Geplante Kürzungen: Sorge um Migrationsberatungen

Stand: 25.08.2023 13:06 Uhr

Die Wohlfahrtsverbände in Schleswig-Holstein fürchten, dass Migranten bald nicht mehr flächendeckend beraten werden können. Grund sind Kürzungspläne des Bundes bei Migrationsberatungen.

von Constantin Gill und Sophia Stritzel

Migrationsberater Simon Böhls ist Ansprechpartner für viele Probleme. Er hilft in der Beratungsstelle in Neustadt im Kreis Ostholstein bei der Suche nach Sprachkursen und Wohnungen. Und beim oft schwierigen Weg durch den Behördendschungel. Eigentlich, sagt Böhls, müsste das Netz an Beratungstellen sogar ausgeweitet werden, weil mehr Menschen nach Deutschland kommen.

Ein Migrationsberater im weißen Hemd spricht. © NDR
Berater Simon Böhls befürchtet massive Integrationshemmnisse.

Doch das Gegenteil ist geplant: Laut einem Entwurf der Ampel-Regierung für den Bundeshaushalt 2024 sollen die Mittel für das vom Bund geförderte Grundberatungsangebot für erwachsene Zuwanderer um 24 Millionen Euro auf 57,5 Millionen gekürzt werden.

Böhls sagt, die Integration würde dann "massiv gehemmt werden." Häufig wüssten Migranten nicht, wie sie einen Deutschkurs finden. Oder verstünden Behördenschreiben nicht.

Flächendeckende Beratung in Gefahr

Michael Saitner, der Vorsitzende der Landesarbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtsverbände Schleswig-Holstein, spricht angesichts der Pläne von einer "migrationspolitischen Irrfahrt." Sollten die Kürzungen so kommen, rechnen die Verbände damit, dass es nur noch in acht Kreisen in Schleswig-Holstein Migrationsberatung geben würde.

Ein Mann im Anzug spricht © NDR
Kann die Kürzungspläne nicht nachvollziehen: Michael Saitner von der Landesarbeitsgemeinschaft der Wohlfahrtsverbände.

"In dieser Zeit, wo wir einen Zustrom von Menschen haben, wie wir ihn seit vielen Jahrzehnten nicht mehr hatten, jetzt auf die Idee zu kommen, aus fiskalischen Gründen so eine massive Kürzung vorzuschlagen, kann ich in keinster Weise nachvollziehen", sagt Saitner.

Rückschlag für Integration befürchtet

Schleswig-Holsteins Integrationsministerin Aminata Touré (Grüne) nennt die Kürzungspläne "unverantwortlich" und sieht sie als einen herben Rückschlag für die Integration im Land. "In Zeiten, in denen viele Geflüchtete zu uns kommen, braucht es dringend funktionierende Beratungsstrukturen und eine gesicherte Finanzierung, um gute Voraussetzungen für die Integration zu schaffen", sagt sie.

Weitere Informationen
Karin Prien © picture alliance / photothek Foto: Ute Grabowsky

Prien: Steigender Zuzug auf Dauer nicht zu bewältigen

Prien sagte, alle demokratischen Parteien müssten ihre Konzepte zur Zuwanderung überarbeiten. mehr

Die grüne Bundestagsfraktion versucht laut Touré im Rahmen der Haushaltsberatungen nachzubessern. Und das Land prüfe, inwieweit man einspringen könnte. "Als Land fördern wir die Migrationsberatung bereits zusätzlich mit vier Millionen Euro pro Jahr, um dem großen Bedarf gerecht zu werden." Aber der Bund plane eine ganze Reihe von Kürzungen, "und wir können das als Land gar nicht alles auffangen."

"Massives Signal" gefordert

Die Integrationsministerin gibt ein Interview © NDR
Integrationsministerin Touré nennt die Kürzungspläne "unverantwortlich".

Das ist auch den Wohlfahrtsverbänden bewusst. Michael Saitner von der Landesarbeitsgemeinschaft verlangt aber ein "massiv deutliches Signal" aus Schleswig-Holstein an die Bundesintegrationsministerin, dass es zu den Kürzungen nicht kommen dürfe.

Die migrationspolitische Sprecherin der CDU-Fraktion, Seyran Papo, sagt: Lange Wartezeiten für Sprachkurse oder Termine in Ausländerbehörden machten die Arbeit von Beratungsstellen noch unverzichtbarer als ohnehin. Die geplanten Kürzungen seien "ein fatales Signal an die Menschen, die integrationswillig sind."

Migrationsberater Simon Böhls fragt sich derweil, ob Beratung - und damit auch die Integration - überhaupt gewollt sei. Die Kürzungen, sagt er, würden für die Hilfesuchenden weitere Wege bedeuten. Oder eben, dass sie nicht beraten werden können. Das sei "mehr als bedenklich und frustrierend."

Weitere Informationen
Eine Frau sitzt auf ihrem Gepäck im Kieler Ankunftszentrum für Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine. © picture alliance/dpa Foto: Frank Molter

Unterbringung von Geflüchteten: Viele Kommunen in SH überlastet

Viele Kommunen sind mit der Unterbringung und Betreuung Geflüchteter teilweise überfordert. Sie fordern mehr Unterstützung. mehr

Geflüchtete nehmen Unterricht in einer Schreibwerkstatt. © NDR

Schreibwerkstatt: Geflüchtete schreiben am "Buch des Lebens"

Vergangenheit verarbeiten und in die Zukunft schauen - das Schreiben soll Geflüchteten helfen in Pinneberg anzukommen. mehr

In einer Unterbringung für Geflüchtete stehen drei Betten. © NDR

Viele Geflüchtete: Kreis Pinneberg fordert Hilfe vom Land

Die Kommunen seien an der Grenze der Leistungsfähigkeit, sagt Landrätin Heesch. Es fehlten Wohnungen, Kitaplätze und Integrationskurse. mehr

Aminata Touré (Grüne) steht vor einem Gebäude. © NDR Foto: Christoph Klipp

Schleswig-Holstein stoppt Abschiebungen aus Kliniken

Sozialministerin Touré reagiert damit auf den Fall einer Tunesierin, die aus einer psychiatrischen Klinik im Kreis Segeberg abgeschoben wurde. mehr

Flüchtlinge sind in einem der Zelte einer provisorischen Flüchtlingsunterkunft unterwegs. © dpa Foto: Arne Dedert

Flüchtlingsgipfel: "Teilerfolg" und offene Fragen

Eine Milliarde Euro mehr für die Unterbringung und Integration von Flüchtlingen - Land und Kommunen in Schleswig-Holstein sehen darin nur einen ersten Schritt. mehr

Dieses Thema im Programm:

Schleswig-Holstein Magazin | 24.08.2023 | 19:30 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Sozialpolitik

Migration

Haushaltspolitik

Nachrichten aus Schleswig-Holstein

Frau schaut auf einen Brief und tippt auf ihr Mobiltelefon. © Fotolia.com Foto: contrastwerkstatt

Ärger mit Rechnungen und Verträgen: Aus für Gratis-Beratung in SH

Nach nur einem Jahr will das Land die Förderung für die Quartiersarbeit der Verbraucherzentrale auslaufen lassen. Betroffen sind Menschen mit wenig Geld. mehr

Videos