"Sie nahmen mit, was sie tragen konnten"
Immer wieder muss Helmut Engler an die wohl größte Katastrophe der Schifffahrt denken. Als sein Vater 1941 als Hafenmeister nach Gotenhafen abkommandiert wird, verlässt die ganze Familie die Heimatstadt Wilhelmshaven. Der 16-Jährige wird von den Nazis eingeteilt, Flüchtlinge an Bord der "Wilhelm Gustloff" zu bringen. Das 1937 bei Blohm + Voss in Hamburg vom Stapel gelaufene Kreuzfahrtschiff war urspünglich für 1.400 Passagiere gebaut. Als die "Wilhelm Gustloff" am 30. Januar 1945 zum letzten Mal ausläuft, sind mehr als 10.000 Menschen an Bord. "Gehetzt waren die Leute, die ankamen, weil sie ja schon etliche Kilometer hinter sich hatten", berichtet Engler. Viele lagen "vollkommen kaputt auf den Wagen".
Hoffnung für Flüchtlinge in Gotenhafen
Gotenhafen, das heutige Gdingen, ist am Ende des Zweiten Weltkrieges für viele Deutsche in den Ostgebieten der "Hafen der Hoffnung". Hier ankern die großen Schiffe, mit denen die Flüchtlinge über die Ostsee entkommen wollen. 120.000 Menschen, auf der Flucht vor der Roten Armee, sind im Januar 1945 in der Stadt. "Zum Großteil blieben ja Pferd und Wagen und das Gepäck am Kai stehen", erinnert sich Helmut Engler. "Die durften ja nur mitnehmen, was sie tragen konnten."
Reise in den Tod
Als die völlig überladene "Wilhelm Gustloff" am 30. Januar den Hafen in der Danziger Bucht verlässt, ahnen die Passagiere nicht, welches Schicksal sie erwartet. Nach achtstündiger Fahrt wird die "Wilhelm Gustloff" von drei russischen Torpedos getroffen. Mehr als 9.000 Menschen sterben in der eiskalten Ostsee - unter ihnen mehr als 5.000 Kinder. Helmut Engler kann und will die Tragödie nicht vergessen. Zu eng ist er mit der Geschichte der "Wilhelm Gustloff" verbunden. "Du hast Mutter und Kinder aufs Schiff gebracht. Du hast vielleicht dafür gesorgt, dass die untergegangen sind", macht sich Engler noch heute Vorwürfe.
Mit dem letzten Schiff nach Dänemark
Bereits kurze Zeit nach dem Untergang der "Wilhelm Gustloff" tritt auch Helmut Engler die Flucht über die Ostsee an. Der damals 16-Jährige begeht Fahnenflucht und ergattert einen Platz auf dem letzten Flüchtlingsschiff, das Gotenhafen verlässt. "Da sind wir Richtung Falster gefahren", erinnert sich Engler. Dann kam die Durchsage des Kommandanten: "Achtung! Achtung! Wir fahren durch eine deutsche Minensperre. Wir wissen nicht, wie die Minen liegen, weil wir keinen Plan haben." Unausweichlich musste der 16-Jährige an das versenkte Flüchtlingsschiff denken: "Hoffentlich geht es uns nicht so wie den Menschen auf der 'Gustloff'."
"Nie wieder!"
Doch die Englers haben mehr Glück als die Flüchtlinge auf dem ehemaligen "Kraft durch Freude"-Dampfer. Zusammen mit seiner Schwester Monika erlebt Helmut Engler das Kriegsende in einem Flüchtlingslager bei Kopenhagen. Von dort kehrt er später in seine zerstörte Heimatstadt Wilhelmshaven zurück. Seine Kriegserlebnisse haben in Engler zu einem tiefen Wunsch geführt: "Es möge nie wieder einen Menschen geben, der so etwas anzettelt."