Geisterbahnhof Hellkamp: Hamburgs vergessene U-Bahnstation
Von 1914 bis 1964 fährt die Hamburger U-Bahn bis zur Endhaltestelle Hellkamp. Dann wird die Strecke ab dem 1. Mai 1964 ausgebaut, die Station muss weichen und wird zu einem Geisterbahnhof. Heute gibt es nur noch wenige Relikte.
"Hellkamp? Eine U-Bahnstation? Nein, nie gehört." - So äußern sich viele Hamburger auf die Frage, ob sie diese Haltestelle kennen. Dabei wird die Station im Stadtteil Eimsbüttel sogar 50 Jahre lang betrieben. Allerdings ist das auch schon 60 Jahre her. Zwischen 1914 und 1964 beginnen und enden U-Bahnfahrten unter der Straße Stellinger Weg. Heute ist von der Haltestelle Hellkamp fast nichts mehr zu sehen. Es handelt sich um einen Geisterbahnhof - gelegen zwischen den Stationen Osterstraße und Lutterothstraße. Oberirdisch weist ein Notausstieg auf dem Gehweg den Weg in die Tiefe. Unterirdisch muss man auch schon ganz genau hinsehen: Auf der Strecke der heutigen U2 ist der Tunnel an der ehemaligen Station deutlich breiter. Außerdem ist die Anordnung der Metallstützen an dieser Stelle anders. Dunkel überstrichene Wandkacheln und Verzierungen an den Seitenwänden zeugen von einer früheren Zeit.
Ritual: Ehefrauen holen ihre Männer ab
An die frühere Zeit erinnert sich Georg Möller (Jahrgang 1929) noch gern. Mit seinen Eltern ist er schon als Kleinkind U-Bahn gefahren und hat viele Jahre in der Nähe der Station Hellkamp gewohnt. "Die U-Bahn gehörte bereits damals zu meinem Leben", sagt er im Gespräch mit NDR.de. Er berichtet, es sei ein richtiges Ritual gewesen, dass Ehefrauen mit ihren Kindern die von der Arbeit heimkommenden Männer an der Station abholten. Das sei vor allem freitags wichtig gewesen, als es die Lohntüten gab. So hätten die Frauen verhindert, dass ein Teil des Geldes direkt in angrenzenden Kneipen oder im Schnapsladen am Stellinger Weg gelassen wird, erzählt Möller schmunzelnd.
Gestank von Pansen, Öl, verfaultem Obst und Rauch
Eimsbüttel ist schon Anfang des 20. Jahrhunderts ein sehr bevölkerungsreicher Stadtteil. Das Viertel, in dem die Haltestelle liegt, ist stark von Arbeitern geprägt. "Es roch oft bestialisch", schreibt der inzwischen verstorbene Eimsbütteler Joachim Grabbe über die U-Bahnfahrten. Von Pansen über altes Öl bis zu verfaultem Obst seien alle Gerüche vertreten gewesen. Diesen Eindruck bestätigt auch Georg Möller: "Das war ein Mief, ein einzigartiger Mief. Irgendwie süßlich und nach Gummi." In dem Viertel wohnen damals viele Männer, die im Hafen arbeiten. Und diese seien in der Regel in ihrer Arbeitskleidung zur Arbeit gefahren. Weil die Kleidung höchstens wöchentlich gewaschen wird, ist die Geruchsbelästigung recht stark. Außerdem ist es üblich, Zigaretten, Pfeifen oder Zigarren in der Bahn zu paffen.
"Wie in einer Sardinenbüchse"
Die morgendlichen Fahrten sind oft völlig überlastet - besonders wenn im Hafen spontan noch Hunderte Arbeitskräfte benötigt werden. "Dann war es in der U-Bahn wie in einer Sardinenbüchse", erzählt Möller.
Der Geruch und die Enge sind aber nur ein Teil der Erinnerungen an die U-Bahnstation Hellkamp. Der Eingang ist damals unmittelbar vor dem noch als "Fischbude" bekannten Geschäft von Jürgen-Ulrich Schlüter. Dahinter liegt damals wie heute die Gaststätte Behr. Der Eingang grenzt am Fußgängerweg und die Treppe führt in Richtung Methfesselstraße nach unten. Unten rechts sind die Fahrkartenschalter, an denen man die Einzel-, Wochen- oder Monats-Fahrkarte kaufen kann. Der Bahnsteig ist mittig angeordnet. "Wenn man die Treppen herunterkam, war an der linken Seite der Abfahrtsbahnsteig, auf der rechten Seite konnte man nur aussteigen", erinnert sich Georg Möller, der sich auch für die Geschichtswerkstatt Eimsbüttel engagiert.
Der Stellinger Weg in Hamburg-Eimsbüttel im Wandel der Zeit: in den 1930er-Jahren (mit U-Bahnhaltestelle) und Dezember 2016. In einem der wenigen noch bestehenden Altbauten hinten an der Ecke befindet sich damals wie heute die Gaststätte Behr.
Viele Erinnerungen geweckt
Dass er nach mehr als 50 Jahren die alte Station - oder das was von ihr übrig ist - für den Dreh mit dem NDR wieder aufsuchen würde, hätte Möller nicht gedacht. "Das ist schon faszinierend nach so langer Zeit. Und es weckt ganz viele Erinnerungen an damals", schildert er seine Eindrücke.
