Polizei und Weißer Ring: Mehr Straftaten in SH in 2022
Die Zahl der Straftaten in Schleswig-Holstein ist gestiegen. Das liegt laut Polizei zum Teil am Wegfall der Corona-Maßnahmen. Auch ein Betrugsverfahren spielt eine Rolle. Auch die Opferschutz-Organisation Weißer Ring hat keine guten Nachrichten.
Schleswig-Holsteins Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU) und der leitende Kriminaldirektor Rolfpeter Ott haben am Donnerstag die Polizeiliche Kriminalstatistik für das Jahr 2022 vorgestellt. Dabei fällt auf: In fast allen Bereichen gab es mehr Straftaten als 2021.
Einen großen Anteil hat dabei ein Betrugsverfahren, bei dem es um Online-Dating geht und das die Ermittlungsbehörden bereits seit mehreren Jahren beschäftigt. Insgesamt zwölf Beschuldigte aus dem Norden des Landes hatten eine kostenpflichtige Dating-Plattform betrieben, auf der Menschen Geld für Chats mit - wie sie glaubten - potentiellen Partnerinnen und Partnern ausgaben. In Wirklichkeit chatteten sie aber mit Mitarbeitenden der Plattform. Insgesamt entstand ein Schaden von 17,7 Millionen Euro bei mehr als 33.000 Geschädigten. Die Anklage liegt inzwischen beim Landgericht Flensburg - und das umfangreiche Verfahren sorgt für ein Plus von 25 Prozent bei den Straftaten in Schleswig-Holstein. Rechnet man diesen Betrug aus der Statistik heraus, stieg die Anzahl der Straftaten um rund sechs Prozent. Auch die Aufklärungsquote beeinflusst der komplexe Fall: Sie liegt 2022 bei 61,1 Prozent und damit so hoch wie nie. Ohne das Betrugsverfahren ergibt sich eine Quote von 54,1 Prozent, das entspricht dem Niveau der Vorjahre.
Wieder mehr Diebstähle, Raub und Körperverletzung
Mehr Fälle gab es zum Beispiel im Bereich Raub oder Körperverletzung, aber auch bei Diebstählen und Einbrüchen. Laut Kriminaldirektor Rolfpeter Ott liegt das auch am Wegfall der Corona-Regel. Die Menschen seien wieder mehr an öffentlichen Orten unterwegs, sodass es wieder häufiger zu Auseinandersetzungen komme. Gleichzeitig gebe es wieder mehr Gelegenheiten für Einbrüche, eben weil die Menschen nicht mehr ständig zu Hause seien. Sowohl bei den sogenannte Rohheitsdelikten, also Raub, Körperverletzung und Bedrohung, als auch bei Diebstählen und Einbrüchen sei jedoch noch nicht wieder das Vor-Corona-Niveau erreicht, sagte Ott. Im Vergleich zu 2019 sind die Fallzahlen etwas geringer.
Allerdings kam es insgesamt zu ähnlich vielen Gewaltdelikten wie 2019, gegenüber 2021 waren es 881 Fälle (17,2 Prozent) mehr. Außerdem gab es im Jahr 2022 rund 100 Messerangriffe mehr als im Vorjahr, insgesamt knapp über 900. 14 Menschen starben bei solchen Angriffen, 62 wurden schwer verletzt. Mehr als 5.000 Menschen wurden Opfer von Partnerschaftsgewalt, neun von ihnen wurden getötet, 31 schwer verletzt. Bei der Rauschgift-Kriminalität sanken die Fallzahlen um 6,5 Prozent. Erstmals seit 2012 gab es dort einen Rückgang.
Arbeitsschwerpunkt: Kampf gegen Kindesmissbrauch
Einen Arbeitsschwerpunkt sehen die Innenministerin und auch die Polizei bei der Aufklärung von sexuellem Missbrauch an Kindern, insbesondere bei der Verbreitung, des Erwerbs, des Besitzes und der Herstellung von Aufnahmen davon im Internet. Zuletzt sanken die Zahlen um 80 Fälle auf 955 Fälle. Sütterlin-Waack warnte aber, die Zahlen täuschten, weil nur abgeschlossene Ermittlungen in die Statistik einfließen würden.
