Neue Erstaufnahme: Wo ist die Grenze der Willkommenskultur?
In Glückstadt soll eine neue Erstaufnahme-Einrichtung eröffnen. Auf dem Gelände der ehemaligen Marine-Kaserne sollen voraussichtlich von November an bis zu 600 Geflüchtete untergebracht werden. Die Nachricht aus Kiel stößt in Glückstadt (Kreis Steinburg) auf wenig Begeisterung.
Weil Schleswig-Holstein - wie alle Bundesländer - immer mehr Flüchtlinge aufnehmen muss, hat das zuständige Sozialministerium ein großes Problem. Das Ministerium und das Landesamt für Zuwanderung und Flüchtlinge wissen nicht mehr wohin mit den vielen Menschen. Bei den Planungen sei man dann auf Glückstadt gekommen, so ein Ministeriumssprecher, denn in den Gebäuden der ehemaligen Marine-Kaserne seien ja schon in 2015 Flüchtlinge untergebracht worden. Die Bürgerinnen und Bürger haben viele Fragen, denn bislang sind kaum Fakten zu der Flüchtlingsunterkunft bekannt. Freitagabend kam Sozialministerin Aminata Touré (Grüne) nach Glückstadt (Kreis Steinburg).
Maximal-Kapazitäten nach Unterkünften und aktuelle Belegung:
- Neumünster: 900 / 670
- Boostedt: 2500 / 2215
- Rendsburg: 1400 / 1365
- Bad Segeberg: 1300 / 1236
- Seeth: 1100 /800
Quelle : Landesamt für Zuwanderung und Flüchtlinge Schleswig-Holstein. Die Unterkünfte in Boostedt (Kreis Segeberg), Rendsburg (Kreis Rendsburg-Eckernförde) und Bad Segeberg (Kreis Segeberg) sind aktuell überbelegt. Das liegt laut Landesamt zum Beispiel daran, dass manche Zimmer von Familien bewohnt werden, die nicht immer alle darin zur Verfügung stehenden Betten belegen.
Vorbereitungen vor Ort laufen bereits
Das Landesamt für Zuwanderung und Flüchtlinge hat bereits mit den Vorbereitungen begonnen. Die Räume auf dem Gelände der Kaserne seien 2015 renoviert worden und in einem guten Zustand, so ein Sprecher. Jetzt müsse man noch Verträge mit Dienstleistern abschließen, um zum Beispiel die Versorgung der Menschen mit Essen und Getränken oder die medizinische Versorgung sicherzustellen. Voraussichtlich ab November sollen dann die ersten Flüchtlinge einziehen, eine Belegung mit bis zu 600 Menschen ist geplant. Wie in allen Erstaufnahme-Einrichtungen sollen auch in Glückstadt die Flüchtlinge nur übergangsweise untergebracht werden, bevor sie dann auf die Kommunen in Schleswig-Holstein verteilt werden.
Bürgermeister stellt Forderungen
Glückstadts Bürgermeister Rolf Apfeld (parteilos) hat bereits vor der offiziellen Pressemitteilung einen Anruf von Sozialministerin Touré bekommen: "Ich bin sehr froh, dass Frau Touré gleich zum Hörer gegriffen hat, wir haben einen direkten Draht und das ist gut so." Apfeld nimmt die Entscheidung mit einer Portion Gelassenheit hin. Aber er weiß auch, dass es ein sensibles Thema für seine Bürgerinnen und Bürger ist, denn auf dem Gelände der Marinekaserne gebe es ja schon die Abschiebehaftanstalt. Jetzt auch noch eine Erstaufnahme auf dem Gelände, da seien viele Bürgerinnen und Bürger nicht begeistert, so Apfeld. Damit Glückstadt nicht noch weiter belastet wird, fordert er vom Land, die normale Zuweisung von Flüchtlingen, wie sie vom Landesamt an jede Kommune in Schleswig-Holstein passiere, für seine Stadt auszusetzen. "Wir haben hier schon viele Flüchtlinge aufgenommen, als Stadt dafür auch 100 Wohnungen angemietet, und mehr geht bei uns auch dann irgendwie nicht mehr". Apfeld hat noch eine weitere Forderung an die Landesregierung: "Wir brauchen hier in Glückstadt mehr Polizeibeamte, die hier auf der Straße präsent sind. Die Flüchtlinge werden ja auch in der Innenstadt unterwegs sein, und mit mehr Polizisten sollte das subjektive Sicherheitsgefühl der Bevölkerung gestärkt werden."
