Industrialisierung an der Westküste: Die grüne Zukunft?
Der Bau der Batteriefabrik Northvolt bei Heide könnte der Startschuss für ein neues Industriezentrum sein. Doch die Vergangenheit zeigt: Nicht immer sind Industrievorhaben so erfolgreich wie erhofft.
Für die Industrie im Land setzt sich Frank Schnabel schon lange ein. Seit 17 Jahren ist er Hafenchef in Brunsbüttel (Kreis Dithmarschen) und vertritt auch die Interessen der Unternehmen im dortigen ChemCoast Park. Für die Westküste zwischen Husum (Kreis Nordfriesland), Heide und Brunsbüttel hat Schnabel große Visionen. Er will den Rohstoff Wind in der Nordsee nutzen, um auch die zukunftsorientierte Industrie ins Land holen und sie mit der traditionelle Industrie in Brunsbüttel zu verbinden. Seine Vision: Ein Industriegebiet, so erfolgreich wie das Ruhrgebiet vor mehr als 150 Jahren. "Wir sind das neue Industriegebiet Deutschlands. Und das entsteht hier an der Westküste, zwischen Heide, Husum und Itzehoe (Kreis Steinburg) mit einer Achse rüber nach Kiel". Northvolt bei Heide sei dabei nur ein Teil der Strategie, Industrie an der Westküste anzusiedeln.
Große Pläne für die Region Heide
Schon in zwei Jahren will der schwedische Batteriezellenhersteller in Dithmarschen bei Heide anfangen, auf etwa 110 Hektar nachhaltige Batterien für Elektroautos zu produzieren - ab 2029 für eine Million E-Autos pro Jahr. Der überschüssige grüne Windstrom war für die Standortwahl von Northvolt ausschlaggebend. Das Unternehmen und die Landesregierung hoffen, dass sich in der Region weitere Zulieferbetriebe ansiedeln. Unterstützt werden sie dabei von mehr als 900 Millionen Euro Subventionen und Zuschüssen von Land und Bund. Im Gegenzug verpflichtet sich Northvolt die Fabrik mindestens zehn Jahre zu erhalten und sie nicht ins EU-Ausland zu verkaufen. Auch mit Blick auf die Anzahl der Beschäftigten gibt es vertragliche Regelungen.
Ab den 60er-Jahren wurde Brunsbüttel industrialisiert
Schon einmal gab es an der Westküste große Ansiedlungspläne. Ausführlich beschrieben werden die in den "Brunsbütteler Spuren" von Christiane Sengebusch. Ende der 60er-Jahre beschloss die Landesregierung Brunsbüttel zum Standort für chemische Großindustrie zu machen und so die Attraktivität der Unterelberegion zu steigern. Mehrere Hundert Millionen D-Mark investierte das Land in die strukturarme Region. Auf 2.000 Hektar in den Kreisen Dithmarschen und Steinburg sollten Unternehmen angesiedelt werden, angelockt mit günstigen Strom vom Kernkraftwerk Brunsbüttel. Die Bayer AG war das erste Unternehmen, das 1970 die Entscheidung fällte, sich vor Ort anzusiedeln. Der ehemalige SPD-Landtagsabgeordnete Günther Neugebauer erinnert sich an die Zeit. Damals standen sie kurz vor einer Landtagswahl. "Gerhardt Stoltenberg war Spitzenkandidat für die CDU und hatte 30.000 Arbeitsplätze angekündigt", so Neugebauer. "Die Menschen unterstützten das Vorhaben und waren voller Hoffnung", erinnert er sich.
Damals war die Euphorie groß
Die Industrialisierung Brunsbüttels war ein enormes Projekt. Damit auf dem Gelände gebaut werden konnte, wurde es mit Elbsand aufgespült. Mehr als 1.000 Anwohnerinnen und Anwohner mussten für das neue Industriegebiet umgesiedelt werden. Die Landesregierung sagte zu, die Verkehrsinfrastruktur bereitzustellen. Auch wenn die Dimensionen andere waren als heute: Land und Region standen damals vor ähnlichen Herausforderungen. Es durfte keine Zeit verloren gehen. "Die SPD hatte die Landesregierung geradezu gedrängt, sehr schnell tätig zu werden", schildert Günther Neugebauer. Denn die Euphorie war groß. Weitere Unternehmen siedelten sich an. Das Stadtbild von Brunsbüttel veränderte sich. Doch die Wirtschaft entwickelte sich schlechter, als in den 60er-Jahren angenommen wurde. Zuerst durch die Ölkrise 1970 später dann aufgrund der Globalisierung. Es wurde schwierig, neue Betriebe zu finden. Die Landesregierung musste ihre Erwartungen nach unten korrigieren. Bis 1985 gab es nur knapp 5.000 Arbeitsplätze in Brunsbüttel - deutlich weniger als ursprünglich gedacht.
