Kavelstorfer heben 1989 geheimes DDR-Waffenlager aus
Sturmgewehre, Kalaschnikows, Pistolen und palettenweise Munition: Am 2. Dezember 1989 finden Einwohner von Kavelstorf ein geheimes Waffenlager - und decken so den Waffenhandel der DDR auf.
Dass "da irgendetwas nicht stimmt", denken sich die Anwohner des beschaulichen Dorfes Kavelstorf bei Rostock schon lange. Die Lagerhallen stehen auf streng abgeschirmtem Gelände, rund um die Uhr bewacht von jungen Männern. Deutrans Lkw biegen regelmäßig dorthin ab. Tischler Herbert Blascheck, der seine Werkstatt damals gegenüber des Geländes hat, stellt bereits zu DDR-Zeiten unangenehme Fragen. Er bekommt die Antwort, dort würden Waschmaschinen lagern. Geglaubt hat er das nicht - und so ist auch er mit dabei, als Kavelstorfer Anwohner sich im Dezember 1989 Zugang zum Gelände verschaffen. Was sie dann dort entdecken, übertrifft all ihre Erwartungen. Sie finden dort unter anderem tonnenweise scharfe Munition, Maschinenpistolen und Militärfahrzeuge - bis unter das Dach der zehn Meter hohen Lagerhalle. Von Kavelstorf aus hat der "Friedensstaat DDR" offenbar Waffen in alle Regionen der Welt exportiert.
Mit dem Geigerzähler in die Halle
Zeitzeuge Wolfram Vormelker, der die Halle damals mit einem Geigerzähler betritt, beschreibt es rückblickend als "unvorstellbar". Auch er gehörte zu jenen, die damals das streng geheime Waffenlager der DDR enttarnten. Waffen aller Art, aber auch illegale Nummernschilder lagerten dort. Dass dort mit Waffenteilen gehandelt würde, hatte er gehört, den Geigerzähler nimmt er mit, weil nach seinen Angaben auch mit urangeschützter Munition gehandelt wurde.
Kriegswaffen und Munition im Wert von 27 Millionen "Westmark"
"Wir sind in Tränen ausgebrochen", erinnert sich Zeitzeuge Herbert Blascheck. In den Kisten befinden sich Kriegswaffen und Munition im Wert von etwa 27 Millionen "Valutamark", bestimmt für den Export in Kriegsgebiete in aller Welt. Nie, so sagt Vormelker, hätte er gedacht, dass die DDR, die sich immer als Friedensstaat feierte, in solche Machenschaften verstrickt war. Der sogenannte "Friedensstaat" bricht damals für die Kavelstorfer beim Anblick der Lagerhalle in sich zusammen. "Wir waren nicht mehr da", sagt Blascheck. Den Kindern habe man gelehrt, man sei der "Friedensstaat". "Dieses hier war das Grausamste, dieses Lager hier", so Blascheck heute. Axel Peters, ebenfalls Zeitzeuge, war entsetzt. "Hier haben wir das erste Mal gesehen, dass das alles Lüge war", sagt er heute. "An diesem Tag für uns die Legitimation dieses Staates in sich zusammengebrochen", so Peters. Bereits am folgenden Tag reist er nach Rostock, um auf einer Demo die Öffentlichkeit zu informieren.
Der "Friedensstaat", der Kriegswaffen exportiert
Betrieben wird die Anlage von der Internationalen Messtechnik Import-Export GmbH (IMES). Das streng geheime Unternehmen verkauft Waffen und Munition in Krisengebiete und Entwicklungsländer weltweit. Hinter oder über allem steht der von der Stasi und vom Zentralkomitee der SED kontrollierte Bereich "Kommerzielle Koordinierung" (KoKo): Das Imperium des Alexander Schalck-Golodkowski, der im Auftrag der Partei- und Staatsführung Devisen beschafft und dabei freie Hand hat. Im Geflecht der KoKo ist der Waffenhandel für D-Mark und Dollar lukrativ, aber gefährlich. 1987 legt das Ministerium für Staatssicherheit ein Konzept für ein Waffenlager in Kavelstorf vor. Getarnt wird das Unterfangen vom Betriebsschutz in Uniform der Volkspolizei. Auch die Lage ist taktisch günstig gewählt: Das Gelände ist unmittelbar an der Autobahn gelegen, mit Gleisanschluss zum Überseehafen Rostock.
"Das war das Ende der DDR"
"Jedes DDR-Handelsschiff hat Waffen exportiert, das wussten wir damals nicht, das haben wir später recherchiert", sagt Vormelker. Denn Kavelstorf war nicht das einzige Waffenlager der damaligen DDR, so Vormelker. Auch in Dummerstorf und anderen Orten der DDR soll es solche Lager gegeben haben, mit Waffen, die dann über den Überseehafen Rostock verschifft wurden.
"Leichenhalle der DDR"
Gleich nachdem die Kavelstorfer das geheime Lager der IMES entdeckt und öffentlich gemacht haben, setzt sich Schalck-Golodkowski am 3. Dezember 1989 gen Westen ab. Die Waffen werden am 13. Dezember von der Volksmarine abtransportiert. "Die Entsorgung war schwierig. Wir hätten es gerne zerstört, aber das war technisch nicht möglich", so Vormelker. Später habe man erfahren, dass das Waffenmaterial über die Bundeswehr trotzdem nach Südafrika gelangte. "Das Geschäft war gelaufen, es wurde dafür gesorgt, dass es dort ankam." Als "Leichenhalle der DDR" bezeichnet Peters die Halle heute noch - "im übertragenen Sinne". Mit der Veröffentlichung damals sei die DDR gestorben. Am Folgetag treten das gesamte Zentralkomitee und das Politbüro zurück. Schalck-Golodkowski wird aus der Partei ausgeschlossen.