Stand: 10.08.2012 14:32 Uhr

Totgesagtes Opfer der DDR-Grenze lebt

"Schön, dass Herr Seiptius lebt"

Bis heute ist unklar, wie viele Menschen bis 1989 an der Grenze zwischen der Bundesrepublik und der DDR ums Leben gekommen sind. Eine viel beachtete Liste mit Todesopfern führt die "Arbeitsgemeinschaft 13. August" am Mauermuseum in Berlin. Auf dieser Liste steht bis heute der Name René Seiptius. Die Nachricht, dass Seiptius lebt, kam für die Direktorin des Mauermuseums, Alexandra Hildebrandt, überraschend. "Wir freuen uns, dass Herr Seiptius lebt", sagte sie im Gespräch mit NDR.de. Es gebe immer mal wieder Änderungen. "Die Liste ist kein Dogma, sie verändert sich von Jahr zu Jahr." Weshalb der Name René Seiptius irrtümlich in der Todesopfer-Liste geführt wird, will Hildebrandt nicht erklären. "Wir haben unsere Quellen, aber die geben wir nicht preis."

Die Opfer-Liste will Hildebrandt erst nach eingehender Prüfung korrigieren. "Das kann aber noch einige Zeit dauern." Am kommenden Montag veröffentlicht das Mauer-Museum die aktuelle Version ihrer Opfer-Liste - wie jedes Jahr am 13. August, dem Jahrestag des Mauerbaus.

Liste kommt auf den Prüfstand

Wahrscheinlich ist der Name Seiptius nicht der einzige, der fälschlicherweise auf der Liste steht. "Viele Fälle wurde nur vom Hörensagen aufgenommen, beispielsweise wenn Bewohner nahe der Grenze oder Verwandte von Fluchtversuchen berichteten", sagt Jochen Staadt vom Forschungsverbund SED-Staat an der Freien Universität Berlin. Der Experte für DDR-Geschichte geht davon aus, dass noch weitere Namen auf der Todesopfer-Liste stehen, die dort nicht hingehören.

Ein groß angelegtes Projekt von Bund und Ländern soll nun Klarheit bringen. Ziel ist, die Zahl der Opfer des DDR-Regimes an der innerdeutschen Grenze genau zu bestimmen. Staadt ist einer der beiden Projektleiter. "Es geht nicht nur darum eine möglichst korrekte Liste aufzustellen, vielmehr geht es auch darum, die Schicksale der Menschen zu beleuchten." Hierfür sollen auch die vorhandenen Stasi-Unterlagen ausgewertet werden. Denn das Ministerium für Staatssicherheit in der DDR verfolgte genau, was an der Grenze vorfiel. "Es gibt Unmassen von Akten aus der DDR-Zeit über die Fluchtversuche", erzählt Staadt. "Bei Todesfällen wurden die Akten zum Teil auch gesäubert." Denn die DDR-Regierung wollte nicht, dass diese Fälle bekannt werden. Einer der Geldgeber des Forschungsprojektes ist das Land Niedersachsen.

E-Mail von der Ex-Frau

Der Fall von René Seiptius ist durch einen Zufall ans Licht gekommen: Die Ex-Frau von René Seiptius hatte im Internet einen Artikel von NDR.de über die Selbstschussanlagenan der innerdeutschen Grenze gelesen. Dort ist auch die Liste der "Arbeitsgemeinschaft 13. August" erwähnt, auf der der Name René Seiptius zu finden ist. Daraufhin wandte sich Patricia Seiptius an den NDR mit der Bitte, die Angabe zu korrigieren. Ihr Ex-Mann habe den Fluchtversuch schwer verletzt überlebt.

Seiptius: Lange nichts davon gewusst

Dass er offiziell als ein Todesopfer der DDR-Grenzanlagen gilt, ahnte René Seiptius lange Zeit nicht. "Vor zwei Jahren hat mich dann aber ein Kunde darauf angesprochen, ob ich der Seiptius auf den Listen sei." Da sei er zunächst verdutzt gewesen. Aber letztlich sei es ihm egal. Die Erlebnisse aus der Fluchtnacht lassen ihn nicht los. Lange plagten ihn Albträume. Und die Verletzung am rechten Bein spürt er bis heute. Immer noch stecken einige Metallsplitter, die die Selbstschussanlage auf ihn abfeuerte, unter der Haut. "Die bleiben da jetzt auch drin", sagt der 48-Jährige. Einige Jahre nach seiner Ausreise in den Westen habe er sich von einem Arzt einen großen Splitter entfernen lassen. Den bewahrt er in einem kleinen Kästchen auf.

Zum zwanzigsten Jahrestages seines Fluchtversuches im Harz war Seiptius noch einmal in den Harz gereist. Das war 2001. An die Stelle im Wald, wo der Fluchtversuch gescheitert war. "Ich wollte den Ort einfach nochmal sehen." Den Ort, an dem sein Freund André Bauer am 7. August 1981 ums Leben kam.

Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Aktuell | 10.08.2012 | 18:20 Uhr

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