Angeklagter im Brokstedt-Prozess: "Das stimmt alles nicht"
Am Freitag hat in Itzehoe der Prozess wegen der tödlichen Messerattacke in einem Regionalzug bei Brokstedt begonnen. Der Angeklagte sagte, er sei unschuldig, erweckte vor Gericht aber das Bild eines psychisch auffälligen Menschen.
In Handschellen und mit einem grünen Trainingsanzug bekleidet betrat Ibrahim A. am Freitag den Verhandlungssaal des Landgerichts Itzehoe. Er verdeckte sein Gesicht nicht und schaute vor allem das Publikum und die Pressevertreterinnen und -vertreter interessiert an.
Stille bei der Anklageverlesung im Itzehoer Gerichtssaal
Als dann die Anklage wegen zweifachen Mordes und vierfachen versuchten Mordes verlesen wurde, wurde es ganz still im Saal. Detailliert schilderte Staatsanwältin Janina Seyfert, wie sich die Messerattacke am 25. Januar 2023 aus Sicht der Anklage abgespielt haben soll. Insbesondere, als die schweren, zum Teil tödlichen Verletzungen der Opfer genannt wurden, war die Betroffenheit der Anwesenden deutlich spürbar. Allein 26 Messerstiche soll Ibrahim A. der getöteten 17-Jährigen zugefügt haben. Ihr zwei Jahre älterer Freund soll noch versucht haben, sie wegzuziehen und habe dann selbst zwölf tödliche Stich- und Schnittverletzungen erlitten.
Insgesamt vier weitere Fahrgäste soll Ibrahim A. anschließend mit dem Messer angegriffen und schwer verletzt haben, darunter eine Frau, die erst in Brokstedt in den Zug einstieg und nichts von den Vorkommnissen im Inneren ahnte sowie einen Mann, der gerade einen Verbandskasten für eine der anderen Verletzten suchte.
Staatsanwaltschaft: Angeklagter handelte in Tötungsabsicht
Aus Sicht der Staatsanwaltschaft handelte A. in allen Fällen in Tötungsabsicht. Nachdem er zuvor bei der Zuwanderungsbehörde und dem Einwohnermeldeamt in Kiel mit seinen Anliegen keinen Erfolg hatte, soll er in einem Supermarkt ein 20 Zentimeter langes Fleischermesser gestohlen haben - laut Anklage mit der Absicht, sich seinem Frust durch die Anwendung des Messers gegen andere Menschen Luft zu machen.
Die Staatsanwaltschaft sieht die Mordmerkmale Heimtücke und niedrige Beweggründe als erfüllt an, denn die Opfer hätten sich in einer Alltagssituation befunden und nicht mit einem Angriff rechnen können. Sie seien "bloße Objekte seiner Frustration" gewesen, sagte die Staatsanwältin. Mehrere der Betroffenen seien lebensgefährlich verletzt worden und hätten nur durch die sofortige medizinische Behandlung gerettet werden können. Sie seien zum Teil dauerhaft durch Narben oder Beeinträchtigungen geschädigt.
Mutmaßlicher Täter wirkt ruhig, streitet Tat aber ab
Ibrahim A. wirkte während der Verlesung der Anklage ruhig, schaute mehrmals zum Richtertisch oder in die Luft, rieb sich mit den Händen über das Gesicht. Als der Richter ihn fragte, ob er sich zu den Vorwürfen äußern will, schien er die Frage nicht richtig zu verstehen. Er antwortete in einer Mischung aus Deutsch und Arabisch, obwohl ein Dolmetscher anwesend war und äußerte mehrmals, er sei unschuldig. "Das stimmt alles nicht", sagte er. Das sei alles nur in den Medien berichtet worden und er fälschlicherweise beschuldigt. Auf Nachfrage des Richters ließ er sich aber darauf ein, in dem Regionalzug gewesen zu sein.
Verteidiger: Angeklagter leidet unter Psychose
Sein Verteidiger Björn Seelbach sprach im Anschluss von einer Diskrepanz - denn im Ermittlungsverfahren habe sein Mandant noch Angaben zum Ablauf des Tattages gemacht. Damals habe A. ihm gegenüber geäußert, dass es ihm schrecklich leid tue und dass er sich in dem Zug bedroht gefühlt habe.
Aus Sicht des Verteidigers geht es in dem Verfahren vor allem um die Frage der Schuldfähigkeit. Denn A. leidet nach Angaben seines Anwalts unter einer psychischen Erkrankung mit veränderten Wahrnehmungen, die allerdings nur phasenweise auftreten. Nach Angaben seines Anwalts habe A. bereits bei einer vorherigen Verurteilung wegen schwerer Körperverletzung in Hamburg davon gesprochen, dass er von seinem Gegenüber angeblich mit der Beleidigung "Ich ficke deine Mutter" provoziert worden sei.
Diese Wahrnehmung habe sich in letzter Zeit vervielfacht, so der Anwalt. Zum Beispiel sei A. der Meinung gewesen, dass Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) ihn im Fernsehen direkt angesprochen und ebenfalls derart beleidigt habe. Eine solche Wahrnehmungsstörung könnte demnach der Grund sein, warum sich A. in dem Regionalzug angegriffen gefühlt haben könnte.
Angeklagter will nicht mehr mit seinem Anwalt sprechen
Genau weiß sein Anwalt das aber nicht, denn auch ihm gegenüber hat Ibrahim A. offenbar eine verzerrte Wahrnehmung und will nicht mehr mit ihm sprechen. Er äußerte dies auch gegenüber dem Gericht, das aber entschied, dass Seelbach die Verteidigung behält. Statt eine Erklärung im Namen seines Mandanten zu verlesen, gab der Anwalt daher eine eigene Stellungnahme ab. Unter anderem sagte er darin, dass sein Mandant eigentlich schon während der Verhandlung in eine psychiatrische Einrichtung anstatt in U-Haft gehöre.
Wirre Aussagen, Gutachter soll Schuldfähigkeit klären
Im Verfahren wird ein Gutachter die Schuldfähigkeit einschätzen. Staatsanwältin Seyfert sagte, sie gehe derzeit von einer Schuldfähigkeit aus. Diese Frage werde aber Teil der Beweisaufnahme sein. Bereits am ersten Prozesstag sprach Ibrahim A. zum Teil wirr und zusammenhanglos, erzählte er sei in der JVA in Hamburg verfolgt worden, seine angeblich kontaktierte Familie sei gar nicht seine Familie und wolle ihm nur Schlechtes. Sein Anwalt konnte nicht bestätigen, dass es überhaupt einen Kontakt zu Familienangehörigen gab. Auf die Frage, ob Ibrahim A. sich seiner gestörten Wahrnehmung bewusst sei, sagte sein Anwalt: "Ich glaube nicht, das ist Teil des Krankheitsbildes."
Zeuginnen und Zeugen waren zum Prozessauftakt noch nicht dabei. Dafür war einer der Nebenklägerinnen und Nebenkläger selbst anwesend. Es handelt sich um einen Mann, der von A. ebenfalls mit dem Messer verletzt wurde und unter anderem daran beteiligt war, den Angreifer zu stoppen. Er saß dem Angeklagten direkt gegenüber, beide sahen sich einmal direkt an. Insgesamt haben sich acht Nebenklägerinnen und -kläger dem Verfahren angeschlossen, darunter auch die Eltern der getöteten 17-Jährigen, die aber selbst nicht vor Gericht erscheinen wollen. Fortgesetzt wird die Verhandlung am 17. Juli, dann sollen auch zwei Zeuginnen und Zeugen aus dem Zug aussagen.