Ein Neues Rathaus aus der alten Zeit
Am 20. Juni 1913 war es geschafft. Kaiser Wilhelm II. reiste nach Hannover und weihte ein prächtiges Gebäude ein: das Neue Rathaus. Bescheidenheit war schon damals keine Tugend der Stadtoberen. Sie gönnten sich ein mächtiges Haus im Stil des Historismus - mit Türmchen und Erkern, Säulen, Rundbögen und als krönendem Schmuck einem quadratischen, fast 100 Meter hohen Turm mit mächtiger Kuppel. Heute - mehr als 100 Jahre später - erinnert der Bau viele Betrachter eher an ein Schloss als an ein Verwaltungsgebäude, das es noch immer ist.
Ein Palast für zehn Millionen Mark
Günstig war dieser Palast nicht zu bekommen. Mehr als zehn Millionen Mark - auch Goldmark genannt - investierte die Stadt in zwölf Jahren Bauzeit. Zu den immensen Kosten trug bei, dass das Neue Rathaus auf einem sumpfigen Gelände in der Nähe des Flusses Leine stehen sollte. 6.026 Buchenpfähle rammten Arbeiter in den Boden, um zu gewährleisten, dass das Gebäude nicht absackt. Außerdem verschlang der Bau der gewaltigen Kuppel so viel Geld, dass die kalkulierten Kosten von 4,5 Millionen Mark mehrfach nach oben korrigiert wurden. Verschulden musste sich Hannover dennoch nicht. Stolz berichtete Stadtdirektor Heinrich Tramm bei der Einweihung dem Kaiser: "Alles bar bezahlt, Majestät!"
Hannover wächst - die Verwaltung auch
Um die Jahrhundertwende hatte sich Hannover prächtig entwickelt. Als preußische Provinzhauptstadt stieg die Einwohnerzahl von 1871 bis 1912 um mehr als das Dreifache auf gut 300.000. Eingemeindungen, die fortschreitende Industrialisierung und der Bau neuer Wohnviertel ließen die Stadt wachsen - und mit ihr die Verwaltung. Das Alte Rathaus wurde zu klein. Die Suche nach einem geeigneten Standort für einen Neubau dauerte mehrere Jahre. Schließlich setzte sich Stadtdirektor Tramm mit seinem Vorschlag durch, die Altstadt in Richtung Süden zu erweitern. Das neue Haus sollte nur wenige Hundert Meter vom bisherigen Amtssitz entfernt gebaut werden.
Turm oder Kuppel?
Aus einem ersten Architektur-Wettbewerb ging ein Entwurf des hannoverschen Professors Hubert Stier hervor: ein Gebäude im neugotischen Stil mit hohem Turm. Restlos überzeugen konnte dieser Plan jedoch nicht. Besonders der Turm störte manche Kritiker, die für eine Kuppel plädierten. Schließlich rief die Stadt einen zweiten Wettbewerb aus, schrieb darin eine Kuppel vor und lud nur noch die sechs Bestplatzierten der ersten Runde ein. 1897 stand der Sieger fest: Hermann Eggert, ein renommierter Baurat aus Berlin, der unter anderem auch den Frankfurter Hauptbahnhof geplant hatte. Der erste Buchenpfahl, rund sieben Meter lang, wurde knapp vier Jahre später eingerammt. Am 30. Juni 1903 trafen sich die Stadtoberen zur Grundsteinlegung.
Eine gewaltige Aufgabe
Ingenieuren und Arbeitern stand eine Mammutaufgabe bevor: Das Neue Rathaus sollte 129 Meter breit, bis zu 76 Meter tief und mehr als 97 Meter hoch werden. Zwei Innenhöfe, eine mächtige offene Eingangshalle, Fest- und Sitzungssäle zur Südseite sowie Hunderte kleiner Amtsstuben waren für das Innere geplant. Tonnenschwere Sandsteinblöcke mussten bewegt, Hunderte Meter Gerüste aus Holz aufgebaut werden. Der schwierigste Bauabschnitt begann Ende 1906: die Kuppel über der zentralen Halle. Allein ihr Aufbau dauerte fast zwei Jahre. Obwohl das gesamte Gebäude noch längst nicht fertig war, zogen Ende 1907 die ersten Beamten in Büros im Erdgeschoss ein. Nach und nach nahmen immer mehr Mitarbeiter die neuen Arbeitsplätze in Beschlag.
Streit über den Innenausbau
Während die Hülle des Rathauses wie geplant wuchs, bahnte sich Streit über die Details des Innenausbaus an. Architekt Eggert wollte ein Gebäude aus einem Guss - im Stil des Historismus, angelehnt an die Neorenaissance. Der städtischen Baukommission, die den Rathausbau überwachte, erschien das nicht mehr modern genug. Sie plädierte für Elemente des aufkommenden Jugendstils. Der Konflikt führte schließlich dazu, dass der Vertrag mit Eggert aufgelöst wurde. Ende 1909 übernahm der Maler und Architekt Gustav Halmhuber die Verantwortung. Da weite Teile des Rathauses bereits vollendet waren, konzentrierte er sich darauf, die zentrale Halle, Säle und die Büros der Stadtoberen zu gestalten. An der Feier zur offiziellen Einweihung 1913 nahm der erste Architekt, Hermann Eggert, nicht teil.
Das rasche Ende droht
26. Juli 1943: Fast auf den Tag genau nach 30 Jahren drohte das Rathaus in Schutt und Asche zu versinken. Amerikanische Bomber flogen einen schweren Luftangriff auf Hannover. Ihr Ziel war auch die Innenstadt. Opernhaus, Marktkirche und Leineschloss wurden erheblich beschädigt. Auch im Neuen Rathaus, nur wenige Dutzend Meter entfernt, schlug eine Bombe ein, doch die Schäden hielten sich in Grenzen. In der Nacht auf den 9. Oktober 1943 wiederholte sich das Szenario. Der verheerendste Bombenangriff auf Hannover begann. Mehr als 250.000 Bomben gingen auf die Stadt nieder. Tausende Häuser brannten. Eine Bombe durchschlug die Rathauskuppel und setzte das Innere in Brand. Doch Helfer konnten die Flammen rasch eindämmen. Das Rathaus war getroffen, beschädigt, aber es stand.
Willkommen in einem offenen Haus
Heute ist das Rathaus neben dem Maschsee und den Herrenhäuser Gärten die bekannteste Sehenswürdigkeit Hannovers. Dort tagt der Rat, der Oberbürgermeister hat sein Zimmer im 1. Stock mit Blick auf den Maschpark. Keine Besuchergruppe versäumt einen Besuch in der großen Empfangshalle. Nur die vielerorts beliebte Gastronomie im Ratskeller fehlt in Hannover. Dennoch riecht es im Untergeschoss nach Essen, denn dort speisen mittags die Mitarbeiter.
Das Rathaus ist ein offenes Haus. Jeder kann durch das Portal schreiten und dem hohen Haus sogar aufs Dach steigen. Noch über der Kuppel befinden sich mehrere Aussichtsplattformen, von denen Besucher einen beeindruckenden Blick auf die Stadt und bis weit über deren Grenzen haben. Allein der Weg dorthin lohnt sich: In der dritten Etage startet ein weltweit einmaliger Bogenaufzug. Statt senkrecht nach oben zu fahren passt er sich im Inneren der Kuppel deren Rundung an.