Ein blühendes Kind der Wende
"Blühende Landschaften" hatte Helmut Kohl den Ostdeutschen 1990 versprochen. Heute steht der Begriff vor allem für das Versagen des "Aufbau Ost". In Wangelin bei Plau am See aber gibt es sie, die blühenden Landschaften – und zwar im doppelten Sinne.
"Durch eine gemeinsame Anstrengung wird es uns gelingen, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Sachsen und Thüringen schon bald wieder in blühende Landschaften zu verwandeln, in denen es sich zu leben und zu arbeiten lohnt", verkündet Helmut Kohl in einer Fernsehansprache am 1. Juni 1990. Fast 25 Jahre später, ist die Metapher des Altkanzlers zum geflügelten Wort geworden - oft im negativen Sinne, für die Orte an denen es eher welk als bunt aussieht.
Blühende Landschaften in doppeltem Sinne
"Da könnten wir dem Helmut Kohl in dem Fall heute die Hand schütteln, denn das hat er uns ja vorausgesagt. Das hat funktioniert", meint Klaus Hirrich und lacht. Sein Tonfall verrät: Ganz ernst meint er das nicht. Knapp 25 Jahre nach der Wende steht Hirrich heute in einer tatsächlichen blühenden Landschaft: im Wangeliner Garten. Hier, am Südufer des Plauer Sees, blühen Anfang September noch Ringelblumen, in vielen Beeten wachsen Wildkräuter. Ein paar ältere Gäste sitzen im Gartencafé zum Kaffeeklatsch zusammen. Die Anekdote zu Kohls berühmten "blühenden Landschaften" passt an diesen Ort. Denn der Wangeliner Garten ist ein Kind der Wende. Hier haben die damals rund 140 Einwohner der Gemeinde ihre Zukunft selbst in die Hand genommen, darunter Klaus Hirrich, seine Lebensgefährtin Annette Schickert, Hans-Heinrich Jarchow und Gemeindepastor Gerhard Winkelmann.
Start als Bürgerinitiative gegen Fluglärm
9. November 1989: Im Wangeliner Dorfsaal sitzen zwanzig Bürger und diskutieren. Ihr Thema: Was können wir für unser Dorf tun, wenn jetzt alles im Umbruch ist? Schon einige Wochen zuvor hatten die Wangeliner hinter zugezogenen Gardinen in Klaus Hirrichs Wohnzimmer eine Bürgerinitiative gegründet. Ursprünglich hatten sie ein ganz konkretes Ziel: Der Fluglärm durch den nahegelegenen sowjetischen Truppenübungplatz sollte verringert werden. Doch im Herbst werden die Diskussionen grundsätzlicher. Nun brauchen die Wangeliner mehr Platz.
Wendezeit: Euphorie und Sorge
Als an diesem Abend ein Bekannter in den Dorfsaal stürzt und verkündet, dass die Grenzen offen sind, glaubt das erst einmal niemand. "Das war schon verrückt, diese Zeit", sagt Anette Schickert heute. Doch in die Euphorie mischt sich auch eine Sorge. Dass jetzt alle nur noch konsumieren und das Westgeld haben wollten, das sei für sie vorprogrammiert gewesen, erzählt Schickert: "Das war für mich schmerzhaft."
- Teil 1: Blühende Landschaften in doppeltem Sinne
- Teil 2: Sinnvolle Arbeit statt Laubfegen