Stand: 08.11.2014 17:38 Uhr

Wo die Synagogen-Brandstifter später kamen

Die ehemalige Stadthäger Synagoge ist ein farbloser, schlichter Bau - keine Sehenswürdigkeit, für die man von weither anreisen müsste. Aber sie ist Schauplatz einer außergewöhnlichen Geschichte. Eine Geschichte, von der die Stadthäger lange Zeit nichts ahnten. Klar war, dass Nationalsozialisten die Synagoge in Brand gesetzt hatten. Als Datum nahmen Stadthistoriker den 9. November 1938 an - den Tag der Reichspogromnacht. Unzählige Synagogen wurden im Laufe dieser Nacht in ganz Deutschland zerstört. Erst Ende der 80er-Jahre stellte sich heraus, dass die Stadthäger Synagoge erst zwei Nächte später angezündet wurde. Das Feuer konnte jedoch schnell gelöscht werden - und so steht die Synagoge bis heute in einem Hinterhof der Altstadt. Während die Historiker noch rätseln, warum der Anschlag verspätet durchgeführt wurde, sind die Bürger Stadthagens aktiv geworden, um das ehemalige Gebetshaus in eine Gedenkstätte umzuwandeln.

Teppiche statt Thorarolle

So wie die genauen Geschehnisse des Jahres 1938 lange unbekannt waren, so war auch die Synagoge selbst in Vergessenheit geraten. Lange Zeit diente das Gebäude als Lagerhaus für ein benachbartes Farben-, Tapeten- und Teppichgeschäft. Efeu bedeckte größtenteils die Fassade. "Das änderte sich erstmals 1988, zum 50. Jahrestag der 'Reichskristallnacht'", erinnert sich Jürgen Lingner, der stellvertretende Vorsitzende des Synagogen-Fördervereins. Der Bürgermeister brachte damals eine kleine Gedenktafel an der Fassade an. "Aber davor und danach war die Synagoge so gut wie vergessen", sagt Lingner.

Erst als im Jahr 2007 ein Künstler in der Innenstadt eine Gedenkstele für die Opfer des Nationalsozialismus anregte, erinnerten sich die Stadthäger an die frühere Synagoge. Dort soll nun ein Mahnmal an die Verbrechen im Dritten Reich erinnern. In Kürze wird der Bau aufwendig saniert. Die Bauarbeiten sollen nach dem Winter beginnen. Der Förderverein ehemalige Synagoge Stadthagen gibt die Kosten mit 450.000 Euro an.

Jahrhundertelanges Ringen um eine Synagoge

Die Synagoge ist mehr als 150 Jahre  alt. 1858 weihte die Israelitische Gemeinde von Stadthagen das Gotteshaus ein - zuvor hatte sie sich jahrhundertelang vergeblich um eine Synagoge bemüht. Schon 1635 hatten die Juden einen Antrag gestellt, die Stadt lehnte ab. So mussten sie sich weiter mit Gebetsräumen in Wohnhäusern begnügen.

Mitte des 19. Jahrhunderts wandelten sich die Zeiten für die Juden zum Besseren. Eine besondere Rolle für die Stadthäger Juden spielte der Leinen-Fabrikant Isaac Raphael Salfeld, der in Stadthagen und Umgebung 400 Weber beschäftigte und seinen Leinen bis nach Westindien lieferte. Salfeld forderte Anfang 1848 als Vorsitzender der Israelitischen Gemeinde die volle politische und bürgerliche Gleichberechtigung der Juden, die Ende 1848 per Gesetz dann auch gewährt wurde. Wenige Jahre später stimmte die Stadt dem Bau einer Synagoge in einem Hinterhof zu. Das Gebäude ist bis heute erhalten - der Schrein für die Thorarolle und das runde Fenster sind immer noch gut an der Fassade zu erkennen.

1933 ändert sich alles

Bis zur Zeit des Nationalsozialismus konnten die Juden ein ruhiges Leben in Stadthagen führen. Auch die christlichen Einwohner kauften gerne im Kaufhaus des Geschäftmanns Elias Lion und gingen in jüdischen Gastwirtschaften essen. Man vertraute jüdischen Ärzten und mietete von Juden eine Wohnung. 1933 änderte sich die Stimmung. Damals lebten 62 Juden unter den 8.000 Bewohnern. Die Nationalsozialisten schikanierten, erniedrigten und bedrohten die Juden in den folgenden Jahren. Ende 1938 verschlimmerte sich die Lage weiter.

