Stand: 27.09.2016 19:16 Uhr

1972: Verschlafenes Kiel wird Sporthauptstadt

Das Land Schleswig-Holstein feiert am kommenden Wochenende in Eutin sein 70-jähriges Bestehen. In dieser Woche berichten wir im Schleswig-Holstein Magazin, auf NDR 1 Welle Nord und bei NDR.de/SH über die Geschichte des nördlichsten Bundeslandes. Was waren die Wendepunkte im Leben der Schleswig-Holsteiner? Welche Ereignisse haben das Land und vor allem die Menschen verändert?

Zum zweiten Mal nach 1936 ist Deutschland im Jahre 1972 Gastgeber der Olympischen Spiele. Die meisten der Wettkämpfe werden in München und anderen bayerischen Städten ausgetragen. Die Segelwettbewerbe finden aber in Kiel statt, auch zum zweiten Mal in der Geschichte.

Kiel-Schilksee statt Lübeck-Travemünde

Die Landeshauptstadt hat sich im Wettbewerb als Segelstandort gegen Lübeck-Travemünde durchgesetzt. Doch der Olympiahafen am Hindenburgufer soll nicht wie in den 1930er-Jahren der Ort des Geschehens sein, sondern Schilksee. In vier Jahren entsteht dort das Olympiazentrum direkt am Wasser, mit Platz für dienstliche Räume und Unterkünfte für die Sportler. Insgesamt wird der gesamte Schilkseer Hafen für die Großveranstaltung in seiner Größe verdoppelt. Fachleute entwickeln in Kiel eine neue Infrastruktur, um den erwarteten Menschenmassen standzuhalten - dazu gehört ein neuer Zentraler Omnibusbahnhof, ein ausgebauter Alter Markt und eine komplett neu angelegte Uferpromenade an der Kiellinie.

Verbesserte Verkehrsanbindung

Auch die Verkehrswege werden ausgebaut. So profitiert die Landeshauptstadt von dem Großereignis auch mit einer Autobahnanbindung an die A 7, einer neuen Hochbrücke über den Nord-Ostsee-Kanal und einer sanierten Bundesstraße 503. Nach Angaben der Stadt kostete die Verbesserung des Verkehrsnetzes rund 110 Millionen D-Mark, die der Bund trägt. Die rund 82 Millionen, die die Sportanlagen in Schilksee und Umgebung schlucken, trägt zur Hälfte der Bund. Die anderen Kosten teilen sich Land und Stadt. "Das war ein Geldsegen, den man nicht so schnell wieder haben kann", sagt der damalige Oberbürgermeister Kiels, Günther Bantzer (SPD).

Sein Pressechef zu der Zeit, Werner Istel, erinnert sich: "Wir waren so eine Art Weltstadt am Rande - für eine kurze Zeit." Insgesamt beliefen sich die gesamten Ausgaben auf rund 500 Millionen Mark, so Istel. "Die Stadt hatte so glücklich verhandelt, dass sie am Ende nur fünf Prozent davon zahlen musste. Und die Anbindung an die Autobahn nach Hamburg - das war die Anbindung an die Welt!"

Internatsschüler soll Olympisches Feuer in Kiel entfachen

Am 28. August 1972 ist es schließlich soweit: Die Spiele werden offiziell eröffnet. Der Malenter Sportinternatsschüler Uwe Brandenburg wird im Vorfeld vom Schleswig-Holsteinischen Landessportverband auserwählt, die legendäre Fackel zu tragen und das olympische Feuer im Hafen Kiel-Schilksee zu entfachen. Der Leichtathlet hat sich mit gutem Grund für diese ehrenvolle Aufgabe qualifiziert: Gleich in zwölf Disziplinen ist er in dem Jahr Landesmeister geworden - und war damit der erfolgreichste Jugendliche im Sport.

"Ein unvergessliches Erlebnis"

Zwei Wochen vor dem Ereignis bekommt Brandenburg allerdings eine Mitteilung: Die Organisatoren wünschen sich einen Segler, der die Flamme entzündet und somit die Segelwettbewerbe an der Ostsee eröffnet. Die Wahl für den Schlussläufer fällt auf den 16-jährigen Segler Philipp Lubinus. So läuft der junge Spitzensportler Brandenburg statt der letzten die vorletzte Etappe. Er hat das Glück, einen Schnack mit dem Kapitän der spanischen Mannschaft zu halten - dem späteren König Juan Carlos. "Wir haben uns nett unterhalten, Bilder gemacht - ein Riesen-Erlebnis", erinnert sich Brandenburg. Die Fackel, die er damals tragen durfte, hat er heute auch noch.

Spezialfackeln für den windigen Norden

Dass das olympische Feuer überhaupt an die windige Ostseeküste kommen kann, wird akribisch geplant. Die Fackel muss von Sportlern von Olympia über München nach Kiel gebracht werden. Das sind stolze 5.500 Kilometer. Allein von Hamburg bis Kiel braucht das Komitee rund 95 Läufer. Bei Pinneberg übernehmen Schleswig-Holsteiner das Feuer und tragen es jeder einen Kilometer weit. Bönningstedt, Lentföhden, Bad Bramstedt, Bordesholm - immer in Richtung Norden. Doch es gibt ein Problem: Die Fackel droht immer wieder auszugehen. Der Hersteller findet eine Lösung und entwickelt Fackeln, die auch dem Ostseewind standhalten.

Kieler von den Spielen begeistert

Das Großereignis beschert der Stadt im Großen und Ganzen einen Aufschwung. "Durch die Olympischen Segelwettbewerbe wurde aus der etwas verschlafenen Landesmetropole Kiel eine Sporthauptstadt", sagt Fackelläufer Uwe Brandenburg heute. "Die Bürger der Stadt waren begeistert", berichtet Istel - und Bantzer fügt hinzu: "Dass sich das gelohnt hat, das sage nicht nur ich, das sagen alle. Und ich würde es sofort wieder machen."

Hamburger wollen keine Olympischen Spiele

2024 hätten die Olympischen Spiele wieder nach Deutschland kommen können. Einer der Favoriten als Austragungsort war Hamburg - wieder mit Kiel als Hafen für die Segelwettbewerbe. In einem Bürgerentscheid 2015 stimmen die Bewohner Kiel knapp dafür, die Olympischen Spiele in den Norden zu holen - die Hamburger hingegen lehnen es ab.

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Welle Nord | Moin! Schleswig-Holstein – Von Binnenland und Waterkant | 27.09.2016 | 20:05 Uhr

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