Acesulfam im Trinkwasser: Erlaubt, aber auch ungefährlich?
Bei Wasserproben an mehreren Entnahmestellen in Norddeutschland, die der NDR für die Sendung Die Tricks mit unserem Wasser untersuchen ließ, hat ein beauftragtes Labor Spuren des künstlichen Süßstoffs Acesulfam-K nachgewiesen:
- In einer Probe aus dem Lübecker Klärwerksauslauf fanden sich 0,64 Mikrogramm pro Liter.
- In der Elbe wurden 0,29 Mikrogramm pro Liter nachgewiesen.
- Im Dümmer See (Niedersachsen) waren es 0,14 Mikrogramm pro Liter
- In einer Trinkwasserprobe aus dem NDR Landesfunkhaus Hannover fand das Labor 0,20 Mikrogramm Acesulfam-K pro Liter.
Das Umweltbundesamt empfiehlt zwar, die Konzentration von Acesulfam-K aus trinkwasserhygienischen und ästhetischen Überlegungen (Geschmack, Geruch, Reinheit) vorsorglich auf maximal zehn Mikrogramm pro Liter Trinkwasser zu begrenzen. Doch offensichtlich muss nicht kontrolliert werden, ob diese Empfehlung auch eingehalten wird beziehungsweise werden kann.
Synthetisch hergestellter Süßstoff
Acesulfam-K wird als Zucker-Ersatzstoff in Light-Getränken oder anderen zuckerfreien Lebensmitteln eingesetzt. Der Stoff übersteht die menschliche Verdauung und auch die Abwasserreinigung im Klärwerk. So gelangt er aus den Klärwerken in Flüsse und Seen. Wenn Wasserversorger ihr Trinkwasser aus Brunnen gewinnen, die sich in der Nähe von Flüssen befinden, kann der Süßstoff sogar ins Trinkwasser gelangen.
Landesgesundheitsamt NDS: "Vorkommen unerwünscht"
Das Niedersächsische Landesgesundheitsamt schrieb dem NDR, die tägliche Aufnahme einer sehr geringen Menge sei aus Trinkwasser-toxikologischer Sicht derzeit unproblematisch. Dennoch sei das Vorkommen von derartigen Spurenstoffen im Trinkwasser unerwünscht.
Ministerium: Keine Daten zu Acesulfam-K im Trinkwasser
Dem Bundesgesundheitsministerium zufolge muss die Konzentration von chemischen Stoffen im Trinkwasser generell so niedrig gehalten werden, wie dies nach den allgemein anerkannten Regeln der Technik mit vertretbarem Aufwand unter Berücksichtigung von Einzelfällen möglich ist - unabhängig von der Frage, ob von einem Stoff eine Gesundheitsgefährdung ausgehe. Das besagt Paragraf 6 Absatz 3 der Trinkwasserverordnung. Darüber, wie sich die Konzentrationen von Acesulfam-K im Trinkwasser in den vergangenen Jahren flächendeckend entwickelt hätten, gebe es keine Daten.
Wasserversorger müssen nicht auf den Süßstoff testen
Die Wasserversorger müssen laut Trinkwasserverordnung nicht analysieren und angeben, ob das von ihnen bereitgestellte Trinkwasser Acesulfam-K enthält. Daher weiß auch der Wasserversorger enercity in Hannover, der das NDR Landesfunkhaus Hannover mit Trinkwasser beliefert, nicht, in welchem seiner Wasserwerke der synthetisch hergestellte Süßstoff ins Trinkwasser gelangt.
Entfernung aus Trinkwasser sehr aufwendig
Der hannoversche Wasserversorger betont, es sei nicht sinnvoll, erst am Ende der Kette - also bei der Reinigung des Wassers - anzusetzen. Zwar gebe es technische Verfahren, mit denen sich Acesulfam-K aus dem Wasser entfernen lässt. Dafür müssten aber umweltbelastende Chemikalien eingesetzt werden und die Verfahren seien sehr energieintensiv. Das Unternehmen verweist auf das Minimierungsgebot, das laut Trinkwasserverordnung gilt. Demnach sollen bei der Aufbereitung und Verteilung von Wasser so wenige Verunreinigungen wie möglich entstehen, damit das ausgelieferte Trinkwasser möglichst natürlich ist.
