Axel Kruse, der Scherz und die Stasi
Von Hansa Rostock Anfang der 80er als Talent entdeckt, wird der DDR-Fußballer Axel Kruse schnell zum Stammspieler. Nach einem Spiel gegen Schalke 04 hat die Staatssicherheit den Stürmer plötzlich im Visier.
Am 22. Oktober 1986 trifft der DDR-Fußballclub Hansa Rostock zu Hause auf Schalke 04, Ost gegen West - ein Spiel im Kalten Krieg. "Der Club-Vorsitzende, der Parteisekretär ... Hier waren alle angespannt", erinnert sich Axel Kruse. Er ist damals 19, stürmt für Hansa. "90 Minuten Klassenkampf: Das wollte man uns eintrichtern." Rostock gewinnt tatsächlich 2:1, beide Male ist der junge Kruse der Torschütze. Was er nicht ahnt: Gleich nach der Partie ist die Staatssicherheit alarmiert. Seinetwegen.
"Das war schon ein ganz besonderes Spiel", blickt Axel Kruse heute zurück. Das Ostseestadion: ausverkauft. Der Gegner: Schalke 04, der Traditionsverein aus der Bundesliga. "Man durfte es nicht so laut sagen, aber: Wir fanden's natürlich toll, uns mit den Stars aus dem Westen zu messen." Mit Stars wie Olaf Thon etwa, dem späteren Weltmeister.
Schalke 04 bei Hansa in Rostock: Abenteuer DDR-Reise
Für Schalke ist die Reise vor allem eines: ein Abenteuer. Die DDR, ein unbekanntes Land. "Der Manager hat uns vorher gesagt, dass wir uns benehmen sollen." Gerade bei der Passkontrolle an der Grenze: keine flapsigen Bemerkungen, keine Späße. "Daran haben wir uns gehalten", so Thon. Das Spiel selbst ist für Schalke eher eine Pflichtübung, ein von den Sportverbänden arrangiertes Freundschaftsspiel.
Gegen den Klassenfeind soll unbedingt ein Sieg her
Ganz anders bei Hansa. "Alle waren heiß", so Axel Kruse. Schließlich geht's gegen den Klassenfeind, das Spiel wird als "internationaler Fußballvergleich" angekündigt. An diesem 22. Oktober 1986 soll unbedingt ein Sieg her, mit allen Mitteln. Eine Stunde vor dem Anpfiff habe er drei Tabletten bekommen, erinnert sich Kruse. Was er genau eingenommen hat, weiß er nicht, "aber ich sag' mal so: Magnesium war das nicht."
Es läuft für ihn an diesem Abend. 7. Minute, 1:0 Kruse. Ein halbhoher Schuss aus zwölf Metern. 38. Minute, 2:0 Kruse. Ein Schlenzer ins rechte untere Toreck. Endstand 2:1. Ein verdienter Erfolg der "kampf- und einsatzstarken Gastgeber", schreibt die "Ostsee-Zeitung" am nächsten Tag. Der Sieg ist vor allem ein Prestige-Erfolg. Für den Fußball in der DDR, für die Offiziellen des Clubs.
"Wir nehmen euren Kruse mit"
Alles hat funktioniert - wenn nur Schalkes Präsident nicht gewesen wäre. "Wir nehmen euren Kruse mit und lassen dafür unseren Kruse hier", scherzt Hans-Joachim Fenne nach dem Spiel. Axel Kruse im Tausch mit Namensvetter Thomas Kruse, dem Schalker Abwehrspieler? Ein IM der Staatssicherheit hört das mit und gibt den Spruch sofort zu Protokoll. "Allein schon diese Äußerung könnte dazu geführt haben, dass Kruse seinen Status als Reisekader verlor", sagt Dr. René Wiese vom Zentrum deutsche Sportgeschichte. Der Historiker forscht unter anderem zum Leistungssportsystem der DDR und zur deutsch-deutschen Beziehung im Sport.
"Das wird Ärger geben"
"Mir war klar: Das finden die nicht lustig", sagt auch Axel Kruse. "Das wird Ärger geben." Und Kruse bekommt Ärger. Mit dem Schalke-Spiel gerät er ins Visier der Stasi. Als er im Jugendclub "Greif" angeblich erzählt, dass ein Freund und er bei nächster Gelegenheit im Westen bleiben würden, wird er kurz darauf vom Trainingsgelände abgeholt und stundenlang verhört. "Das war der Horror", erinnert sich Kruse.
Kruse wird gesperrt - die Karriere steht auf dem Spiel
Die Staatssicherheit eröffnet die OPK "Junior" - eine Operative Personenkontrolle. Kruse wird überprüft. Abgehört. Beobachtet. Ohne Ergebnis. Und trotzdem sperrt man ihn für Spiele im Ausland. Er verpasst unter anderem die Junioren-WM in Chile und einen weiteren "internationalen Fußballvergleich" mit Hansa Rostock: das Rückspiel 1987 auf Schalke. "Kurz zuvor musste ich zum Club-Vorsitzenden", so Kruse. "Er sagte, ich solle zu meinen Eltern fahren. Sonst würden in Rostock Gerüchte entstehen, weshalb ich nicht mit in Gelsenkirchen bin."
Für den Hansa-Stürmer steht viel auf dem Spiel. "Genosse Lange schätzt ein", heißt es in einem Vermerk der Staatssicherheit vom 7. August 1987, "dass bei Aufrechterhaltung der Nichtbestätigung als Sportreisekader nur die Alternative bleibt, dass Kruse aus dem Leistungssport ausscheidet."
"Im Prinzip haben die mich zur Flucht gedrängt"
Es dauert, bis er wieder mit Hansa ins westliche Ausland reisen darf. Vor dem Intertoto-Spiel im Juli 1989 in Kopenhagen nutzt Kruse die Chance und flieht aus dem Mannschaftshotel. Er schließt sich Hertha BSC an und wird erfolgreicher Bundesliga-Spieler mit 141 Einsätzen für Berlin, Frankfurt, Stuttgart. Seine Karriere - ungewollt beschleunigt von der Staatssicherheit. "Im Prinzip haben die mich zur Flucht gedrängt", sagt Axel Kruse. Fast drei Jahre lang. Seit dem Spiel gegen Schalke.