Marode Wasserstraßen: Wird die Binnenschifffahrt kaputtgespart?

Stand: 15.04.2025 18:26 Uhr

Seit Jahren gelobt die Politik, mehr Güter umweltschonend auf Binnenschiffen über Deutschlands Flüsse und Kanäle zu transportieren. Aber die Branche krankt an maroder Infrastruktur.

von Jan Körner und Lennart Richter

Mit zehn Kilometern pro Stunde schippert die MS "Lilly" über die Hunte bei Oldenburg. Vom Ufer aus schauen ihr Schafe dabei zu, wie sie 1.300 Tonnen Stahl transportiert. An Deck steht Sebastiaan van Vliet von der Reederei B. Dettmer. Als Niederlassungsleiter kümmert er sich normalerweise um organisatorische Aufgaben - für uns ist er heute mit an Bord. Ziel ist Belgien, aber die MS "Lilly" muss auf ihrem Weg dahin einige Hürden nehmen.

Baufällige Schleusen

Sebastiaan van Vliet © Screenshot
Sebastiaan van Vliet auf der Brücke der "Lilly".

So wartet kurz hinter Oldenburg eine Schleuse, Jahrgang 1928. Van Vliet hofft, dass das Schiff ohne Komplikationen durchkommen wird: "Dieses Bauwerk pfeift eigentlich fast aus seinem letzten Loch. Wie man auch unschwer erkennen kann, sind Schäden im oberen Bauwerk erkennbar, und diese Schleuse muss dringend erneuert werden." Das hat auch der Bund erkannt. Bis 2030 soll eine neue Schleuse gebaut werden. Doch ein Baubeginn steht noch nicht fest.

Bundesverkehrsministerium: Nur neun von 50 Schleusen fertiggestellt

Dabei will sich die Politik seit Jahren um die Binnenschifffahrt kümmern. Tatsächlich aber gehen die Transportmengen jedes Jahr zurück. Das liegt zum einen daran, dass weniger Kohle verschifft wird, zum anderen an fehlenden Mitarbeitern, aber eben auch an einer maroden Infrastruktur: an unzureichend ausgebauten Brücken, veralteten Wehranlagen, defekten oder fehlenden Schleusen.

Fast die Hälfte der Schleusen ist über 80 Jahre alt, manche stammen sogar noch aus der Kaiserzeit. Bis 2025 wollte der Bund 50 dieser Schleusen neu bauen oder grundlegend instandsetzen. Doch auf NDR Anfrage antwortet das Bundesverkehrsministerium, es seien nur neun Schleusen fertiggestellt worden.

Von der Hunte in den Küstenkanal

Die MS "Lilly" erreicht die Schleuse kurz hinter Oldenburg. Sie verbindet die Hunte mit dem Küstenkanal. Heute hat van Vliet Glück: Sein Schiff kann in die Schleusenkammer fahren - wären die Wasserstände vor und hinter der Schleuse gezeitenbedingt zu unterschiedlich, ginge das nicht.

Dann müsse die Schleuse ihren Betrieb einstellen, weil das fast 100 Jahre alte Mauerwerk dem großen Druck sonst womöglich nicht mehr standhalten könnte, erzählt van Vliet: "Wenn diese Schleuse außer Betrieb genommen wird, ist Bremen nur noch über die Mittelweser erreichbar. Wenn da mal was schiefgeht, ist komplett Bremen von der Außenwelt abgeschnitten und mit Binnenschiffen nicht mehr erreichbar."

Anschluss ans westdeutsche Kanalnetz und Rotterdam

Zwar gilt der Rhein als bedeutendste Wasserstraße Deutschlands, aber auch in Norddeutschland sind die Binnenschiffer auf eine funktionierende Infrastruktur angewiesen. 2023 wurden hier 37 Millionen Tonnen Güter umgeschlagen. Thomas Puls vom privaten Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln (IW) forscht seit mehr als 20 Jahren zu Verkehr und Infrastruktur. Die norddeutschen Wasserstraßen stellten über das westdeutsche Kanalnetz einen Anschluss an Rotterdam dar - "und damit an den wichtigsten Exporthafen", sagt Puls.

Wasserstraßen - einzige Transportwege mit Kapazitäten

Besonders für den Transport von großen Mengen seien Binnenschiffe ein bedeutender Verkehrsträger, sagt Puls. Wasserstraßen seien zudem die einzigen Verkehrswege, deren Kapazitäten noch nicht ausgeschöpft sind: "Das Binnenschiff ist eine der wenigen Alternativen, die wir noch haben. Wenn wir zum Beispiel über den Import von energieintensiven Chemievorprodukten reden, dann reden wir von Volumen, die könnten nur über Pipeline oder über Binnenschiff laufen." Deshalb müsste ein Großteil der überholten Infrastruktur dringend ersetzt werden.

Ein Binnenschiff könnte 150 Lkw ersetzen

Binnenschiff "Lilly" © Screenshot
Binnenschiffe wie die MS "Lilly" sollen Güter effizient und klimaschonend transportieren.

Die Binnenschifffahrt gilt als effizient und klimaschonend. Je nach Tragfähigkeit könnte ein Binnenschiff bis zu 150 Lastwagen ersetzen - und dabei nur einen Bruchteil der Emissionen verursachen. Auch deshalb betont die EU die Notwendigkeit, mehr Güter von der Straße aufs Wasser zu verlagern. In ihrer Mobilitätsstrategie hat sie das Ziel formuliert, den Güterverkehr auf Binnenwasserstraßen bis 2030 um 25 Prozent zu steigern.

Bis vier Milliarden Euro Investitionsstau bei Bundeswasserstraßen

Auf Nachfrage erklärt das Bundesverkehrsministerium, dass der Haushaltsausschuss des Bundestages schon 2023 festgestellt habe, dass in den letzten Jahren zu wenig Geld für die Bundeswasserstraßen ausgegeben wurde. Das Ministerium schätzt, dass sich der Investitionsstau auf etwa drei bis vier Milliarden Euro beläuft. Jetzt soll das geplante Sondervermögen dafür sorgen, dass dieser Rückstand nach und nach aufgeholt werden kann.

Sondervermögen soll Abhilfe schaffen

Thomas Puls vom IW glaubt, das kürzlich von der Bundesregierung beschlossene Sondervermögen in Höhe von 500 Milliarden Euro könnte Abhilfe schaffen. Eine klare Antwort darauf, wie viel davon in die Infrastruktur der Wasserstraßen fließen könnte, gibt das Verkehrsministerium nicht. Auf Nachfrage teilt das Ministerium mit, die Verteilung der Mittel sei Gegenstand laufender Verhandlungen. Für eine Verbesserung der Infrastruktur auf dem Wasser braucht es Puls zufolge aber nicht nur mehr Geld, sondern auch vereinfachte Planungs- und Genehmigungsverfahren und mehr Fachkräfte.  

Auch Sebastiaan van Vliet ist skeptisch, ob sich die Situation der Binnenschifffahrt zukünftig wirklich verbessern wird. Und so wird die MS "Lilly" wohl auch weiterhin auf maroden Wasserstraßen unterwegs sein.

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Dieses Thema im Programm:

Panorama 3 | 15.04.2025 | 21:15 Uhr

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