Pro & Contra bei den Bürgern
Die geplante Erstaufnahme ist seit gut einer Woche das Thema in Glückstadt. "Ich habe das gehört und ich finde das überhaupt nicht gut - nochmal 600 Flüchtlinge. Irgendwo hat die Stadt auch mal ein Limit zu setzen", fordert eine Frau in der Fußgängerzone. Ein Glückstädter, der mit dem Rad unterwegs ist, sieht das ganz anders: "Ich bin der Meinung 600 Menschen zusätzlich, das ist noch machbar in einer Stadt mit der Größenordnung wie Glückstadt mit 11.000 Einwohnern." Und Gerhard Blasberg, ehemaliger Bürgermeister im Jahr 2015 in der ersten Flüchtlingskrise, sagt: "Wir haben damals gesagt, wir schaffen das jetzt und wir haben das damals in Glückstadt gemeinsam gewuppt. Und ich bin heute noch stolz auf die Glückstädterinnen und Glückstädter. Wenn es eine vernünftige Informationspolitik gibt, dann ist auch diesmal vieles möglich."
Ehrenamtliche Gruppe kritisiert Erstaufnahme
Die "Besuchsgruppe Abschiebehaft Glückstadt" lehnt die Erstaufnahme-Einrichtung kategorisch ab. In der Gruppe haben sich Frauen und Männer zusammengeschlossen, die sich ehrenamtlich um die Insassen der Abschiebehaftanstalt in Glückstadt kümmern. Hinter einer hohen Mauer und einem Stacheldrahtzaun sind 60 Flüchtlinge untergebracht, deren Asylantrag abgelehnt worden ist - sie warten nun auf die Abschiebung in ihr Heimatland.
"Wir lehnen die Erstaufnahme hier in Glückstadt ab. Wir halten das für ein ganz fatales Signal für ankommende Menschen, dass sie hier in unmittelbarer Nachbarschaft - in Sicht-und Hörweite mit dem Gefängnis sind. Menschen, die aus Kriegsgebieten kommen, unter schweren emotionalen Belastungen, die brauchen einen sicheren Ort um anzukommen. Sie dürfen nicht damit bedroht werden, dass sie direkt wieder zurück geschickt werden in genau das Land, aus dem sie gerade geflohen sind."
Außerdem sei eine dezentrale Unterbringung für Flüchtlinge immer besser als eine Ballung und Zentrierung in einer Sammelunterkunft.
Kirchenkreis will unterstützen
Der evangelische Kirchenkreis Rantzau-Münsterdorf will das Land bei der Betreuung der Flüchtlinge unterstützen. Propst Steffen Paar sagt: "2015 gab es ganz große Bereitschaft bei vielen zu helfen. Mein Eindruck ist, dass sich das Engagement bei einigen ein bisschen erschöpft hat. Andererseits gibt es natürlich auch jetzt eine große Bereitschaft zu helfen." Aber eine Akzeptanz einer Flüchtlingseinrichtung könne man nicht von oben verordnen, die müsse wachsen. "Und je mehr das Land uns hier informiert und sagt, was und wie es geplant ist, desto höher wird die Akzeptanz und Zustimmung."
Kirche will "Tradition" bei der ehrenamtlichen Flüchtlingsarbeit fortsetzen
Glückstadts Pastor Stefan Egenberger erinnert sich ebenfalls an 2015. "Wir hatten damals ein Flüchtlings-Café hier bei uns im Gemeindehaus eingerichtet. Wir wollten den Flüchtlingen einen Anlaufpunkt bieten und haben da gute Erfahrungen gemacht." Das sei aber nur möglich gewesen, weil es tatkräftige Unterstützung aus der Gemeinde gegeben habe. Man habe in Glückstadt eine Tradition bei der ehrenamtlichen Flüchtlingsarbeit und die wolle man fortsetzen, sagt Pastor Egenberger. "Es gibt jetzt eine gewisse Verunsicherung bei vielen Bürgern, und ich hoffe, dass das Land die vielen offenen Fragen beantwortet." Propst Steffen Paar ergänzt, das Land müsse auf die Sorgen und Ängste der Bürgerinnen und Bürger eingehen. Wenn man wahrhaftig und ehrlich miteinander umgehe, könne man eine Spaltung der Gesellschaft vermeiden. Die Stadtkirche stelle man gerne für die Infoveranstaltung des Landes bereit, sagen Paar und Egenberger.
Touré beantwortet Fragen der Bürger
Am Freitagabend beantworteten Sozialministerin Touré und weitere Mitarbeitende bei einer Informationsveranstaltung Fragen zu der geplanten Einrichtung. Mehr als 350 Menschen waren dafür in die Stadtkirche gekommen. Mehrere Fragen drehten sich um das Thema Kriminalität und den Wunsch nach mehr Polizeipräsenz. Touré versprach, sich dazu mit dem Innenministerium auszutauschen. Außerdem sagte sie zu, dass das Land bei der Zuteilung der Geflüchteten berücksichtigen, dass sich in Glückstadt bereits die Abschiebehaftanstalt befindet. Mehrere Glückstädter erinnerten daran, dass das Land 2018 versprochen hatte, wegen der Hafteinrichtung keine weitere Einrichtung für Geflüchtete in Glückstadt zu planen. Touré entschuldigte sich dafür, dass dieses Versprechen nun gebrochen wird. Schon in den kommenden beiden Wochen soll ein Notbetrieb für bis zu 120 Geflüchtete starten.