"Freiheit für Angela!": DDR landet mit Angela Davis 1972 einen Coup
Erich Honecker und Angela Davis: Hier der Erste Sekretär des ZK der SED, da die schillernde US-Bürgerrechtlerin mit der markanten Frisur. Es ist ein Foto der Gegensätze - und zeigt doch den Höhepunkt einer perfekt inszenierten, monatelangen Kampagne.
Juni 1972. In den USA wird Angela Davis in allen Punkten freigesprochen. Sie war wegen Mordes, Menschenraubes und Verschwörung angeklagt. Fast zwei Jahre saß sie hinter Gittern. Nach ihrem Freispruch reist sie in die DDR, um sich für die Solidariätskampagne "Eine Million Rosen für Angela Davis" zu bedanken. Es ist - ein Propaganda-Coup für die SED-Führung.
Lastwagen voller Unterstützer-Post aus der DDR
In der ganzen DDR hatten sich zuvor Bürgerinnen und Bürger für Davis eingesetzt, hatten Briefe verfasst und vorgedruckte Karten ausgefüllt. Eine zentral gelenkte Kampagne, vom Zentralkomitee (ZK) der SED durchgestellt zu Schulen, Kindergärten, Massenorganisationen. Das Ergebnis: Am US-Gefängnis in Kalifornien fuhren Lastwagen mit Säcken voller Unterstützer-Post vor. Auch Schwerin stand auf den Absendern. Ute Robrahn zum Beispiel schrieb an Angela Davis, als sie im Schloss eine Ausbildung zur Erzieherin machte. "Wir könnten etwas tun, um sie aus dem Gefängnis zu befreien", erinnert sich Robrahn. "So wurde uns das propagiert."
Most wanted: USA stufen Davis als höchst gefährlich ein
Davis hatte sich für die schwarze Bürgerrechtsbewegung eingesetzt, war Mitglied der Black Panther Party, engagierte sich für schwarze Gefangene. Einer davon war George Jackson. Sein Bruder versuchte im August 1970, ihn gewaltsam aus einem Gerichtssaal zu befreien. Bei der Schießerei starben vier Menschen. Angela Davis wurde vorgeworfen, die Waffe besorgt zu haben, da diese auf ihren Namen gekauft worden war. Das FBI setzte sie auf die Liste der meistgesuchten Verbrecher der USA. Am 13. Oktober 1970 wurde sie verhaftet.
"Wunderbare Ablenkung vom eigenen Repressionssystem"
Weltweit glaubten Menschen daran, dass die Vorwürfe gegen Davis konstruiert waren, um die bekannte Black-Power-Aktivistin mundtot zu machen. In den USA, in Afrika, in Europa - überall gab es Proteste gegen die Verhaftung, ihre Freunde und Genossen starteten die Kampagne "Free Angela". Prominente schlossen sich an. Aretha Franklin wollte eine Kaution für Davis zahlen. John Lennon und Yoko Ono schrieben einen Song über sie ("Angela"), ebenso die Rolling Stones: "Sweet Black Angel".
In diese Kampagne, in diese Aktionen sei dann die DDR groß mit eingestiegen, sagt der Historiker Dr. Stefan Wolle. Mit Fällen von vermeintlicher Ungerechtigkeit, gerade in den USA, konnte die DDR-Führung "wunderbar ablenken vom eigenen Repressionssystem, von den eigenen politischen Gefangenen, den eigenen Verfolgungen." Im Fall von Davis konnte sich die DDR aufs hohe Ross der internationalen Solidarität schwingen, so Wolle.
Freispruch für Angela Davis - und ein Dank an die DDR
Am 4. Juni 1972 öffnen sich die Gefängnistore für Angela Davis. Die Tatvorwürfe lassen sich nicht beweisen, die Jury im Gerichtssaal hat einstimmig entschieden. Im September 1972 fliegt Davis in die DDR, um sich bei ihren Unterstützerinnen und Unterstützern zu bedanken. Sie sagt: "Diese Briefe haben meine Gefängniszelle aufgeschlossen."
In Berlin und Magdeburg wird Davis gefeiert, in Leipzig kommen 200.000 Menschen zu ihrem Auftritt. Die DDR-Führung inszeniert den Besuch, überhäuft die 28 Jahre alte Amerikanerin mit Auszeichnungen und Ehrungen - mit dem Großen Stern der Völkerfreundschaft und mit der Ehrendoktorwürde der Karl-Marx-Universität Leipzig. "Auf sie war Verlass", sagt der Historiker Stefan Wolle, "auch dass sie das Richtige sagte." Kritische Worte zur DDR hätte damals niemand befürchten müssen.
Davis-Auftritte kommen der DDR wie gerufen
1973 kommt Angela Davis noch einmal in die DDR, bei den Weltfestspielen in Ost-Berlin spricht sie den Appell an die Jugend der Welt. Zehntausende junge Menschen ziehen bei der Parade an ihr vorbei. "Das war organisiert bis ins Letzte", sagt Wolle. Das Mitmachen sei "freiwilliger Zwang" gewesen.
Die Auftritte von Angela Davis kamen für die DDR wie gerufen. "Erich Honecker wusste um seinen mäßigen Charme", so die Historikerin Kata Krasznahorkai gegenüber der Deutschen Welle. "Er brauchte starke Bilder mit einer emotionalen Wirkung."
Die DDR bindet Angela Davis perfekt ein. Zeigt sich mit ihr weltoffen. Solidarisch gegen Rassismus: So lautet die Botschaft nach außen. Und auch nach innen wirken ihre Besuche: Die Jugend soll wieder stärker auf Kurs gebracht und für den Aufbau des Sozialismus begeistert werden. Die Bilder dazu liefert Angela Davis. "Vieles hat ja nicht geklappt in der DDR", sagt Stefan Wolle. "Was aber immer geklappt hat, sind große Kampagnen."