Das Land verschuldete sich
"Das Land hatte sich durch die Ansiedlung in hohem Maße verschuldet", erinnert sich SPD-Politiker Neugebauer. Bis heute bekommen die Grundstückseigentümer von damals Erbschaftssteuer vom Land - insgesamt 99 Jahre bis ins Jahr 2069. Laut Umweltministerium waren es 2022 rund 400.000, 2023 knapp 570.000. Auch Brunsbüttel Ports zahlt jedes Jahr eine halbe Millionen Euro an 25 Grundstückseigentümer, deren Boden sie heute industriell nutzen. Neugebauer wirft dem Land vor, sich in den 70er-Jahren nicht ausreichend vertraglich abgesichert zu haben. "Die Firmen mussten sich nicht an den entstandenen Infrastrukturkosten beteiligen, für die das Land eine halbe Milliarde D-Mark zahlte", so Neugebauer. "Die haben schlecht verhandelt". Die CDU verteidigte ihr Vorgehen damals im Finanzausschuss und betonte, nur unter diesen Bedingungen hätten sich die Unternehmen auf die Ansiedlung eingelassen. Heute zieht Neugebauer trotzdem ein positives Fazit: Jede Wirtschaftsförderung sei mit Risiken verbunden und in Brunsbüttel wäre durch die Förderung ja auch einiges entstanden.
Infrastruktur wird von der Industrie heute dringend benötigt
Rund 50 Jahre später arbeiten in Brunsbüttel 4.500 Menschen, 12.000 weitere Arbeitsplätze hängen indirekt vom Industriestandort ab. Die Ansiedlung der Chemieunternehmen in den 70er-Jahren wertet Frank Schnabel vom ChemCoast Park Brunsbüttel als großen Erfolg. Ein zusammenhängendes Gewerbegebiet von rund 2.000 Hektar zu schaffen, sei nicht einfach. Heute "boomt Brunsbüttel, wie noch nie", sagt Schnabel. Alle Flächen seien mit Projekten belegt. Es gebe auch Projekte, die wichtig für die Zukunft seien. Zum Beispiel das LNG-Terminal für flüssiges Erdgas, mit dem später einmal Wasserstoff aufgenommen werden soll.
Frank Schnabel fordert jetzt die Infrastruktur, die damals nicht auf den Weg gebracht wurde. Zum Beispiel eine zweigleisige, elektrifizierte Schienenanbindung nach Brunsbüttel. Auch Heide will eine elektrifizierte Bahnstrecke für den Güterverkehr. Mit Blick auf die 70er-Jahre betont Schnabel, halbherzige Lösungen würden dazu führen, dass keine Investoren kämen. Jetzt sei das Momentum da. Damit sich Unternehmen und Fachkräfte in der Region Heide langfristig ansiedeln wollen, brauche es Straßen, Wohnungen, Kitas und Schulen. Das liege jetzt nicht mehr nur noch im Interesse der Unternehmen des ChemCoast Park Brunsbüttel sondern auch im Interesse der Region Heide durch Northvolt. Doch wenn die Umsetzung zu lange dauert, sinke die Wahrscheinlichkeit, dass aus der Ansiedlung von Northvolt mehr entstehen kann, so Schnabel.
Die Zeit drängt
Die Attraktivität des schleswig-holsteinischen Standorts könnte künftig an Bedeutung verlieren, so die Einschätzung von Fabian Böttcher vom Cima Institut für Regionalwirtschaft. Denn wenn grüner Strom deutschlandweit von Nord nach Süd transportiert werden kann, schmälert das den Standortvorteil an der Nordsee mit seinen On- und Offshore Windparks. Deswegen müsse man jetzt den Rückenwind nutzen, den die Northvolt-Ansiedlung mit sich bringe, so Böttcher. Das klare Commitment von Northvolt langfristig in Schleswig-Holstein zu bleiben ist da. Jetzt liegt es an Land, Bund und den Machern vor Ort, das Potential von Northvolt, auch zu nutzen.