Bundestagswahl 2025: Migration - Aufreger-Thema im Wahlkampf
Stand: 17.02.2025 05:00 Uhr
Migration bestimmt den Wahlkampf - auch in Schleswig-Holstein. Die Bundestagskandidaten haben Ideen, wie Integration besser gelingen kann und Hürden auf dem Weg in den Arbeitsmarkt abgebaut werden könnten.
von Judith Pape und Constantin Gill
Das ist für Katrin Stange der schönste Moment: Wenn sie mitspüren kann, wie es bei Kursteilnehmenden "Klick" gemacht hat im Kopf. Zum Beispiel bei der Schülerin, die realisiert, dass es im Deutschen zwar DER Zug heißt, aber DIE Bahn. Obwohl damit doch irgendwie oft dasselbe gemeint ist. Oder dass das "-tz" bei Katze gleich gesprochen wird wie das "Ts-" bei Tsunami.
Integration: Monatelanges Warten auf Sprachkurse für Migranten
Katrin Stange plädiert für ein duales Ausbildungssytem für Migranten: Lernen und dazu die Praxis im Betrieb.
Wie kompliziert das Deutsche ist, das denkt Katrin Stange oft in ihren Sprachkursen: Immer montags bis donnerstags von 9 Uhr bis 12 Uhr, im Rathaus Uetersen (Kreis Pinneberg). Etwa 18 Schüler und Schülerinnen aus Afghanistan, Syrien, dem Iran oder Bulgarien sitzen dann bei ihr und lernen Artikel, Konsonanten und Pronomen. Viele von ihnen mussten monatelang auf den Kursplatz warten, weil es zu wenig Plätze und Lehrpersonal gibt. "Dabei ist Sprache doch der Schlüssel zu einer neuen Heimat. Nur, wenn ich mich ausdrücken kann, mein Gegenüber erreichen kann, komme ich in Kontakt", sagt Stange.
Weg zum Arbeitsmarkt ist lang
Stange bewundert jeden Schüler, der frohen Mutes morgens in ihren Kurs kommt. Denn ihrer Beobachtung nach ist nicht nur die Sprache kompliziert, sondern vor allem das System, mit dem Migranten in Deutschland integriert werden sollen. Das lange Warten auf die Sprachkurse ist da nur das Eine: Wenn ihre Gruppe im Sommer nach anderthalb Jahren Alphabetisierung fertig ist, bekommen sie zwar ein Zertifikat, können oft mühelos verstehen, sich vorstellen, etwas plaudern - auf den deutschen Arbeitsmarkt dürfen sie dann aber immer noch nicht. Dafür braucht es mindestens zwei weitere Kurse.
Starres, frustrierendes System
Viel zu starr, findet Katrin Stange das, denn gerade bei der Arbeit könne Sprache geübt werden, Kontakt zu Nation und Kultur aufgebaut werden. Sie, die selbst in der Kommunalpolitik für die Grünen aktiv ist, fordert von allen Parteien auf Bundesebene Bewegung: "Die Barriere Arbeitsmarkt muss durchlässiger werden", sagt Stange. Bei dem Arbeitskräftemangel könnten Menschen schon viel früher aushelfen - ohne perfekte Sprachkenntnisse und ohne Zertifikate. Denn letztere sind die nächste Hürde: "Ich habe hier Menschen aus Afghanistan, die haben von klein auf bei Papa in der Werkstatt gearbeitet, die können alles aus Holz bauen, haben aber keine Ausbildung und sind vielleicht gar nicht zur Schule gegangen", erzählt Katrin Stange. Die hätten Kompetenzen, aber nicht das entsprechende Papier und dann würden sie beim Jobcenter ausgebremst. Selbst mit Dokument dauere es zu lange, bis diese übersetzt und anerkannt seien. Frustrierend sei das für viele, beobachtet Stange.
Idee: Praxis und Lernen kombinieren
Katrin Stange hätte eine Lösungsidee: Eine Art duales Ausbildungssystem, bei dem die Migranten stundenweise in den Sprachkurs gehen und dazu in einem Betrieb arbeiten. Praxis und Lernen kombiniert - ein System, mit dem Deutschland in der Bildung doch schon so viel gute Erfahrung gemacht hat. Das würde es einfacher machen, findet sie - das Sprechen und das Ankommen.
Katrin Starre kritisiert ein zu starres System bei der Integration. Wie wollen die Bundestagskandidaten mit dem Thema umgehen?
