Ein Mann trägt bei einem Umzug einen Karton durch ein Treppenhaus. © picture alliance / Schoening Foto: Schoening

Zensus: Die Jungen zieht's nach Westen und in die Städte

Stand: 26.06.2024 14:30 Uhr

Der Zensus zeigt: In Mecklenburg-Vorpommern ist die Zahl der jungen Erwachsenen eingebrochen. Anderswo im Norden steigt sie - auch in ländlichen Regionen. Der Osten kann aber auf eine Trend-Umkehr hoffen.

von Sebastian Vesper, Lalon Sander

"Man merkt jetzt schon, dass die jungen Menschen fehlen", sagt Gabi Lubahn. Sie ist Vorsitzende des Kulturvereins in Kargow – einem Dorf im Kreis Mecklenburgische Seenplatte. Der Verein will das Dorfleben ankurbeln. Aber junge Menschen, die da mitmachen möchten, die gebe es kaum, erzählt Lubahn.

Im Kreis Mecklenburgische Seenplatte gab es laut der letzten großen Volkszählung, dem Zensus 2011, etwa 61.000 junge Erwachsene im Alter von 19 bis 39 Jahren. Elf Jahre später sind es laut Zensus 2022 nur noch 45.000, ein Rückgang um fast 26 Prozent. Auch insgesamt ist hier die Bevölkerung um acht Prozent geschrumpft – entgegen dem Trend: Denn die deutsche Bevölkerung insgesamt ist seit 2011 um mehr als zwei Millionen gewachsen.

Weniger junge Menschen in Ostdeutschland - klare Ost-West-Grenze

Die Mecklenburgische Seenplatte ist in gewisser Weise typisch für ganz Ostdeutschland: Auf dem Land sinkt die Zahl der jungen Erwachsenen überall – nicht aber in großen Städten wie Berlin, Leipzig, Erfurt und Magdeburg. Und die Entwicklung hat deutliche Konturen: Im Westen gibt es zwar auch Kreise, in denen es weniger Junge gibt, aber der Rückgang ist bei Weitem nicht so flächendeckend oder so drastisch wie innerhalb der ehemaligen DDR-Grenzen.

Weniger junge Erwachsene, das bedeutet: Hier gibt es weniger Bildungsmöglichkeiten und weniger Jobs. Wer eine Karriere oder eine Familie plant, sieht die eigene Zukunft eher anderswo. Es bedeutet außerdem: Hier sind weniger Menschen, die wichtige Rollen in der Gesellschaft übernehmen, weniger Nachwuchs für Vereine und Organisationen, weniger Steuerzahlende und weniger Menschen, die Kinder bekommen. Ein Teufelskreis.

Abwanderung der Jungen nicht unbedingt ein Stadt-Land-Problem

Im Westen der Republik gibt es dagegen selbst auf dem Land Wachstumsregionen. Im Landkreis Oldenburg zum Beispiel ist die Zahl der jungen Erwachsenen zwischen 2011 und 2022 von 26.000 auf mehr als 29.000 gewachsen. Einer davon ist Miguel Bebensee – 27 Jahre alt. Er ist im Landkreis Oldenburg aufgewachsen, hat dort studiert und lebt immer noch hier. “Der Landkreis ist gut gelegen, man kommt schnell nach Oldenburg, nach Bremen, und es gibt auch wirklich viel Natur”, sagt er. 2019 hat er ein IT-Unternehmen gegründet. Von anderen Unternehmern in der Region habe er in dieser Zeit viel lernen können. In seiner Branche könne er jetzt eigentlich von überall arbeiten, “mit dem Laptop vom Strand oder so”. Aber er will bleiben: “Ich habe mir hier viele gute Kontakte aufgebaut, und die werde ich auch weiterhin nutzen”.

Der Unterschied zwischen den beiden Landkreisen ist groß: 25 Prozent der Menschen im Kreis Mecklenburgische Seenplatte sind über 66 Jahre alt und nur 18 Prozent gehören zu den jungen Erwachsenen. Im Landkreis Oldenburg ist das Verhältnis nahezu umgekehrt: 23 Prozent sind junge Erwachsene und etwa 20 Prozent sind im Rentenalter. Und während Jahr für Jahr Menschen in den Landkreis Oldenburg ziehen, ziehen sie aus der Mecklenburgischen Seenplatte eher weg.

Junge ziehen wegen Karriere und Lebensqualität um

Junge Erwachsene sind oft mobiler als andere Bevölkerungsgruppen, sie haben noch keine oder junge Familien, suchen Ausbildungsstätten oder wechseln für den Karriereeinstieg den Wohnort. Dabei spielen vor allem die Jobaussichten eine wichtige Rolle, sagt der Arbeitsmarktforscher Cornelius Peters. Es gebe aber auch noch sogenannte weiche Faktoren, die Orte attraktiv machen: “Nach der Ausbildung oder dem Studium ziehen viele zunächst insbesondere in Großstädte, die ein großes kulturelles Angebot haben, touristisch attraktiv sind und über eine gute Infrastruktur verfügen”, so Peters.

Ihre Wanderungsbewegungen sind deshalb ein wirtschaftlicher Indikator, der viele Aspekte eines Ortes in sich vereint: Wo bekommt man eine gute Ausbildung? Wo sind die Jobchancen gut? Wo sind Lebenshaltungskosten niedrig? Wo gibt es attraktive Freizeitangebote? Wo will man seine Kinder großziehen? Dort wo viele junge Erwachsene hinziehen, gibt es meist eine attraktive Kombination vieler dieser Faktoren.

Ostdeutschland: Rasanter Geburtenknick nach der Wende

Wenn man die Bevölkerungsentwicklung auf dem Land in Mecklenburg-Vorpommern betrachtet, scheint der Schluss nahezuliegen, dass es diese Faktoren hier nicht in ausreichendem Maße gibt. Das trifft in Teilen sicher zu. Allerdings: Wie sich die Bevölkerungsstruktur an einem Ort verändert, hängt auch mit den Geburtenraten zusammen - nicht nur mit den aktuellen, sondern auch damit, wieviele Kinder die Menschen vor vielen Jahren bekommen haben. So fiel nach der Wende 1990 die Geburtenrate in den östlichen Bundesländern steil ab. In der Folge sank die Zahl der Kinder und Jugendlichen zwischen 1990 und 2011, als der letzte Zensus erhoben wurde, auf etwa die Hälfte. 2011 waren die meisten jungen Erwachsenen noch vor dem Mauerfall geboren, als die Geburtenrate in der DDR höher war als in der Bundesrepublik. Inzwischen sind die besonders geburtenschwachen Jahrgänge aus den Anfängen der 90er Jahre in diesem Alter. Dass es jetzt weniger junge Erwachsene im Osten gibt, hängt also neben der Abwanderung auch daran, dass Menschen vor 30 Jahren weniger Kinder bekamen.

Trend-Umkehr im Osten in Sicht

In den kommenden Jahrzehnten könnte sich das zum Teil wieder umkehren: Im Osten werden nämlich seit einiger Zeit wieder mehr Kinder geboren. Die Geburtenraten in Ost und West haben sich im vergangenen Jahrzehnt angeglichen, die Zahl der Kinder in Ostdeutschland ist zwischen 2011 und 2022 gestiegen. Und es ziehen auch wieder mehr Menschen aufs ostdeutsche Land, so dass sich das Verhältnis umgekehrt hat: Es kommen mehr als gehen.

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