Insolvente Diako in Flensburg: Wohin steuert die Klinik?

Stand: 17.02.2023 17:59 Uhr

Das insolvente Diako-Krankenhaus kommt nicht zur Ruhe. Ärzte und Politiker kritisieren die Geschäftsführung. Erstmals äußert sich nun der Aufsichtsrat zu den Vorwürfen.

von Simone Mischke, Frank Goldenstein, Jörg Jacobsen

Das Insolvenzverfahren des Flensburger Diako-Krankenhauses geht in die nächste Phase: Am Freitag hat die Klinikleitung ihren Insolvenzplan dem Flensburger Amtsgericht geschickt. Dieser sieht nach Angaben der Klinik eine Entschuldung der Gesellschaft um einen zweistelligen Millionenbetrag vor. "Ich sage: Chapeau", meinte Geschäftsführer Ingo Tüchsen dazu am Donnerstagabend vor dem Sozialausschuss. "Das haben die Kollegen, die dafür ausgewählt wurden, hervorragend hinbekommen. Nicht mal drei Monate für ein Insolvenzverfahren für ein Unternehmen mit einem Gesamtumsatz von 130 Millionen Euro mit 1.400 Mitarbeitern. Das ist schon hervorragend." Wenn das Verfahren abgeschlossen ist, steht die Diako ohne Schulden da. Gläubiger bleiben aber auf einem Teil ihrer Rechnungen sitzen. Darunter sind nach Informationen von NDR Schleswig-Holstein Zulieferer und Handwerksbetriebe. Nicht alle sind so positiv gestimmt wie der Klinik-Chef.

Chefärzte erheben schwere Vorwürfe

Die Leserbriefe zu dem Thema füllen inzwischen ganze Seiten in der Lokalzeitung. Dort melden sich auch ehemalige Ärzte zu Wort, unter anderem drei ehemalige Chefärzte. Der ehemalige Leiter der Neurochirurgie, Dr. Henning Schmidt, wirft der Klinikleitung schwere Managementfehler vor. Man habe am falschen Ende gespart und Personal in Kernaufgaben abgebaut, etwa der Frauenklinik. "Man steht ohnmächtig davor und fragt sich, was will die Klinik erreichen?"

Wie das "Flensburger Tageblatt" berichtet, haben sich auch die aktiven Chefärzte mit einem Brief an die Klinikleitung gewandt. Sie schreiben in Bezug auf das Sanierungskonzept: "Auch nach ungenügender Kurskorrektur lehnen wir weiter jegliche medizinische Verantwortung ab." Was das konkret bedeutet, bleibt offen.

Geschäftsführer Ingo Tüchsen will die Kritik annehmen, wie er im Interview sagt, verweist aber erneut auf die schwierigen Umstände: "Ich kann nachvollziehen, dass da mal irgendwo in meine Richtung geschossen wird. Letzten Endes sind wir in einem System tätig, indem wir den Preis nicht selber im Griff haben. Und wir sind in einem unterfinanzierten Bereich unterwegs."

Firmengeflecht mit 3.400 Mitarbeitern

Grafik Aufbau der Ev. Luth. Diakonissenanstalt © NDR
Die Evangelisch-lutherischen Diakonissenanstalt Flensburg hat mehrere Tochtergesellschaften.

Die insolvente Diako Krankenhaus gGmbH ist ein Tochterunternehmen der Evangelisch-lutherischen Diakonissenanstalt Flensburg. Zu der Anstalt gehören noch weitere Bereiche, die in eigenen Unternehmen organisiert sind - zum Beispiel eine Servicegesellschaft, Fachkliniken in Nordfriesland, Sozialstationen im Umland und ambulante Pflegedienste. Insgesamt arbeiten im Norden Schleswig-Holsteins 3.400 Menschen für den Verbund, davon rund 1.400 im Flensburger Krankenhaus. Klinik-Geschäftsführer Ingo Tüchsen ist das Gesicht der Krise geworden. Er steht meist allein vor den Kameras, um die nächsten Schritte zu erklären. Der bisherige kaufmännische Vorstand der Diakonissenanstalt, Martin Wilde, wechselt gerade an ein anderes Klinikum nach Bayern. Wilde war, bevor er 2015 nach Flensburg kam, Geschäftsführer der Imland-Kliniken, die jetzt ebenfalls in einem Insolvenzverfahren stecken. "Der Vorstand duckt sich weg und im Aufsichtsrat sitzen Menschen, die von Klinik nichts verstehen", schimpft Dr. Henning Schmidt.

Bischof: "Wer entscheidet, macht auch Fehler"

Der Chef des Aufsichtsrats ist Gothart Magaard, Bischof der Nordkirche. Er äußert sich nun erstmals im Interview zur Insolvenz und den Vorwürfen. "Natürlich bedauern wir auch diese Entwicklung, die eben insbesondere für eine ganze Reihe von Mitarbeitenden doch erhebliche Konsequenzen hat. Viele andere müssen sich auch umstellen. Das ist ein ganz schmerzhafter Prozess, und man kann nie ausschließen, dass es auch Fehler gegeben hat. Das gehört dazu", sagt Magaard NDR Schlesiwg-Holstein. "Wir haben nach bestem Wissen und Gewissen und mit einer ganz hohen Aufmerksamkeit die letzten Jahre unter Corona das Krankenhaus begleitet."