Um die Station ranken sich auch einige Mythen. Daniel Frahm, Historiker der Hamburger Hochbahn, räumt etwa mit dem Gerücht auf, dass man vom Keller eines angrenzenden Restaurants in den Tunnel gelangen könnte: "So einen Zugang gibt es schlicht nicht."
Abzweig von der Ringlinie ab 1913
Der Bau der sogenannten Ringlinie der Hamburger U-Bahn liegt schon mehr als 100 Jahre zurück. 1912 stellt die Hochbahn sie fertig - nach sechs Jahren Bauzeit. Erste Erweiterung soll unmittelbar danach die Anbindung an das einwohnerstarke Eimsbüttel werden. Von der Haltestelle Schlump starten die Arbeiten. Am 1. Juni 1913 erhält die Zweiglinie unter der Fruchtallee die erste Station namens Christuskirche. Am 21. Oktober 1913 folgt die Haltestelle Emilienstraße. 1914 werden die Stationen Osterstraße und Hellkamp fertiggestellt. Letztere ist Endhaltestelle. Dahinter liegt damals nur noch eine etwa 120 Meter lange Kehrgleisanlage.
"Ungünstige Lage" wird Hellkamp zum Verhängnis
In der Folge wird die Bahn stark genutzt, sehr viele Jahre lang. Aber: "Der Zweite Weltkrieg war eine Zäsur. Er hat vieles verändert", erzählt Zeitzeuge Möller. Im Gegensatz zu etlichen Gebäuden übersteht die U-Bahn den Krieg in dieser Gegend vergleichsweise glimpflich. Nachdem die Riesenberge an Schutt abgetragen sind, entstehen neue Häuser. Auch an der Station Hellkamp wird gebaut. So werden dort unter anderem die Tunneldecken verstärkt, um eine höhere Belastungsgrenze für den Straßenverkehr zu erreichen. Zudem werden Anfang 1954 der Bahnsteig verlängert und der Zugang auf der Straße um rund 20 Meter in Richtung Heußweg verlagert. Für Historiker Frahm sind solche Erkenntnisse "besonders spannend", zumal die Aktenlage nicht immer alles verrät und in diesem Fall erst Luftaufnahmen für Klarheit sorgen.
Hamburg bekommt immer mehr Einwohner. Auch der U-Bahnverkehr soll dieser Entwicklung in den 1960er-Jahren Rechnung tragen. Die Zweiglinie soll in Richtung Norden ausgebaut werden. Der Plan ist, eine neue Station namens Lutterothstraße zu bauen und Hellkamp aufzugeben. Die zwischenzeitliche Überlegung, die Haltestelle Hellkamp beizubehalten und am Brehmweg eine weitere Station zu errichten, wird nicht verwirklicht. Die Abstände zwischen den Haltestellen wären zu gering gewesen. Außerdem wird die Lage der Hellkamp-Station bei einer Erweiterung der Strecke als "ungünstig" bezeichnet.
Ein Jahr lang Vollsperrung der Strecke
Im November 1963 beginnt in der Methfesselstraße der U-Bahnbau in Richtung Stellingen. Der neue Tunnel wird mit einer Rechtskurve hinter der Station Hellkamp "angebaut". Am 1. Mai 1964 wird die gesamte Strecke ab Schlump vorübergehend stillgelegt. Ein Jahr lang müssen die Eimsbütteler ohne U-Bahn auskommen. Stattdessen fahren Busse. Für die vielen kleinen Läden in der Umgebung haben Sperrung und Stationsverlegung Folgen. Die Betreiber beklagen deutliche Umsatzeinbußen, wie etwa Jürgen-Ulrich Schlüter mit seiner Fischhandlung: "Als die Station geschlossen wurde, war das überhaupt nicht gut für unser Geschäft." Die ständige Laufkundschaft - einst "angespült" durch den U-Bahnzugang Hellkamp - fällt weg.
Neuer Zugang 200 Meter weiter
Im Zuge dieser Bauarbeiten wird auch die Station Osterstraße modernisiert. Sie bekommt anstelle eines Mittel- zwei Seitenbahnsteige. Am 30. Mai 1965 wird der Betrieb mit der neuen Haltestelle Lutterothstraße wieder aufgenommen. Dass der südliche Zugang zu der Station so gerade eben noch am Stellinger Weg liegt, wertet Georg Möller als Zugeständnis für viele Bewohner des Viertels, die nun einen etwas längeren Weg in den Untergrund haben. 1966 wird die Station Hagenbecks Tierpark fertiggestellt. Erst 19 Jahre später erfolgt der Ausbau der Strecke weiter in Richtung Norden. Von der Haltestelle Lutterothstraße profitieren später auch die Bewohner der Lenzsiedlung, eine Hochhausanlage, die ab 1974 entsteht.
Nach Angaben der Hochbahn gibt es keine Planungen, die Strecke erneut zu erweitern. Allerdings könnte die aktuelle Endhaltestelle Niendorf Nord im Bedarfsfall umgebaut werden. Im Gegensatz zu Hellkamp würde sie erhalten bleiben. Ein weiterer Geisterbahnhof ist dort daher nicht zu erwarten.