Besser sei es, am Anfang der Kette anzusetzen. Seien Inhaltstoffe wie Acesulfam-K aus Produkten biologisch schwer abbaubar, sollten sie gar nicht erst in den Wasserkreislauf gelangen.
Süßstoff-Verband: Acesulfam-K wird in der Natur abgebaut
Aus Sicht des Süßstoff-Verbands, ein Verein mit Sitz in Köln, ist Acesulfam-K im Trinkwasser unbedenklich. Es besitze eine hohe Süßkraft. Der synthetisch hergestellte Stoff sei 130 bis 200 Mal süßer als Zucker und verleihe Getränken einen besseren Geschmack. Im menschlichen Körper werde Acesulfam nicht verstoffwechselt, sondern unverändert über die Niere ausgeschieden. Da der Stoff auch in Klärwerken nicht immer abgebaut werde, verbleibe er im Abwasser. In der Natur werde Acesulfam nach neueren Erkenntnissen von Bakterien langsam abgebaut, so dass eine Anreicherung im Trinkwasser unwahrscheinlich sei.
Der Verband hält die Aufnahme von bis zu einem Mikrogramm Acesulfam-K pro Liter Trinkwasser für unbedenklich. Eine 70 Kilogramm schwere Person müsse schon 630.000 Liter Wasser trinken, um diese Menge zu erreichen. Zudem sei nicht zu befürchten, dass es durch Acesulfam-Eintragungen zu "süßen Gewässern" kommen könne. Dafür seien die Mengen in Gewässern zu gering.
Risiko für Wasserorganismen?
Zu möglichen Risiken für Tiere in unseren Gewässern schreibt der Süßstoff-Verband, umfangreiche Untersuchungen hätten ergeben, dass Acesulfam für Wasserorganismen kein akutes oder chronisches Risiko darstelle. Nach NDR Recherche zeigen internationale Studien allerdings inzwischen, dass Acesulfam bei Goldfischen und Karpfen oxidativen Stress verursacht und eine toxikologische Wirkung auf Zebrafische haben kann. Unter UV-Bestrahlung kann es zudem zu anderen Verbindungen umgewandelt werden, die toxischer sind als die Ausgangsverbindung. Bei der Beurteilung des Umweltrisikos, so das Fazit einer dieser Studien, sei der Einfluss dieser Stoffwechselzwischenprodukte nicht berücksichtigt worden. Forscher fordern, die Umweltrisiken mit strengeren Standards neu zu bewerten, da auch die Wechselwirkungen mit anderen Schadstoffen bisher unberücksichtigt geblieben seien.
Hamburg Wasser appelliert an Verantwortungsgefühl
Auch in Hamburg taucht Acesulfam-K inzwischen im Trinkwasser auf. Der örtliche Wasserversorger Hamburg Wasser untersucht im eigenen Labor auch Stoffe, deren Analyse laut Trinkwasserverordnung nicht vorgeschrieben ist. Zunächst entdeckte der Hamburger Wasserversorger den Zuckerersatzstoff im Abwasser des Klärwerks, seit 2015 wurden Spuren von Acesulfam auch im Grundwasser analysiert, mit dem der Wasserversorger seine Kunden beliefert.
Hamburg Wasser fordert, dass synthetisch hergestellte, schwer abbaubare Stoffe wie Acesulfam gar nicht erst ihren Weg in den Wasserkreislauf finden sollten, damit die Grundwasservorräte für die nächsten Generationen geschützt werden. Daher appelliert das Unternehmen zum einen an Verbraucher, auf Produkte mit dem Inhaltsstoff Acesulfam zu verzichten. Zum anderen seien aber auch die Hersteller in der Pflicht.
Laborleiter Dr. Kim Augustin wünscht sich mehr Verantwortungsgefühl der Industrie: Das Argument, dass Flüsse durch den Eintrag von Acesulfam nicht süß schmecken würden, sei in etwa so, als würde der Verband der pharmazeutischen Industrie argumentieren, dass Medikamentenwirkstoffe in der Elbe so lange kein Problem seien, bis ein Glas Wasser aus der Elbe Kopfschmerzen beseitige.