Verkauf der Psychiatrie wirft Fragen auf

Die Bedingungen durch Fallpauschalen, die Nachwirkungen der Corona-Pandemie und steigende Preise sind für alle Kliniken gerade denkbar schlecht. Das bestätigten fast alle Häuser NDR Schleswig-Holstein. Aber nicht alle sind insolvent. Die drei ehemaligen Chefärzte, aber auch andere in der Stadt sagen, dass das Management des Krankenhauses ökonomische Fehler gemacht hat. "Der entscheidende betriebswirtschaftliche Fehler war der interne Verkauf der Klinik für Psychiatrie", sagt einer, der nicht namentlich genannt werden möchte. Seit 2020 gehört die Fachklinik auf dem Papier nicht mehr zum Flensburger Krankenhaus, sondern zur Schwesterfirma Diako Nordfriesland gGmbH. Dieses Fachgebiet gilt betriebswirtschaftlich als rentabel. "Kein Krankenhausmanager in Deutschland gibt eine Klinik für Psychiatrie ab."

Aufsichtsrats-Chef Gothart Magaard erklärte auf Nachfrage, dass der interne Verkauf der Psychiatrie mit der geplanten Fusion der beiden Flensburger Krankenhäuser zusammenhängt. Die Diako einerseits und das Malteser-Krankenhaus andererseits planen einen großen gemeinsamen Neubau. "In dem Zusammenhang mussten das Krankenhaus ausgegliedert und dann weitere Maßnahmen getroffen werden, über die ich jetzt im Einzelnen nicht Auskunft geben kann", sagte er im Interview. "Das Ziel war, mit der Ausgliederung des Krankenhauses eben die Fusion zu erreichen. Die wäre sonst nicht möglich gewesen."

VIDEO: Diako: Aufsichtsrat-Chef Magaard sieht keine Versäumnisse (19 Min)

Können Stadt oder Land einspringen?

Aus dem Rathaus ist zum Thema Diako nicht viel zu hören. Flensburgs neuer Oberbürgermeister Fabian Geyer ist erst seit einem Monat im Amt. Zuvor war er viereinhalb Jahre lang im Aufsichtsrat der Diakonissenanstalt, hat diesen Posten nach eigenen Angaben aber aufgegeben. Ein Sprecher der Stadtverwaltung schrieb dazu, der Oberbürgermeister wolle damit mögliche Interessenkonflikte vermeiden. Ein Interview zu seiner Tätigkeit im Aufsichtsrat und zur aktuellen Lage der Klinik lehnte Fabian Geyer ab. Die Pressestelle der Stadt antwortete schriftlich auf eine Anfrage: "Wir stehen im engen Austausch und betonen immer wieder die Wichtigkeit einer gesunden Arbeitsatmosphäre und üben natürlich auch Kritik an der Krankenhausführung."

Weitere Einflussmöglichkeiten seitens der Stadt gibt es nach Angaben des Sprechers nicht. "Da die Krankenhäuser in Flensburg auch die gesamte Region versorgen, handelt es sich um eine übergreifende Aufgabe, die wir in erster Linie beim Land sehen." Im Gesundheitsministerium in Kiel sorgt diese Aussage für Verwunderung. "Im Übrigen sind Land und Kommunen, also auch die Stadt Flensburg, verantwortlich für die Sicherstellung der Krankenhausversorgung. Das gilt unabhängig davon, in welcher Trägerschaft eine Klinik ist", heißt es aus dem Ministerium.

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Welche Folgen hat die Insolvenz?

Die Landespolitik hat das Thema schon erreicht. Der Sozialausschuss des Kieler Landtages hörte am Donnerstagabend die Verantwortlichen der Klinik an. Klinik-Chef Tüchsen betonte dabei mehrfach, die Diako bleibe uneingeschränkt handlungsfähig - und zwar in allen Bereichen. Auf Nachfrage mehrerer Politikerinnen räumten Ingo Tüchsen und der Generalbevollmächtigte Christian Eckert ein, dass es zu vorübergehenden Einschränkungen in der gynäkologischen Versorgung kommen könne. Auch die Bettenkapazität im Bereich der Frauenklinik wird laut Eckert aufgrund von fehlendem Personal reduziert. Das soll sich im Sommer ändern, wenn einige Mitarbeiterinnen aus der Elternzeit zurückkommen.

Das Krankenhaus plant weitere Strukturveränderungen. Ob das reichen wird, um die Klinik langfristig zu stabilisieren und die Defizite abzubauen, mag niemand versprechen.

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Welle Nord | Nachrichten für Schleswig-Holstein | 17.02.2023 | 20:00 Uhr

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