"Wir müssen dafür sorgen, dass Sprachkurse und Integrationskurse weiterhin unterstützt werden. Dass das möglichst niedrigschwellig gemacht wird, sodass wir die Menschen so schnell wie möglich bei uns in den Arbeitsmarkt rein bekommen. Und wir müssen darauf schauen, dass die Abschlüsse, mit denen die Menschen hierher kommen, auch schneller und besser anerkannt werden."
"Wenn es um Immigration geht, werden viele Kommunen im Augenblick mit den Problemen alleingelassen. Es sind sehr, sehr viele Menschen zu uns gekommen und die Ressourcen, die den Kommunen zur Verfügung gestellt werden, reichen nicht aus. Und da müssen wir hinterher sein, damit wir den Menschen helfen können, so dass die auch ordentlich in unsere Gesellschaft und auch in unseren Arbeitsmarkt integriert werden können."
"Wir brauchen gute Bedingungen für eine Integration. SPD, Grüne und FDP haben gemeinsam die Mittel für die psychosoziale Betreuung für Geflüchtete halbiert. Und das ist eine fatale Entscheidung gewesen, weil wir wissen, dass 30 Prozent der Geflüchteten, die beispielsweise aus Kriegsgebieten kommen, schwere Traumata haben."
"Die Menschen müssen schnell raus aus dem Massenunterkünften in die dezentrale Unterbringung. Da macht Schleswig-Holstein auch einiges richtig. Und sie müssen von Anfang an die Möglichkeit haben, die Sprache zu erwerben und eine Arbeit aufzunehmen. Wir müssen Abschlüsse schnell anerkennen und die Menschen in Kontakt und in Arbeit bringen."
"Wir müssen in unserer gesamten Migrationspolitik einfach noch flexibler werden. Wir haben Menschen, die sich nicht ernsthaft integrieren wollen und dann zusätzlich noch kriminell auffallen. Die müssen wir auch wieder konsequent ausweisen. Aber es gibt auch viele, die eine Bereicherung für unsere Gesellschaft sind. Und denen müssen wir es ermöglichen, schnell und einfach hierherzukommen und sich auch zu integrieren. Das und das bedeutet natürlich, Arbeit zu finden, die deutsche Sprache zu lernen. Das ist ein Lernprozess für unseren Staat und für unsere Verwaltung. Aber wir müssen ihn entschiedener gehen."
"Deutschland würde ohne Migranten gar nicht mehr funktionieren. Ich vertrete ja in einem ländlichen Wahlkreis. Da fährt fast kein Bus mehr, ohne dass nicht auch Migranten am Steuer sitzen. Aber: Ein Busfahrer muss sich hier auskennen. Muss die deutschen Verkehrsregeln kennen und muss sich natürlich mit Fahrgästen unterhalten können. Muss verstehen, was sie wollen, wenn sie eine Auskunft haben wollen, und muss auch in Notfällen handeln können. Wir müssen die Leute ins Berufsleben reinholen. Aber Sicherheitsvorkehrungen gibt es schon. Ich bin für Flexibilität, aber wir dürfen unsere Standards auch nicht völlig aufweichen."
"Wir haben viele Firmen, die bereit sind, tatsächlich Flüchtlinge und Asylbewerber, die einen längeren Bleibestatus haben, aufzunehmen und sie im Zweifel auch auszubilden. Und dann kommt die Bundesagentur für Arbeit und sagt das geht nicht. (...) Wir müssen eine Flexibilisierung am Arbeitsmarkt haben."
"Die beste Integration findet tatsächlich im Arbeitsleben statt, definitiv. (...) Wir könnten sogar mit dem Vorweisen eines Arbeitsvertrages oder eines Ausbildungsvertrages einen eigenen Aufenthaltsstatus schaffen. Was klar macht, dass die Leute, solange sie arbeiten oder ein Ausbildungsverhältnis haben, nicht abgeschoben werden können. So dass die Betriebe auch sicher sein können, dass ihnen nicht nach einem Monat oder einem halben Jahr die Mitarbeiter weggenommen werden. Das würde ein Anreiz sein, in den Arbeitsmarkt zu gehen."
"Ich glaube, wir können wirklich wahnsinnig viel noch vereinfachen. Aber ich glaube, das gelingt nur, wenn man sich wirklich auch gleichzeitig zu dieser Einwanderungsgesellschaft bekennt. Und man sich auch dazu bekennt, dass wir Menschen aufnehmen wollen und auch dauerhaft eine Zukunft bieten wollen, weil wir sie auch brauchen. Der Fachkräftemangel ist real. Der demografische Wandel ist real. Menschen müssen unbedingt nach nach Deutschland kommen und auch bleiben. Ansonsten haben wir wirtschaftlich überhaupt keine Chance, unseren Status zu halten."