In dem Bereich sollen deshalb 30 zusätzliche Stellen geschaffen werden, denn die Ermittlerinnen und Ermittler haben es mit enormen Datenmengen zu tun. "Die größte Frage, die wir uns dabei stellen, ist: Müssen wir hier einen aktuell stattfindenden Missbrauch unterbinden?", erklärt Rolfpeter Ott. Es werde also erst einmal danach geschaut, ob ein Kind, dass auf verbreiteten Aufnahmen zu sehen ist, noch akut in Gefahr ist.
Künstliche Intelligenz soll bei Sortierung helfen
"Wir haben den Wunsch, mehr machen zu können", so Ott. "Wir hoffen, die Taten in Zukunft schneller ermitteln zu können." Dafür wird auch an einer künstlichen Intelligenz geforscht, die Aufnahmen vorsortieren kann. Außerdem wird nach Risikofaktoren priorisiert, welche Fälle zuerst bearbeitet werden. Denn im Moment stünden die Ermittlerinnen und Ermittler unter hohem Druck, "weil sie nicht wüssten, ob in dem noch nicht gesichteten Material ein akuter Missbrauchsfall schlummert", erklärt der Kriminaldirektor.
Weil die Arbeit extrem belastend für die Beamten ist, gibt es inzwischen auch nicht mehr nur eine, sondern fünf Psychologinnen und Psychologen, die sie betreuen und auf die Einsätze vorbereiten. Es sei wichtig, den Beamten diese Hilfe anzubieten, sagte Sütterlin-Waack. Sie zeigte sich beeindruckt, von dem Einsatz in diesem Bereich und bisherigen Ermittlungserfolgen. So berichtete sie von einem Fall, in dem ein in Australien aufgetauchtes Bild bis nach Schleswig-Holstein zurückverfolgt und der Täter angeklagt werden konnte.
Kritik: Neue Stellen reichen nicht
Der innenpolitische Sprecher der Grünen-Landtagsfraktion, Jan Kürschner, sagte, die Entwicklung im Bereich von Sexualstraftaten gegen Kinder sei bedenklich. Die neu geschaffenen Stellen seien deshalb gut und wichtig. Auch die Mittel für Prävention würden aufgestockt. Niclas Dürbrook von der SPD kritisierte, die personelle Verstärkung komme zu spät und reiche nicht aus. "Dass die Beamtinnen und Beamten vor Datenbergen von Missbrauchsfällen stehen, Fälle 'priorisieren' und sogar Durchsuchungen zurückstellen müssen, um laufende Missbrauchsfälle beenden zu können, ist ein Armutszeugnis", sagte er. Die Landesregierung müsse nun zumindest die 30 neuen Stellen schnell besetzen. In Bezug auf Messerdelikte forderte Dürbrook eine Null-Toleranz-Strategie für Waffen in der Öffentlichkeit. Der innenpolitische Sprecher der FDP, Bernd Buchholz, kritisierte vor allem die geringe Aufklärungsquote bei Einbrüchen und Mordfällen.
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) bekräftigte die Forderung nach mehr Personal für die Bekämpfung von Kinder- und Jugendpornographie. Staatsanwaltschaften und Gerichte müssten ebenfalls verstärkt werden. Daneben brauche es eine bessere Ausstattung sowie Aus- und Fortbildungsangebote in diesem Bereich. Bei Straftaten mit Messern sollte aus Sicht der GdP eine generelle Einordnung als Verbrechensdelikt diskutiert werden.
Weißer Ring: Viel Gewalt gegen Frauen in 2022
Den Opfern von Verbrechen hilft der Weiße Ring. Ein Sprecher berichtete NDR Schleswig-Holstein, dass es im Jahr 2022 viel Gewalt gegen Frauen gab. Im Vergleich zum Vorjahr seien deutlich mehr Frauen gekommen, die sexuelle Übergriffe oder häusliche Gewalt erleben mussten. Etwa 17 Prozent mehr waren es demnach.
Enkeltrick kommt immer wieder vor
Auch deutlich gestiegen ist nach Angaben des Weißen Rings der Anteil derer, die Opfer von Online-Betrügereien geworden sind. Dabei gehe es weniger um Dating-Portale, sondern eher um Fälle wie WhatsApp-Betrugsmaschen - zum Beispiel der Enkeltrick. Auch Männer sind 2022 zum Weißen Ring gekommen - meistens, weil sie Opfer von Überfällen oder Internet-Betrügereien geworden sind. Nächste Woche will der Weiße Ring eine detaillierte eigene Statistik veröffentlichen.