Kleines Mausoleum mit großem Schatz
Lange Zeit haben die Stadthäger nicht gewusst, welcher Kunstschatz sich in ihrer Stadt befindet. Klar, das unscheinbare Mausoleum hinter der St. Martini-Kirche ist den meisten ein Begriff. Aber dass es als eines der bedeutendsten Gesamtkunstwerke des nordeuropäischen Raumes gilt, war nur den wenigsten bekannt. Inzwischen machen sich Kunstinteressierte aus aller Welt auf, um einen Blick in die Grabstätte von Fürst Ernst von Holstein-Schaumburg (1569-1622) zu werfen. Erst seit einigen Jahren gibt es regelmäßige Öffnungszeiten. Dabei war schon so mancher Reisende von dem kleinen Mausoleum fasziniert: "Das Monument könnte selbst der Abtei von Westminster in London zur Zierde gereichen", vermerkte der Göttinger Gelehrte Georg Christoph Lichtenberg 1772 nach einem Besuch in Stadthagen.
Nur das Beste war gut genug
Das Mausoleum ist in vieler Hinsicht einzigartig. Von unermesslichem Wert sind die Bronzefiguren, die der berühmte Bildhauer Adriaen de Vries (um 1556-1626) für den Grabbau schuf. Sie zeigen die Auferstehung Christi. Der gebürtige Niederländer galt bereits zu Lebzeiten als bedeutendster Bildhauer des frühen 17. Jahrhunderts, er war am Hof von Kaiser Rudolph II. in Prag tätig. Dass er einen Auftrag für den machtpolitisch eher unbedeutenden Grafen aus Norddeutschland annahm, ist ungewöhnlich. "Aber Ernst gab sich nur mit dem Allerbesten zufrieden", weiß Mausoleum-Experte Udo Jobst. Und das nötige Geld habe er auch gehabt.
Graf Ernst wollte Fürst werden
Auf mehreren Italienreisen hatte Ernst die Kunst der Renaissance schätzen gelernt. So reichte es ihm nicht, - wie damals üblich - für sich ein Grabmal aus Marmor in der Stadtkirche aufstellen zu lassen. Der ehrgeizige Herrscher wählte eine für den nordeuropäischen Raum ungewöhnliche Form: das Mausoleum. Mit dem kostspieligen Bau wollte er seinen Anspruch auf den Fürstenstand untermauern. Dieses Ziel erreichte er schließlich 1619, drei Jahre vor seinem Tod.
Stadthagen war zu der Zeit schon nicht mehr die Residenzstadt. Ernst hatte seinen Hof 1607/1608 ins rund 20 Kilometer entfernte Bückeburg verlegt. Aber für den Standort des Mausoleums kam nur Stadthagen infrage. Schon die Eltern von Ernst waren in der St. Martini-Kirche bestattet worden. Ernst entschied sich für einen Zentralbau vor dem Chor der Kirche. Es sollte eines der herausragenden Grabmonumente der Spätrenaissance entstehen.
Streit mit dem Architekten
Ursprünglich sollte der kursächsische Hofarchitekt in Dresden, Giovanni Maria Nosseni, das Mausoleum erbauen. Mit ihm schloss Ernst 1608 einen Vertrag über die Errichtung der "kleinen Capellen". Nosseni lieferte den Entwurf für den Bau. Aber nach langen Streitigkeiten kündigte Ernst 1612 den Vertrag. Der Architekt hatte seine Geldforderungen mit fadenscheinigen Argumenten um 75 Prozent erhöht. Der Graf schrieb Nosseni, er lasse solche "crummen Dinge" nicht mit sich machen. Die Bauleitung übernahm später Anton Boten, der auch Gemälde für das Mausoleum beisteuerte.
Seltenes Siebeneck
Schon der Grundriss ist ungewöhnlich. "Es ist das einzige Hallen-Bauwerk der Welt, das als Siebeneck verwirklicht wurde", sagt Jobst. Der Stadthäger hat sich in der Fachwelt einen Namen als Mausoleum-Experte und Adrian-de-Vries-Kenner gemacht. "Ernst höchstpersönlich hat entscheiden, dass sein Grabmal ein Siebeneck sein solle." Anfangs hätten die Entwürfe von Nosseni noch ein Achteck vorgesehen.
