Fall Brokstedt: Tatverdächtiger auch in JVA Neumünster auffällig

Stand: 22.02.2023 16:25 Uhr

In einer aktuellen Stunde hat der schleswig-holsteinische Landtag über die tödliche Messerattacke in einem Zug bei Brokstedt gesprochen. Durch die GdP-Regionalgruppe Justizvollzug wurde sein Verhalten in der JVA Neumünster bekannt.

von Sven Brosda

Der mutmaßliche Täter von Brokstedt saß rund ein Jahr in Untersuchungshaft in Hamburg. Wenige Tage nach seiner Entlassung soll der 33-Jährige Ende Januar dieses Jahres zwei Menschen in einem Regionalzug in Brokstedt (Kreis Steinburg) getötet haben. In der Hansestadt galt der Palästinenser im Gefängnis in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Billwerder als "furchtbar anstrengend". So wurde er durch den Hamburger Justizstaatsrat Holger Schatz charakterisiert. Der 33-Jährige soll JVA-Mitarbeiter bedroht, Sachen nach ihnen geworfen und sich mit dem Berliner Breitscheidplatz-Attentäter verglichen haben.

Gewerkschaft der Polizei in Schleswig-Holstein: "Erhebliche Bedrohung für die Kollegen"

Nach der Tat in Brokstedt wurde der 33-Jährige zunächst in der JVA Itzehoe untergebracht und dann in die JVA Neumünster verlegt. Aus dem Informationsblatt "Der Schlüssel" der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Regionalgruppe Justizvollzug in Schleswig-Holstein, geht hervor, dass sich der mutmaßliche Brokstedt-Täter im Gefängnis in Neumünster ähnlich wie in Hamburg verhält.

Ein Fenster mit weißem Gitter ist bei der JVA Neumünster zu sehen. © NDR Foto: Pavel Stoyan
AUDIO: Tatverdächtiger im Fall Brokstedt: Ute Beeck von der GdP berichtet aus der JVA Neumünster (1 Min)

Die Vorsitzende der GdP Regionalgruppe Justizvollzug, Ute Beeck, sagte dazu auf Nachfrage von NDR Schleswig-Holstein: "Der 33-Jährige pöbelt, er bedroht und beschimpft die Bediensteten massiv und das Ganze begleitet von entsprechenden, bedrohlichen Gesten." Er poltere in seinem Haftraum nachts und störe die Nachtruhe der anderen, zerstörte Haftraum und Mobiliar und beeinträchtige somit den Betrieb und die Abläufe auf der Abteilung der JVA Neumünster, so Beeck. Die Gewerkschaft warnt: "Der Gefangene erscheint aktuell nicht einschätzbar und stellt gleichzeitig durch sein Verhalten eine erhebliche Bedrohung für die eingesetzten Kollegen dar."

FDP: Harte Vorwürfe von Bundesinnenministerin

In der aktuelle Stunde im schleswig-holsteinischen Landtag ging es um mögliche Konsequenzen aus der Tat und um scharfe Kritik an Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). Sie hatte in einem Interview suggeriert, dass es möglich gewesen wäre, den mutmaßlichen Täter vor der Messerattacke abzuschieben, wenn ihr Bundesamt [Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, BAMF] von der Untersuchungshaft des Palästinensers in Hamburg gewusst hätte. Diese Einschätzung wollten die Fraktionen von CDU, Grünen, FDP, und SSW in Schleswig-Holstein so nicht stehen lassen.

Christopher Vogt (FDP) spricht bei der Aktuellen Stunde im Landtag © NDR
Der Fraktionschef verlangt, dass Bundes- und Landesbehörden besser miteinander kommunizieren.

FDP-Fraktionschef Christopher Vogt sagte im Plenum: "Frau Faeser sollte keine steilen Thesen aufstellen, sondern sich lieber um die bestehenden Probleme kümmern. Und da stand sie bisher allzu oft auf der Bremse."

Zum Thema Abschiebungen sagte Vogt: "Es könne nicht sein, dass einige Länder ihre straffällig gewordenen Staatsbürger nicht mehr bei sich aufnehmen wollen. Hierfür Lösungen zu finden, ist natürlich nicht einfach, aber wir sollten den jetzigen Zustand nicht länger tolerieren. Das ist auch nicht nur eine wichtige Aufgabe für die Bundesregierung: Auch die Landesregierung muss sich fragen, ob sie hier richtig aufgestellt ist."

CDU: Faeser hat sich blamiert

CDU-Fraktionschef Tobias Koch sprach von "irritierenden" Aussagen von Bundesinnenministerin Faeser zum Messerangriff von Brokstedt. Er erwarte, dass die Ministerin in einer solchen Krisensituation gut informiert sei. Noch viel schlimmer sei aber, dass sie mit ihrer Aussage den Anschein erweckt habe, dass die Tat hätte verhindert werden können. Das sei ein Hohn für die Hinterbliebenen der Toten und für die Verletzten. Das Agieren der Bundesinnenministerin mit einer haltlosen Vermutung sei in dieser Situation absolut unverantwortlich und sei durch nichts zu entschuldigen.

