Modernes Land aus Trümmern gewachsen
Niedersachsen hat Geburtstag. Am 1. November 1946, also genau vor 70 Jahren, hieß es: Aus vier mach eins. Die alten Länder Hannover, Braunschweig, Oldenburg und Schaumburg-Lippe wurden per Verordnung der britischen Militärverwaltung zum großen Niedersachsen. Zuwanderung und Identität spielten damals wie heute eine große Rolle. Statt einer großen Geburtstagsparty gab es am Dienstagabend ein wissenschaftliches Symposium im wiederaufgebauten Schloss Herrenhausen in Hannover. In der Reihe "Forum für Zeitgeschichte" der Volkswagenstiftung ging es um die Frage, wie Migration das Land Niedersachsen in 70 Jahren verändert hat.
Regionale Identitäten und die Niedersachsen-Identität
Besonders in Oldenburg und Braunschweig hatten die Menschen kurz nach dem Zweiten Weltkrieg große Vorbehalte gegen das neue Land. Heute, 70 Jahre später, ist der Ärger verflogen. Niedersachsen habe sich gemacht, sagte Landtagspräsident Bernd Busemann (CDU) im Gespräch mit NDR 1 Niedersachsen. Politik wäre nicht möglich gewesen, wenn "wir den Ostfriesen verboten hätten, Ostfriesen zu sein". Die regionalen Identitäten wurden gewahrt - und weiterentwickelt. "Sie begreifen sich durchaus als Niedersachsen. Das ist besser geworden. Es gibt eine Niedersachsen-Identität".
Viel Wirtschaftskraft und Lebensqualität
Busemann nahm am Abend ebenso wie der Generalsekretär der Volkswagen-Stiftung, Wilhelm Krull, Stephan Leibfried von der Universität Bremen und Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) an einer Podiumsdiskussion über die Zukunftsperspektiven des Landes teil. Weil sagte im Vorfeld gegenüber NDR 1 Niedersachsen: "Ich würde mir wünschen, dass sie einfach so weiter ginge: diese unglaubliche Entwicklung von einem Land in Trümmern mit Flüchtlingen ohne Ende hin zu einem modernen Land mit viel Wirtschaftskraft, aber auch sehr viel Lebensqualität." Weil sagte, Niedersachsen könne die Herausforderungen der Zukunft zuversichtlich angehen.
Weil: Bevölkerung muss weiter wachsen
Der ländliche Raum, der Niedersachsen präge, stehe wegen des demografischen und strukturellen Wandels vor gravierenden Veränderungen, schrieb Weil zudem in einem Gastbeitrag für die "Neue Osnabrücker Zeitung" (Dienstagsausgabe). Dies führe dazu, dass etwa niedergelassene Ärzte keine Nachfolger für ihre Praxis fänden oder das Angebot im Nahverkehr eingeschränkt werde. Einzelnes davon sei zwar zu verschmerzen, in der Summe aber führe das zu grundlegend schlechteren Lebens- und Wirtschaftsbedingungen, so Weil. "Deshalb müssen wir alles daran setzen, dass Niedersachsens Bevölkerung wächst. Nach vielen Jahren des Rückgangs ist dies im letzten Jahr erfreulicherweise wieder gelungen."
Integration als zentrale Aufgabe - damals wie heute
Das Land sei im Verlauf der Jahre "nicht schwächer, sondern stärker, nicht ärmer, sondern reicher geworden". Angesichts der Flüchtlinge könne das Land nun erneut zeigen, dass eine wohlhabende Gesellschaft helfen könne, so Weil. Die Integration von Zuwanderern sei eine zentrale Aufgabe. Nach dem Zweiten Weltkrieg habe das Bundesland rund 2,5 Millionen Vertriebene integriert, fügte der Ministerpräsident hinzu. Das habe damals einem Anteil von mehr als 37 Prozent der Gesamtbevölkerung entsprochen. Aktuell lebten in Niedersachsen 1,4 Millionen Menschen mit Zuwanderungsgeschichte. "Wir reden über etwa 18 Prozent der Bevölkerung, wir reden aber auch über fast ein Drittel der Kinder unter sechs Jahren", so Weil.