Der Fürst sah sein Mausoleum nicht mehr
Den Innenraum prägen die Bronzefiguren von Adriaen de Vries. Der Bildhauer selbst reiste nie nach Stadthagen. Er schickte seine 13 Bronzefiguren und sechs Reliefs in der Zeit von 1618 bis 1622 nach und nach aus Prag. Per Schiff gelangten die Kunstwerke nach Hamburg, dann auf dem Landweg nach Stadthagen. Als der Fürst am 17. Januar 1622 in Bückeburg starb, standen zwar schon die Bronzefiguren bereit. Aber mit dem Bau des Grabmals in Stadthagen war noch nicht begonnen worden. Der Fürst wurde zunächst im Altarbereich der St. Martini-Kirche bestattet, kurz darauf legten die Handwerker los.
Als das Mausoleum 1625 im Rohbau fertiggestellt war, überführte man den Leichnam des Fürsten wenige Meter weiter in die Gruft unter dem monumentalen Grabbau. Bis heute liegen dort 28 Menschen aus den Fürstenfamilien der Holstein-Schaumburger und der Schaumburg-Lipper. "Die Gruft ist gerappelt voll", weiß Jobst. "Dabei hatte Ernst die Gruft nur für vier Personen gedacht: seine Eltern, seine Frau und für sich selbst." Die letzte Bestattung datiert aus dem Jahr 1910. Später baute sich die Fürstenfamilie ein weiteres Mausoleum in Bückeburg.
Pilgerort für Kunsthistoriker
Die Auferstehungsgruppe aus Bronze ist nach dem Tode des Fürsten im Mausoleum von Stadthagen aufgestellt worden. Es ist weltweit das einzige Kunstwerk von Adriaen de Vries, das noch an seinem Original-Standort zu sehen ist. Fast alles ist genau so erhalten, wie es vor knapp 400 Jahren entstanden ist. "Nur der Fußboden ist Ende des 19. Jahrhunderts originalgetreu neu verlegt worden", erzählt Jobst. Von 2003 bis 2010 wurde das Fürsten-Mausoleum für 1,2 Millionen Euro aufwendig saniert.
Rätsel um die Bronzefiguren
Die Bronzefiguren sahen früher nicht so dunkel aus wie heute. Ein Foto aus dem Jahr 1897 zeigt, dass die Figuren goldfarben waren. Lange Zeit rätselte die Fachwelt über den Grund der Verfärbung. Jobst ist sich sicher, dass die sonderbare Farbwandlung durch ein Versehen zustande kam. Und zwar, als die Stadthäger vor etwa hundert Jahren - wie es damals üblich war - die Gruft aus hygienischen Gründen mit Schwefel ausräucherten. "Die Schwefeldämpfe gelangten dann über Lüftungsschächte in das Mausoleum", erzählt Jobst. In einer unvorhergesehenen chemischen Reaktion dunkelte die Legierung der Figuren ein. "Mit einem Pinsel hätte man auch niemals alle Stellen der Figuren umfärben können."
Eines Tages Weltkulturerbe?
Nur einmal in knapp 400 Jahren haben die Bronzefiguren das Mausoleum verlassen: für eine Ausstellung in München im Jahr 2004. Mit Spezialkränen mussten die Figuren herausgehoben werden. "Die Figuren sind einmal verreist - und bestimmt nie wieder", sagt Jobst. Zu kostbar seien die Figuren, eine Beschädigung oder gar ein Verlust zu schmerzhaft für die Stadt. Denn der Stadthäger Mausoleum-Experte sieht den Bau auf Augenhöhe mit anderen Baudenkmälern auf der Liste der UNESCO-Welterbestätten. Ein Gutachten räumt dem Mausoleum sogar gute Chancen ein, eines Tages als Weltkulturerbe geführt zu werden. Aber das ist noch ein weiter Weg.