Erste Babyklappe in Hamburg: Rettung für viele Neugeborene
Am 8. April 2000 ist in Hamburg Deutschlands erste Babyklappe eröffnet worden, in der Eltern anonym ihr Kind ablegen können - ein umstrittenes Projekt. Inzwischen gibt es bundesweit rund 100 dieser Einrichtungen.
Ronja ist heute 23 Jahre alt. Als Baby wurde sie im August 2001 von ihrer Mutter in die bundesweit erste Babyklappe in Hamburg-Altona gelegt. Die Nabelschnur war mit einer Gefrierbeutel-Klammer abgeklemmt. Ein Hinweis darauf, dass die Geburt ohne Hebamme und ohne Arzt ablief. "Wenn ich meine Mutter heute treffen würde, würde ich sie fragen: Warum hast du mich abgegeben?" Von ihrer leiblichen Mutter, die sie "Bauchmutter" nennt, weiß Ronja nichts. Keinen Namen, keinen Wohnort. Die Mutter hatte zwar damals einen Brief "mit wichtigen Informationen über die Familie" in die Babyklappe gelegt. Aber dieser Brief ging später beim Jugendamt verloren. "In meiner Jugend haben meine Adoptiveltern und ich mal eine Anzeige geschaltet, um mehr über meine Bauchmutter herauszufinden. Aber das hat nichts ergeben." Ronja ist bei ihren Adoptiveltern zusammen mit drei Geschwistern aufgewachsen. "Ich hatte eine sehr schöne Kindheit", sagt sie rückblickend.
Eine Alternative für Mütter in Not
Die Idee der Babyklappe findet die 23-Jährige gut. "Wenn es die Babyklappe nicht gegeben hätte, wäre ich heute wohl gar nicht hier." Und auch anderen Familien sei dadurch viel Leid erspart worden. Die Babyklappe, in der Ronja gefunden wurde, gibt es immer noch. Der Hamburger Verein Sternipark hatte sie am 8. April 2000 eröffnet - und war damit deutschlandweit Vorreiter. Seitdem können Mütter oder Väter hier unerkannt ihr Kind abgeben.
Im Jahr 1999 waren in Hamburg fünf Babys ausgesetzt worden - drei von ihnen konnten nur tot geborgen werden. Eine nackte Babyleiche wird sogar in einem Müllcontainer entdeckt. Die Bevölkerung ist schockiert. "Damals überlegten wir uns, wie wir Müttern in Not helfen können", berichtet Sternipark-Geschäftsführerin Leila Moysich. Bundesweit seien zu dieser Zeit - also vor den Babyklappen - 40 bis 50 Neugeborene pro Jahr ausgesetzt oder tot aufgefunden worden. "Schließlich ist die Idee der Babyklappe dann vor gut 25 Jahren am Frühstückstisch im Gespräch mit meinen Eltern entstanden", erzählt Moysich.
Anonyme Babyklappe: "Wir wollen Leben retten"
"Es geht darum, Leben zu retten", sagt die Babyklappen-Initiatorin. "Als wir gestartet sind, haben wir uns gesagt: Wenn in den ersten fünf Jahren auch nur eine Frau den Weg zu uns findet, statt ihr Kind auszusetzen, dann hat sich unsere Arbeit schon gelohnt." Tatsächlich waren es dann deutlich mehr. In den 25 Jahren seit Eröffnung sind in den anonymen "Babykörbchen" des Sterniparks insgesamt 60 Säuglinge abgegeben worden (Stand: April 2025).

Der Verein unterhält inzwischen drei Klappen: In der Goethestraße in Hamburg-Altona, in der Schönenfelder Straße in Hamburg-Wilhelmsburg und eine weitere im schleswig-holsteinischen Mittelangeln-Satrupholm. Mütter haben dort die Möglichkeit, ihre Kinder anonym abzugeben. Sobald sich die Klappe öffnet und ein Baby in das dahinter stehende Wärmebett gelegt wird, wird ein Alarm in einer Klinik oder bei einer Hebamme ausgelöst: Innerhalb weniger Minuten sind Helfer und notfalls Ärzte vor Ort, die sich um den Säugling kümmern.
"Im ersten Jahr wurden uns sieben Kinder übergeben, mittlerweile sind die Zahlen deutlich zurückgegangen", sagt die Sternipark-Geschäftsführerin. Momentan werde pro Jahr nur noch ein Baby in den drei Babyklappen des Vereins abgegeben. Das liege zum einen an der gestiegenen Zahl von Babyklappen - mittlerweile gebe es rund 100 in Deutschland. Zum anderen hätten sich durch Elternzeit, Elterngeld und den Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz auch die Lebensumstände für Mütter verbessert. "Da hat sich viel getan in Deutschland", ist Moysich überzeugt.
Babyklappen stoßen auf Kritik - bis heute

Die Einweihung der ersten Babyklappe hatte für heftige Diskussionen gesorgt. Befürworter sahen die Rettung der Kinder im Vordergrund. Gegner kritisierten, Mütter könnten ihre Kinder zu leicht "loswerden". Rechtlich bewegt sich das Ablegen eines Kindes in der Babyklappe in einer Grauzone. Die Eltern können aber davon ausgehen, dass sie straffrei bleiben. Denn die Tat wird als "Abgabe in Pflege" gewertet, womit der Straftatbestand einer Kindesaussetzung nicht vorliegt.
Babyklappen führten auch später noch zu Debatten. In einer Stellungnahme aus dem Jahr 2009 empfahl der Ethikrat eine Schließung. Die Angebote anonymer Kindesabgabe seien ethisch und rechtlich sehr problematisch, insbesondere weil sie das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Herkunft und auf Beziehung zu seinen Eltern verletzten, hieß es. Dieser Auffassung folgt auch der Kinderschutzbund: "Kinder haben ein Grundrecht auf Wissen um ihre Abstammung. Und wenn sie anonym in eine Babyklappe gelegt werden, haben sie keine Möglichkeit mehr, im Nachgang nachzuvollziehen, woher sie eigentlich stammen."
