Die Rettung des Juden Julius Katz
Heiner Müller erinnert sich noch gut an eines der ersten Treffen mit Julius Katz. Als Siebenjähriger lernt er den Juden kennen. Damals repariert Katz im Wohnzimmer der Familie Müller in Groß Oesingen (Landkreis Gifhorn) das Sofa, tauscht die Federn aus, verfüllt es mit Seegras. Katz ist Sattlermeister. Und die muss es in jedem Ort geben, um Pferdegeschirre und weitere Arbeiten, die durch Treibriemen verrichtet wurden, zu reparieren. "Er war im Ort ein sehr wichtiger Mann." Doch Katz sei nicht nur wichtig gewesen, sondern auch beliebt. Vorsitzender des Sportvereins, Leiter der Theatergruppe in Groß Oesingen. "Einer von uns", sagt Müller. Bis die Nazis an die Macht kommen und Katz seinem Beruf offiziell nicht mehr nachgehen darf, nur weil er Jude ist.
Bezahlung in Naturalien
Doch für die Menschen in Groß Oesingen ist das kein Grund, sie beschäftigten Sattlermeister Katz weiter: "Für unseren Betrieb, wir hatten auch Pferde, hat er ebenfalls gearbeitet", erzählt Müller. "Und meine Mutter hat immer etwas für sie eingepackt." Es sei in Naturalien bezahlt worden, nur so habe auch die Familie Katz überleben können. Denn der jüdische Sattler und seine Frau kommen zum Ende des Krieges offiziell kaum noch an Lebensmittel. Denn diese sind rationiert. Katz bekommt ein Stück Butter aus der Molkerei, Brot vom Bäcker.
Warum helfen die Menschen Katz?
"Zwei Mal waren Gestapo-Leute da und wollten ihm das Haus wegnehmen", erinnert sich Jürgen Rohde. Der Bürgermeister habe das verhindern können. Wie, das wisse Rohde nicht. Er hat ein Buch über die wundersame Geschichte des Juden Julius Katz geschrieben und viele Details recherchiert. Doch er findet keine Erklärung, warum die Menschen in dem kleinen Ort Katz in dieser schweren Zeit unterstützen. Was Rohde besonders wundert: Einen Lehrer, Mitglied der SPD, jagen die Groß Oesinger aus dem Dorf: "Und was völlig verrückt ist: Es sind dieselben Leute, die den Juden Katz geschützt haben."
Nach Befreiung hilft Katz den Bewohnern
Während der gesamten Nazi-Zeit muss sich Katz nicht verstecken. Er trägt seinen gelben Juden-Stern nur selten, leistet keine Zwangsarbeit. Dann kommt der 13. April 1945. Hans-Heinrich Heine erinnert sich noch gut: Er wohnt schräg gegenüber vom Bürgermeisterhaus, ist ein Nachbar von Katz. Morgens um zehn Uhr befreien die Amerikaner Groß Oesingen. Sie kommen und suchen den damaligen Bürgermeister. "Dann haben wir denen das gezeigt. Und dann sind sie mit ihrem Jeep um die Ecke gefahren, mit ihren Maschinenpistolen in der Hand und rein", erzählt Heine. Drei oder vier Minuten später sei Katz mit seiner Brieftasche unter dem Arm den Befreiern hinterher marschiert. "Und unserem Bürgermeister ist nichts passiert."
"Persilschein" für den Bürgermeister
In der Folgezeit verhilft Katz nicht nur dem damaligen Bürgermeister Cordes zu einem sogenannten Persilschein. Er entlastet etwa den Polizisten, den Orts-Bauernführer und andere Groß Oesinger. Im Jahr 1957, zwölf Jahre nach Kriegsende, stirbt Katz. Auf dem Friedhof im Dorf steht heute ein Ehrenmal. Für den Zeitzeugen Heine ein wichtiges Denkmal: "Ich habe eine schöne Konfirmationskarte von Katz gekriegt. Darauf steht: 'Lass Deine Hände niemals ruhn, es gibt im Leben viel zu tun.'"