel. Die Häftlinge des Konzentrationslagers Neuengamme mussten nicht nur Blindgänger entschärfen und Trümmer beseitigen, sondern auch die Leichen aus den einsturzgefährdeten Ruinen bergen. "Das war furchtbare Arbeit", berichtete später der KZ-Häftling Eduard Motz. "Die Leichen waren nur noch Knochen, ohne Haut, ohne Fleisch, bloß Knochen."
Ohne Alkohol nicht zu ertragen
Etwa 34.000 Menschen starben während der Bombenangriffe der "Operation Gomorrha". Viele erstickten in Luftschutzkellern oder verbrannten in den Trümmern bis zur Unkenntlichkeit. Aufgrund der Seuchengefahr mussten die Leichen schnell geborgen und bestattet werden. "Wir waren gezwungen, Alkohol zu trinken", erzählte der frühere KZ-Häftling Zbginiew Piper aus Polen. "Als Normalmensch konnte man das nicht aushalten." Kein Wunder, dass die Luftschutzpolizei und selbst ausländische Zwangsarbeiter diese Arbeit verweigerten. Ein ehemaliger KZ-Häftling berichtete: "In einem einzigen Schutzraum zählten wir 1.300 verkohlte Leichen."
Auf einmal im Stadtbild sichtbar
Die Bombennächte waren ein Wendepunkt in der Wahrnehmung des Hamburger Konzentrationslagers. Da das KZ Neuengamme rund 30 Kilometer von der Innenstadt entfernt lag, hatten bis dahin die allerwenigsten Hamburger Kontakt zu den Gefangenen. Nun aber waren die Männer und Frauen in ihren gestreiften Häftlingsanzügen im Stadtbild für alle sichtbar. Das entging auch der Wirtschaft nicht. Viele Unternehmen - aber auch städtische Behörden - forderten nun die billigen Arbeitskräfte bei der SS an: für den Bau von Behelfsheimen, die Baustoff-Gewinnung, Rüstungsproduktion oder für die Arbeit auf den Werften im Hafen.
Außenlager sparen Transportwege
Um die KZ-Gefangenen nicht jeden Tag den weiten Weg aus Neuengamme bringen zu müssen, sollten sie in der Stadt - möglichst nah an ihren Einsatzorten untergebracht werden. So entstanden ab Sommer 1944 in der Stadt 15 Außenlager des KZ Neuengamme. "Es ist überraschend zu sehen, wie groß die Bereitschaft der Stadt und der Wirtschaft war, am Aufbau der Außenlager mitzuwirken", sagte Alyn Beßmann von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme im Gespräch mit NDR.de.
"Ihr Anblick erschreckte mich tief"
Fortan begegnete die Bevölkerung den KZ-Häftlingen im Alltag - auf der Straße, auf dem Arbeitsweg und in den Betrieben. "Jeder konnte die ausgemergelten Gestalten durch die Stadt laufen sehen", sagt Historikerin Beßmann. Ein Hamburger erinnerte sich später an eine Begegnung auf der Straße: "Eines Tages überholte ich einen Zug mit jüdischen Frauen. Ihr Anblick erschreckte mich tief. Vor allem Hunger sprach aus dem Ausdruck der ängstlichen und zermürbten Gesichter." Wie sollte er reagieren? "Mitgefühl zu bekunden, erschien mir zu riskant. Geblieben aber ist eine Scham, dass ich mich nur so und nicht anders verhalten konnte."
Anwohnerin schildert entsetzliche Schreie
Viele Hamburger wohnten in direkter Nachbarschaft zu den Außenlagern. "Das KZ befand sich genau gegenüber von unserem Haus", erzählte eine Anwohnerin des KZ-Außenlagers im Stadtteil Wandsbek. "Nachts hörte ich entsetzliche Schreie und konnte nicht schlafen. Ich nahm an, dass die SS-Aufseherinnen die Gefangenen verprügelten. Jedermann in der Nachbarschaft muss diese Schreie gehört haben, wir hörten sie sehr oft. Es war allgemein bekannt, dass Misshandlungen stattfanden."
"Unerträgliche Zustände im Außenlager"
Auch bei der Werft Blohm + Voss stand ein Außenlager. "Da ich bei Blohm + Voss Botengänge machte, kam ich auch in das KZ-Lager", berichtete ein Werft-Arbeiter nach Ende des Zweiten Weltkriegs. "Ich war täglich mehrmals dort und habe mit eigenen Augen gesehen, wie die Häftlinge geschlagen und getreten worden sind. Die Zustände waren unerträglich."
Seite an Seite am Arbeitsplatz
Auf den Werften mussten die KZ-Häftlinge zwölf Stunden täglich in Tag- oder Nachtschichten arbeiten. Qualifiziertere Häftlinge wurden als Dreher, Kranführer, Maschinenbauer und Maler im U-Boot-Bau eingesetzt. "Oft arbeiteten die Häftlinge Seite an Seite mit den Werft-Facharbeitern", sagt Beßmann. Andere Häftlinge mussten nach Bombenangriffen in zerstörten Werftbereichen Trümmer räumen. Die völlig unzureichende Ernährung sowie Misshandlungen trugen zu der außergewöhnlich hohen Todesrate in den KZ-Außenlagern der Werften bei.
Sogar aus Auschwitz nach Hamburg gebracht
Mehr als 9.200 Frauen und Männer waren 1944/45 in den Außenlagern untergebracht. Sogar aus dem KZ Auschwitz brachten die Nationalsozialisten Gefangene in die Hansestadt. So groß war die Nachfrage nach Arbeitskräften. So erreichten im Sommer 1944 rund 1.500 Frauen aus dem KZ Auschwitz Hamburg. Sie wurden im ersten Frauen-Außenlager des KZ Neuengamme im Lagerhaus G, einem Lagerhaus in Hamburg-Veddel, untergebracht. Sie mussten unter anderem Aufräumarbeiten in Raffinerien verrichten.
- Teil 1: Ohne Alkohol nicht zu ertragen
- Teil 2: "Für die Hamburger existierten wir nicht"