"Für den leichteren Zugang auf den Arbeitsmarkt haben wir als Koalition schon versucht, Maßnahmen zu treffen. Manche funktionieren auch einigermaßen gut, aber noch nicht ausreichend. (...) Wenn Menschen einen Job angeboten bekommen, sollen sie zwingend anfangen zu arbeiten. Da darf es keine Hürden geben. Gleichzeitig brauchen wir natürlich auch die Strukturen, und das ist bei einer so hohen Aufnahme von Flüchtlingen und Zuwanderern natürlich eine große Herausforderung. Da brauchen wir den Bund, der die Kommunen und Länder unterstützen muss. Da sind wir auf jeden Fall noch nicht gut davor. Da müssen wir besser werden.
"Wir müssen als Bundesrepublik Bundesrepublik Deutschland zusehen, dass wir wirklich endlich abschieben und auch uns auf Augenhöhe mit den Ländern unterhalten, von denen wir verlangen, dass sie ihre Menschen zurücknehmen. Es müssen Gespräche mit der syrischen und oder der afghanischen Regierung stattfinden. Es bleibt uns ja nichts anderes übrig. Wir können niemanden nach Afghanistan abschieben, wenn sich die dortige Regierung weigert. Egal, wer dort eine Regierung ist, man muss mit ihnen verhandeln."
"Wir müssen erst mal schauen, dass die Arbeitsplätze besetzt werden von Menschen, die zum Beispiel Bürgergeld beziehen. Die arbeitslos geworden sind, die arbeitssuchend sind. Wir dürfen nicht versuchen, Integrationsmaßnahmen damit zu vermischen, Arbeitsplätze zu besetzen."
"Wir haben schon massive Asylrechtsverschärfungen vorgenommen. (...) Und haben ja auch eine ganze Reihe weiterer Gesetze in der Migrationspolitik beschlossen: Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz, Chancenaufenthaltsgesetz - da ist also eine Menge passiert. Nur ich habe den Eindruck, dass viele Leute gerade die Wahrnehmung haben, wir hätten nichts gemacht in dem Bereich, und es wäre rein gar nichts passiert. Und wir hätten hier die Schleusen aufgemacht. Das geben die Zahlen nicht her."
"Es gab ja auch die Regel, dass Migranten viele Monate warten mussten, bis sie überhaupt eine Arbeitserlaubnis erteilt bekommen haben. Das haben wir drastisch reduziert von neun auf drei Monate, dass es schon Schritt in die richtige Richtung. Aber ich glaube, dass die Hürden da teilweise immer noch zu hoch sind. (...) Nur weiß ich auch von vielen Arbeitgebern, die natürlich auch Wert darauf legen, dass man sich miteinander verständigen kann. Und dementsprechend wäre für mich auch ein wichtiges Thema, über eine Erweiterung der Kapazitäten in den Sprachkursen nachzudenken."
"Es gibt viele Menschen, die sind gut integriert. Es gibt aber auch Menschen, die sind nicht gut integriert. Und was wir in Deutschland verändern müssen, ist, dass Integration keine Option mehr ist, sondern ein Muss. Auch, was Sprachkurse angeht, was kulturelle Integration angeht. Es kommen Leute hierher, die bleiben in ihrem Kulturkreis, nehmen die deutsche Kultur gar nicht erst an und dann bilden sich halt diese Parallelgesellschaften. Das liegt aber auch daran, dass Kommunen und Behörden überlastet sind. Es müssen viel mehr Finanzen für Integration zur Verfügung stehen."
"Vor allem wenn Menschen gegen unsere Gesetze verstoßen und keine deutsche Staatsbürgerschaft haben, müssen sie abgeschoben werden. Das Problem ist aber, dass die Behörden nicht richtig miteinander kommunizieren können aufgrund von Bürokratie. Es würde viel Wut und Unmut der Menschen wegnehmen, wenn sie sehen, dass unsere Gesetze angewandt werden, und jemand, der hier herkommt und sich nicht an Gesetze hält, muss dann einfach gehen."
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Dieses Thema im Programm:
Schleswig-Holstein Magazin |
17.02.2025 | 19:30 Uhr
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