Polizist beim Brokstedt-Prozess: Hätte am liebsten geweint

Stand: 19.07.2023 20:26 Uhr

Sieben Zeugen waren zum dritten Prozesstag wegen der Messerattacke von Brokstedt geladen. Sechs Polizisten und ein Fahrgast berichteten eindrücklich, wie sie die Tat im Regionalzug erlebt hatten.

Ein Passagier berichtete dem Landgericht Itzehoe (Kreis Steinburg), er sei nah an dem Geschehen dran gewesen. Bei seiner Aussage wirkte der Mann emotional aufgewühlt. Eindrücklich beschrieb er einen markerschütternden Schrei einer angegriffenen Frau, die direkt neben ihm zu Boden gestützt sei. Für ihn habe es wie der Schrei des Todes geklungen und er sei geflohen. Der Zeuge berichtet auch, dass Ibrahim A. die junge Frau regelrecht verfolgt habe. Er sei total auf sie fokussiert gewesen. 

Polizisten schildern chaotische Situation

Davor hatten bereits zwei Polizisten geschildert, wie sie die Situation am Bahnhof Brokstedt vorfanden. Beide waren direkt nach dem Messerattentat vor Ort. Sie beschrieben eine chaotische Situation. Als erstes seien ihnen die Verletzten aufgefallen, auf dem Bahnsteig hätten sie eine lange Blutspur gesehen. Auch an der Außenwand des Zuges sei viel Blut gewesen.

Stark blutende Frau am Bahnhof

Ein Zeuge berichtete, dass seine Kollegen und er zunächst von einem Messerstreit zwischen zwei Personen ausgegangen waren. Dann sahen sie am Bahnhof eine stark blutende Frau und weitere stark blutende Menschen. Mehrere Personen seien auf ihn zugekommen und hätten gesagt, der Angreifer sitze auf dem Bahnsteig. Zwei Personen sollen bei dem Mann gewesen sein. Einer habe seine Schnittwunden versorgt, der andere habe ihn an der Schulter heruntergedrückt und zu den Polizisten gesagt: "Das ist der Täter." Erst im Gespräch mit ersten Zeugen hätten sie begriffen, dass der Angreifer im Zug auf mehrere Menschen eingestochen haben soll.

Mann wirkte gleichgültig und emotionslos

Der Mann habe dort ruhig und mit erhobenen Armen und gesenktem Blick gekniet, so der Zeuge. "Er hat sich nicht bewegt und auch keinen Mucks von sich gegeben." Auf die Ansage, er sei vorläufig festgenommen, habe er nur kurz zur Seite geschaut. Der Polizist beschreibt die Ausstrahlung des Mannes als gleichgültig und emotionslos oder provozierend. Ob er merkte, dass ein Polizeibeamter mit ihm sprach, sei schwer zu sagen gewesen.

Sein Kollege habe den Mann dann gesichert, er selbst habe das Tatmesser aus einem Mülleimer geholt und in den Streifenwagen gebracht. Anschließend habe er geholfen, Verletzten Erste Hilfe zu leisten, und Rettungskräfte eingewiesen, so der Polizist. Der Zeuge sprach ruhig und strukturiert direkt zum Richter. Den Angeklagten schaute er nicht an. Ibrahim A. hörte seinem Übersetzer konzentriert zu, suchte aber weder Augenkontakt zu den Beamten noch zum Zuschauerbereich.

Ein weiterer Polizist schilderte ganz genau, wie er die beiden Getöteten junge Leute gefunden hat. Er sei allein in den Zug gegangen, haben dann die Meldung weitergegeben, dass zwei Tote im Zug liegen. Er habe dann zusammen mit der Bundespolizei das Abteil gesichert und den Zug durchsucht, weil sie nicht wussten, ob es weitere Täter gibt. Später habe er dann den Täter gesichert.

Lange gebraucht, um das Geschehene zu verarbeiten

Einer der geladenen Polizisten sagte am Rande: "Als ich verstanden habe, was da passiert ist, wäre ich am liebsten mit den Ersthelfern, die uns in die Arme gefallen sind, weinend zu Boden gegangen." Er habe sehr lange, länger als bei anderen Einsätzen gebraucht, um das Geschehene zu verarbeiten. Ein weitere Zeuge beschreibt, dass er den Einsatz wie im Tunnel erlebt habe: "Man macht und funktioniert und merkt erst später, was da abgelaufen ist."

Ibrahim A. wird vorgeworfen, am 25. Januar 2023 im Regionalexpress von Kiel nach Hamburg zwei Menschen mit einem Messer getötet und vier weitere zum Teil schwer verletzt zu haben. Die Anklage lautet auf zweifachen Mord und vierfachen Mordversuch. Am Montag hatten bereits zwei Zeugen aus dem Zug den Tathergang aus ihrer Sicht geschildert.

Weitere Informationen
Der Bahnhof Brokstedt. © picture alliance / dpa Foto: Daniel Bockwoldt

Der Weg nach Brokstedt: Chronik der Ereignisse vor der Tat

Ibrahim A. war in mehreren Bundesländern auffällig. Was über seine Stationen in Deutschland bekannt ist. mehr

Staatsanwaltschaft hält Angeklagten für schuldfähig

Die Anklage ist davon überzeugt, dass der Angeklagte aus niedrigen Beweggründen und in Heimtücke handelte und hält ihn für schuldfähig. Der Verteidiger des Angeklagten erklärte unter Bezug auf ein psychiatrisches Gutachten, sein Mandant wäre besser in der geschlossenen Psychiatrie als in Untersuchungshaft aufgehoben. Er beantragte eine Haftprüfung. Ibrahim A. selbst stritt die Tat und die Vermutung einer psychischen Erkrankung zum Prozessauftakt ab.

Weitere Informationen
Der Angeklagte setzt sich im Gerichtssaal. © Christian Charisius/dpa/Pool/dpa Foto: Christian Charisius

Brokstedt-Prozess: "Er hat sich zum Messer gebeugt und mich angegrinst"

Die erste Zeugin im Brokstedt-Prozess erkannte Ibrahim A. im Gerichtssaal sofort wieder. Nur zwei Meter von ihm entfernt schilderte sie den Angriff. mehr

Gerichtssaal mit dem Angeklagten und seiner Verteidigung. © Christian Charisius/dpa-POOL/dpa Foto: Christian Charisius/dpa-POOL/dpa

Angeklagter im Brokstedt-Prozess: "Das stimmt alles nicht"

Am ersten Verhandlungstag beteuerte der Angeklagte seine Unschuld. Seine Beteiligung an der Messerattacke sei eine Erfindung der Medien. mehr

Der Innen- und Rechtsausschuss des Landtags in Kiel bei einer Sitzung zum Messerangriff in Brokstedt © dpa-Bildfunk Foto: Marcus Brandt/dpa

Messerattacke in Brokstedt: Bisher kaum Forderungen umgesetzt

Gut fünf Monate nach dem Messerangriff in Brokstedt hat am Freitag der Prozess begonnen. Was hat sich seitdem im Land verändert? mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Welle Nord | Nachrichten für Schleswig-Holstein | 19.07.2023 | 16:00 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Kreis Steinburg

Nachrichten aus Schleswig-Holstein

Die 15-jährige Julia Soennichsen beim Trainingswurf. © NDR

15-jährige Dart-Spielerin will hoch hinaus

Julia Sönnichsen ist zwar erst 15, hat beim Dart aber schon viel erreicht. Viele glauben an eine große Karriere. mehr

Videos