Viele Mütter überlegen es sich noch mal anders
Wird ein Kind in einer Babyklappe gefunden, stehen Pflegefamilien bereit, bis entweder Adoptiveltern gefunden werden oder sich die leiblichen Eltern melden. Acht Wochen lang haben Mutter oder Vater die Möglichkeit, ihr Kind wieder zurückzuholen.
Diese achtwöchige Frist war Biancas Glück. Sie hatte im Jahr 2024 ihren viereinhalb Wochen alten Sohn Leon in eine Babyklappe gelegt - holte ihn aber nach 14 Tagen zurück. "Nach der Geburt von Leon fühlte ich mich völlig kraftlos. Ich saß nur noch da und habe nichts mehr geschafft", berichtet Bianca, die sechs weitere Kinder hat. Was sie damals noch nicht wusste: Sie litt unter einer Schilddrüsen-Unterfunktion. Gegen den Widerstand des Vaters brachte sie Leon zur Babyklappe. Dort traf sie zufällig auf eine Sternipark-Mitarbeiterin und gab ihr ihre Handynummer. "Von da an waren wir ständig in Kontakt." Schließlich holte die Familie den Sohn wieder nach Hause. "Leon ist unser Sonnenschein. Wir würden ihn nie wieder hergeben", sagt Bianca heute. Warum hat sie nach der Geburt von Leon nicht die Behörden um Hilfe gebeten? "Ich hatte Angst, dass mir das Jugendamt alle meine Kinder wegnimmt."
Bianca und Leon sind kein Einzelfall. Von den bislang 60 Fällen, bei denen ein Kind in einer der drei Sternipark-Babyklappen abgegeben wurde, haben 17 Mütter ihr Kind zurückgenommen.
Von der Babyklappe zum Hilfsangebot für Schwangere in Not
Für Sternipark sei von Anfang an klar gewesen, dass es neben den Babyklappen auch schon vor der Geburt Hilfsangebote für Mütter in Not geben müsse. "Keine Mutter macht es sich leicht, ihr Baby abzugeben", sagt Moysich. Deshalb gibt es die kostenfreie Telefonnummer 0800-4560789, die rund um die Uhr erreichbar ist. Darüber werden Schwangere und junge Mütter in Not beraten, weitere Hilfsangebote zur Verfügung gestellt und bei Bedarf auch die anonyme Übernahme eines Säuglings vereinbart.
"Vertrauliche Geburten" seit Mai 2014 möglich
Auch Frauen, die sich für eine anonyme Geburt in einem Krankenhaus entscheiden, finden Beratung - und im Bedarfsfall einen Wohnplatz sowie eine Betreuung der Kinder durch Pflegeeltern. So soll den Müttern möglichst viel Zeit gegeben werden, sich eventuell doch noch für ein Leben mit dem Kind zu entscheiden. Sternipark hat nach eigenen Angaben inzwischen mehr als 850 anonyme Geburten begleitet - wobei nur 27 Mütter tatsächlich anonym geblieben seien. "Rund 60 Prozent der Mütter haben sich später doch noch für ein Leben mit ihrem Kind entschieden", berichtet Moysich. Die anderen Kinder wurden zur Adoption freigegeben.
Nach 16 Jahren erfährt das Kind, wer seine Mutter ist
Gesetzlich verankert ist die Möglichkeit einer sogenannten vertraulichen Geburt seit Mai 2014. Todesfälle vernachlässigter Kinder und ausgesetzte Säuglinge hatten die Politik trotz des Erfolgs von Babyklappen immer wieder unter Zugzwang gesetzt - und letztlich zu einer Veränderung der rechtlichen Rahmenbedingungen von Schwangeren in Not geführt. Das zugrunde liegende Gesetz soll laut Bundesfamilienministerium "heimliche Geburten außerhalb von medizinischen Einrichtungen vermeiden und gleichzeitig verhindern, dass Neugeborene anonym abgegeben, ausgesetzt oder getötet werden". Der leiblichen Mutter werden 16 Jahre Anonymität zugesichert. Nach Ablauf dieser Zeit haben Kinder wiederum die Möglichkeit, ihre Herkunft in Erfahrung zu bringen. Die Mutter muss dafür bei der Geburt ihre persönlichen Daten in einem Umschlag hinterlassen.
Kinderschutzbund lobt Alternative zur Babyklappe
Der Kinderschutzbund sieht in der "vertraulichen Geburt" ein viel besseres Instrument als die Babyklappe - mit Blick auf die Gesundheit und die Rechte des Kindes. "Für die vertrauliche Geburt als Alternative zur Babyklappe müsste aus unserer Sicht noch mehr geworben werden", sagt Bundesgeschäftsführer Daniel Grein. Hier seien neben den Krankenhäusern und Schwangerschafts-Konfliktberatungen auch die Gynäkologen und Gynäkologinnen gefragt. "Es steht uns nicht an, Mütter in ihrer Notlage moralisch zu beurteilen. Wir sollten vielmehr die Kinder in den Blick nehmen und für sie das bestmögliche Angebot schaffen", so Grein. Und dies sei eben nicht die Babyklappe, sondern Beratung und die "vertrauliche Geburt".
Einen Erfolg haben die Babyklappen des Hamburger Vereins Sternipark auf jeden Fall zu verzeichnen. "Seit es die Klappen gibt, ist in Hamburg kein Neugeborenes mehr ausgesetzt oder tot aufgefunden worden", sagt Geschäftsführerin Moysich stolz.
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