Ein Funkspruch und ein Brand

Am frühen Morgen des 9. November 1938 geht bei der Stadthäger Polizei ein Funkspruch der Gestapo Bielefeld ein: "Es werden in kürzester Frist in ganz Deutschland Aktionen gegen Juden - insbesondere gegen Synagogen - stattfinden. (...) Es ist die Festnahme männlicher Juden von nicht zu hohem Alter und die vermögend sind, durchzuführen." Doch in Stadthagen brennt die Synagoge nicht in der Nacht zum 10. November, sondern erst zwei Nächte später. Zwei Nachbarn melden das Feuer gegen 4 Uhr morgens. Ein Seitenfenster ist eingeschlagen, in der Mitte der Synagoge brennt ein großer Holzstoß. Der ganze Raum ist in dichten Rauch gehüllt. Mit Wassereimern gelingt es den Helfern schnell, das Feuer zu löschen. Der Schaden an Altar und Sitzbänken ist nur gering. Die Brandstifter werden nie ermittelt, vermutlich handelt es sich um SA-Männer aus dem 20 Kilometer entfernten Bückeburg.

Das Rätsel der verspäteten Brandstiftung

Unklar ist bis heute, warum die Nationalsozialisten die Synagoge erst zwei Tage nach der "Reichskristallnacht" in Brand steckten. Der damalige Bürgermeister von Stadthagen, Fritz Hamelberg, sagte nach Kriegsende aus, er habe eine solche Aktion gegen die Juden in seiner Stadt nicht gewünscht. Als er kurz nach der "Reichskristallnacht" verreist sei, hätten die Brandstifter die Gelegenheit genutzt, doch noch zuzuschlagen. Aber die Aussage Hamelbergs kann auch eine reine Schutzbehauptung sein. Das sieht auch Jürgen Lingner so. Er hat die Geschichte der Stadthäger Juden erforscht. "Bürgermeister Hamelberg war ein Nationalsozialist, aber er war kein ausgesprochener Scharfmacher."

"Eine isolierte Aktion ohne Befehl"

"Es ist ungewöhnlich, dass die Stadthäger Synagoge erst am 12. November in Brand gesetzt wurde", sagt der Leiter des Zentrums für Holocaust-Studien in München, Frank Bajohr, im Gespräch mit NDR.de. Es sei sicherlich eine isolierte Aktion von SA-Männern gewesen, die ohne ausdrücklichen Befehl von oben handelten. "Denn die Befehlslage war zu dem Zeitpunkt schon so, dass aufgrund von Protesten in der Bevölkerung ein Abbruch der Aktionen gegen Juden angeordnet war", sagt Bajohr.

Nur eine KZ-Überlebende

Im Zuge der Reichspogromnacht werden auch einige Stadthäger Juden verhaftet und am 12. November 1938 ins KZ Buchenwald abtransportiert. Sie können aber nach wenigen Monaten nach Stadthagen zurückkehren. Viele Juden entschließen sich dann auszuwandern. Von 1933 bis 1939 verlassen insgesamt 32 Stadthäger Juden und Jüdinnen ihre Heimatstadt. Andere, die es später noch versuchten, gelingt es nicht mehr zu entkommen. Von Dezember 1941 bis Juli 1942 werden die verbliebenen jüdischen Männer, Frauen und Kinder in Konzentrationslager deportiert. 25 von ihnen werden ermordet, nur eine Frau überlebt das Grauen: Irma Rosenfeld. Sie kehrt zunächst nach Stadthagen zurück, wo sie vergeblich versucht, ihren Besitz zurückzuerlangen. Sie wandert 1948 aus.

Das Grundstück mit der Synagoge wird 1942 an den Kaufmann Karl Dohme verkauft. In einem Wiedergutmachungsverfahren wird 1952 ein Vergleich zwischen ihm und der Jewish Trust Corporation geschlossen. Der Bau dient fortan als Lagerhaus.

Viele Spenden ermöglichen den Umbau

Eine jüdische Gemeinde gibt es nicht mehr in Stadthagen. Deshalb soll aus der ehemaligen Synagoge ein Gedenk- und Lernort werden. "Wir arbeiten eng mit den Schulen in Stadthagen zusammen", sagt Lingner vom Förderverein. Die Klassen sollen vor Ort nicht nur viel über das "Dritte Reich" erfahren, sondern auch über Themen wie Rassismus und Menschenrechte. "Es hat einige Jahre gedauert, um das Geld für den Umbau zusammenzubekommen", berichtet Lingner. Aber nun könne es bald losgehen. Viele Spender hätten dazu beigetragen. Die größte Spende kommt aus den USA, von der Erwin-Rautenberg-Stiftung. Erwin Rautenberg war ein Bückeburger Jude, der 1937 auswanderte und in den USA ein Vermögen als Spediteur machte. Aber auch die Stadt, der Landkreis und die Umweltlotterie "Bingo" haben bei der Finanzierung geholfen. "Es wäre schön, wenn wir die umgebaute Synagoge im nächsten Jahr am Jahrestag der Reichspogromnacht eröffnen könnten", meint Lingner.

Geschichte
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Dieses Thema im Programm:

NDR Info | 09.11.2013 | 07:20 Uhr

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