Grüne: Bundesministerin macht es sich zu leicht

Grünen-Fraktionschef Lasse Petersdotter sagte, er könne nicht verstehen, wie eine Bundesinnenministerin vor die Presse treten könne und erklärt, dass eine Abschiebung umsetzbar gewesen wäre. Gerade Politiker sollten vorsichtig sein, mit allzu leichten Antworten auf komplexe Fragen zu reagieren. Eine Rückführung in die palästinensischen Gebiete gelinge nur ausgesprochen selten - der diplomatische Aufwand sei immens. Das könne man bedauern, aber nicht verschweigen, so Petersdotter.

SPD: Schuld ist der Täter

Der SPD-Innenpolitiker Niclas Dürbrook ging nicht direkt auf die Aussagen von Faeser ein. Er meinte, dass niemand dem Täter ein Messer in die Hand gedrückt habe und ihn auch niemand zu der Tat gezwungen habe. Dürbrook sprach von "einem Verbrechen mit ganz klarer Verantwortlichkeit, vollkommen unabhängig davon, was zuvor passiert ist." Die Schuld dafür trage der Täter. Der SPD-Abgeordnete kritisierte außerdem die Behörden in Nordrhein-Westfalen, Nürnberg, Hamburg und Kiel für mögliche Fehler bei der Kommunikation untereinander. Es habe eine Kultur der Nichtzuständigkeit gegeben, so Dürbrook.

SSW: Tat aufklären und Fehler identifizieren

Lars Harms, Fraktionsvorsitzender der SSW in Schleswig-Holstein, spricht bei einer Sitzung des Landtags im Landeshaus. © Landtag
So schlimm die Tat auch sei, sagte Harms, man hätte diesen Menschen nicht ausweisen können.

Lars Harms, Fraktionschef des SSW, sagte, es sei wichtig, die Tat aufzuklären, Fehler zu identifizieren und nach Verbesserungsmöglichkeiten zu suchen. Er machte aber sehr klar: "Für uns ist ganz wichtig, noch einmal deutlich zu machen, dass mit dem Ausländerrecht nicht möglich gewesen wäre, diese Tat zu verhindern."

Auch kritisierte der SSW-Fraktionschef, dass es zu wenig Rückführungsabkommen mit anderen Staaten gebe. Diese müsse man nun machen, "damit es dann, wenn es eine Ausreiseverfügung gibt, auch leicht möglich ist, diese Menschen in ihre Heimatländer zurückzuführen."

Ministerin Touré: Ausweisung war nicht möglich

Auch Schleswig-Holsteins Sozialministerin Aminata Touré (Grüne) widersprach der Bundesinnenministerin. "Selbst im Falle einer besseren Zusammenarbeit der Behörden hätte die Ausweisung nicht erfolgen können." Touré erinnerte daran, dass der mutmaßliche Täter vom BAMF einen subsidiären Schutzstatus bekommen hatte. Er befand sich zwar in Hamburg in U-Haft wegen einer Messerattacke in der Hansestadt, "bis heute liegt aber noch keine rechtskräftige Verurteilung vor."

Touré erklärte weiter, dass die Kieler Zuwanderungsabteilung im Sommer 2021 beim BAMF ein Rücknahme- und Widerrufsverahren wegen anderer Straftaten aus dem Jahr 2016 in NRW angeregt hatte und dieses daraufhin auch eingeleitet wurde. Laut Ministerin wurde darüber aber bis heute nicht entschieden. Selbst wenn das BAMF früher über die Straftaten in NRW informiert worden wäre, hätte der spätere, mutmaßliche Brokstedt-Täter gegen eine mögliche Ausweisung rechtlich vorgehen können. Tourés Fazit: "Eine Aufenthaltsbeendigung vor der Tat wäre aller Wahrscheinlichkeit nach nicht durchführbar gewesen."

Mutmaßlicher Brokstedt-Täter: Drogentest positiv

Nach Recherchen von NDR Schleswig-Holstein haben die Ermittler kurz nach der Tat einen Drogentest bei dem 33-jährigen durchgeführt. Dieser zeigte den möglichen Konsum von Kokain und Morphin an. Der Palästinenser galt auch bei den Hamburger Behörden als Drogenkonsument. So hatte sich zum Beispiel ein sogenannter Ausländerberater, als der Palästinenser in der JVA Billwerder in U-Haft saß, an die Zuwanderungsabteilung der Stadt Kiel gewandt, weil er für den 33-jährigen eine Drogentherapie vorbereiten wollte.

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Welle Nord | Nachrichten für Schleswig-Holstein | 22.02.2023 | 16:00 Uhr

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