Brokstedt-Prozess: Angeklagter führte Selbstgespräche in Haft
Im Prozess um die Messerattacke in einem Regionalzug bei Brokstedt ging es am Montag erneut um den psychischen Zustand des mutmaßlichen Täters. Mehrere Zeugen schilderten auffälliges Verhalten nach der Verhaftung.
Es ist eine der großen Fragen im Brokstedt-Prozess: Ist der Angeklagte Ibrahim A. psychisch krank und deshalb möglicherweise nicht oder vermindert schuldfähig? Um Antworten darauf zu finden, befragte das Landgericht Itzehoe (Kreis Steinburg) am Montag unter anderem Justizbeamte oder Mitarbeitende von Behörden und Obdachloseneinrichtungen, die Kontakt mit dem mutmaßlichen Täter hatten.
Zeugin: Ibrahim A. wirkte abwesend, nicht ganz klar
Die Aussagen waren unterschiedlich. So schilderte eine medizinische Fachangestellte eine Situation bei einem Verbandswechsel. Der Angeklagte habe ihr auf arabisch Fragen gestellt, etwa wie lange er im Gefängnis bleiben müsse und ob er die Tat zugeben solle. Auch soll er gefragt haben, ob seine Tat in den Nachrichten - auch den arabischsprachigen - gewesen sei. Zu den umstehenden Beamten habe er gesagt: "Ihr werdet schon sehen" und "Ich mache euch fertig". Gleichzeitig habe der Angeklagte aber abwesend gewirkt, habe immer wieder auch Selbstgespräche geführt und Sätze im Flüsterton wiederholt - aus Sicht der Zeugin schien er in einer Kriegssituation zu sein.
JVA-Mitarbeiter: Am Anfang der Haft sehr auffällig
Mehrere Justizvollzugsbeamte aus der JVA Neumünster sagten aus, dass Ibrahim A. vor allem am Anfang seiner Haft sehr auffällig gewesen sei. Er habe geschrien, gegen die Tür getreten, in seiner Zelle randaliert und Beamte immer wieder intensiv mit den Augen fixiert.
Die Mitarbeitenden der JVA berichten auch von Selbstgesprächen des Angeklagten. Ein Beamter hatte den Eindruck, dass er in einer Art Rollenspiel unterschiedliche Personen darstellte, die sich auf unterschiedlichen Sprachen unterhielten. Ihm kam es so vor, als würde Ibrahim A. das spielen, um sich zu beschäftigen.
Ein anderer Beamter wertete einige Aussagen des Angeklagten eher als Versuch, irgendeine Reaktion zu provozieren. Er sprach den Verdacht an, dass A. mit diesem Verhalten ausloten wollte, wie weit er gehen kann - und ob er die Möglichkeit zu einem Angriff oder sogar Fluchtversuch hätte. Das will ein Mitgefangener gehört haben.
Vom Fernseher bedroht?
Gegenüber seinem Verteidiger soll Ibrahim A. wiederum gesagt haben, dass er sich vom Fernseher in seiner Zelle beobachtet fühle. Die JVA-Mitarbeitenden konnten bestätigen, dass der Angeklagte den Fernseher aus der Zelle entfernt haben wollte. Einer der Zeugen erinnerte sich daran, dass A. befürchtete, vom Fernseher abgehört zu werden. In einer anderen Situation soll er kurzzeitig Essen abgelehnt haben, weil darin Abhörgegenstände versteckt seien. Der Zeuge hielt dieses Verhalten aber eher für gespielt.
Inzwischen benehme sich der mutmaßliche Täter in der Haft aber angepasster, so die Beamten. Auch die Sicherheitsmaßnahmen seien herabgesetzt worden - Ibrahim A. mache von seinen Freiheiten in Haft aber kaum Gebrauch. Auch auf die Verkündung von Lockerungen habe er zunächst aggressiv und mit Drohungen reagiert.
Angeklagter soll am Tattag selbst sehr ruhig gewesen sein
Wie sich der Angeklagte kurz vor seiner Tat verhielt, das war am vergangenen Freitag Thema vor dem Landgericht. Unter anderem wurde ein Empfangsmitarbeiter aus dem Rathaus Kiel befragt, wo sich der mutmaßliche Täter am Tattag obdachlos melden wollte. Laut dem Mitarbeiter zeigte er dort einem handschriftlichen Zettel der Zuwanderungsabteilung vor - man konnte das Anliegen aber nicht bearbeiten, weil Ibrahim A. kein deutscher Staatsbürger ist, zudem war das Einwohnermeldeamt an diesem Tag geschlossen. Später am Tag wurde der mutmaßliche Täter in Neumünster aus einem ICE verwiesen, weil er keine Maske trug und keinen Fahrschein hatte. Dazu sagten die Zugbegleiter aus. Alle beschrieben die Begegnungen mit Ibrahim A. als unauffällig. Er sei ruhig gewesen, habe kaum reagiert - aber auch nicht angespannt oder aufgebracht gewirkt. Das gilt laut den Aussagen mehrerer Sozialarbeiter und Ehrenamtlichen offenbar auch für den Zeitraum zwischen seiner Entlassung aus der vorherigen U-Haft in Hamburg und der späteren Tat.
Behörden-Chaos immer wieder Thema
Immer wieder war in den Vernehmungen am Rande auch das Behördenwirrwarr Thema. Vor der Tat wurde der Angeklagte von mehreren Hilfsstellen für Wohnungslose und Behörden ab- und weiterverwiesen - weil Unterlagen fehlten, sein ausländerrechtlicher Status ungeklärt war oder die Zuständigkeit nicht feststand. Laut dem Verteidiger geht die Staatsanwaltschaft davon aus, dass die Frustration darüber zu der Tat beigetragen haben könnte. Der Verteidiger hält das aber für unwahrscheinlich, denn bei den Behörden sei sein Mandant ja noch ruhig gewesen. Er geht davon aus, dass sich Ibrahim A. aufgrund seines psychischen Zustands bedroht gefühlt hat.
Korrekturhinweis: In einer früheren Version hatten wir fälschlicherweise berichtet, das Gericht gehe davon aus, dass Frustration über die Abweisung von den Behörden zu der Tat geführt haben könnte. Das ist nicht korrekt, das Gericht hat sich dazu noch nicht geäußert, weil die Beweisaufnahme noch nicht abgeschlossen ist. Richtig ist, dass die Staatsanwaltschaft in ihrer Anklageschrift diese Möglichkeit nennt. Wir bitten um Entschuldigung.