Im Schatten des Terrors: Olympia in Kiel 1972
Heiter und fröhlich begannen am 28. August 1972 die olympischen Segelwettbewerbe in Kiel. Doch auch an der Förde folgte der Schock: Die Spiele wurden vom Terror überschattet.
Am 28. August 1972 zeigt sich Kiel von seiner schönsten Seite. Kaiserwetter mit strahlendem Sonnenschein, tanzend marschieren die Mannschaften bei der Eröffnungsfeier der olympischen Segelwettbewerbe in den Olympiahafen von Schilksee ein.
Mit dabei ist nicht nur viel Prominenz wie Juan Carlos von Spanien oder der deutsche Segelstar Willy Kuhweide, sondern auch ein kleines israelisches Team mit zwei Seglern sowie Betreuer Eli Friedländer. "Es war eine fröhliche Stimmung", schildert der damals 40 Jahre alte Trainer.
Selbst Avery Brundage, Präsident des Internationalen Olympischen Komitees, und OK-Chef Willi Daume sind gekommen. Eine ganze Region ist im Hochgefühl. Für Kiel sind es nach 1936 die zweiten Olympischen Spiele. Umfangreiche Baumaßnahmen im Zuge des Weltereignisses, wie der Anschluss an das bundesdeutsche Autobahnnetz, die neue Hochbrücke über den Nord-Ostsee-Kanal für 125 Millionen Mark sowie weitere Projekte in der Innenstadt haben der Fördestadt zu neuem Glanz verholfen.
Maritimes Fest mit den Stars der Szene
In Kiel, das im März 1967 knapp den Zuschlag vor Lübeck erhalten hatte, steigt ein maritimes Fest mit den Stars der Szene. Zwei Tage nach Beginn der heiteren Spiele in München beginnen auch an der Förde die Wettbewerbe. Feierlicher Höhepunkt ist die Windjammerparade am 3. September. 500.000 Menschen kommen, um die 70 Großsegler aus 20 Nationen zu bestaunen. "So etwas Schönes habe ich noch nie gesehen", schwärmt Bundespräsident Gustav Heinemann.
Segler in Kiel ahnen nichts vom Terror
Doch auch in Kiel, wo alles so fröhlich begann, folgt zwei Tage später der Schock: In München, dem Zentrum der Spiele, dringen am frühen Morgen des 5. September acht palästinensische Terroristen ins Quartier der israelischen Mannschaft ein. Sie erschießen zwei Teammitglieder und nehmen neun weitere als Geiseln, um die Freilassung inhaftierter Palästinenser zu erpressen. Die Segler in Kiel wissen zunächst nichts davon, sie bereiten sich auf den sechsten Wettkampftag vor.
Auch Friedländer entscheidet sich für den Start seiner Flying-Dutchman-Crew, obwohl er ahnt, dass etwas Schlimmes passiert ist. "Ein Sicherheitsdienst vom Olympiadorf hatte mir gesagt, dass im israelischen Team ein Mord passiert sei. Aber als wir ausgelaufen sind, habe ich sofort gespürt, dass es etwas Größeres ist, als ich gedacht hatte. Ein Schlauchboot der Wasserpolizei fuhr hinter dem Segelboot und eins hinter meinem Motorboot hinterher. Da habe ich schon verstanden, dass mehr nicht in Ordnung war, als man mir erzählt hatte", berichtet der ehemalige Trainer dem NDR.
Verwirrung bei Kuhweide und Co.
Das Team fährt die Regatta durch, wie alle anderen Mannschaften auch, und erzielt an diesem Tag sein bestes Ergebnis. An Land verbreitet sich unterdessen die Nachricht vom Attentat. Langsam spricht sich herum: Die Spiele sind seit 15.38 Uhr unterbrochen. Die Segler auf dem Wasser ahnen nichts.
"An Land warteten die Journalisten. Ich habe ihnen gesagt: 'Sie wissen mehr als ich, ich war den ganzen Tag auf dem Wasser'", so Friedländer. Informationen von offizieller Seite gibt es nicht. "Die Menschen vom Komitee wollten das auf ein Minimum reduzieren. Zu diesem Zeitpunkt gab es zwei Ermordete, das andere passierte erst am Abend. Sie wollten die Sache so klein wie möglich halten", erzählt Friedländer. "Unfassbar. Wir standen in Kiel eigentlich vor einer Situation, in der man gar nicht wusste, was man damit anfangen soll. Wir waren sehr traurig", sagt Kuhweide, der am Ende mit Karsten Meyer im Starboot Bronze holt.
Spontane eigene Trauerfeier
In der darauffolgenden Nacht verlieren alle neun Geiseln ihr Leben, ebenso ein Münchner Polizist. Am Ende sind es elf ermorderte Israelis, die ganze Welt steht unter Schock. In Kiel versammeln sich am Morgen des 6. September Segler und Kieler Bürger, um der Toten zu gedenken. Was zunächst nur als Schweigeminute gedacht war, gerät zu einer eigenen, schlichten Trauerfeier, die Fahnen wehen auf Halbmast. Dennoch stellt sich auch in Kiel die Frage: Wie geht es weiter? Der olympische Frieden ist zerstört, doch der olympische Geist soll weiterleben. "The Games must go", verkündet Brundage. Mit der Lust am Segeln ist es allerdings vorbei. Die Regatten bleiben ohne Glanz, ebenso die Abschlussfeier am 8. September in Schilksee.
Friedländer: "Ein schrecklicher Anblick"
Das israelische Segelteam, das nach München beordert wird, ist zu diesem Zeitpunkt schon längst nach Israel abgereist. Gemeinsam mit den anderen Überlebenden und den toten Kameraden. "Man hat uns in München auf das Flugfeld geführt, und da waren die elf Särge, in der Reihe aufgebahrt. Wir haben so geweint, das war ein schrecklicher Anblick", sagt Friedländer, den die Ereignisse nie losgelassen haben: "Das hat sich eingebrannt. Das kann man nicht ausradieren, das ist für ewig. Das wird man nie vergessen."