So versank die "Georg Büchner": Bilder des Untergangs
Vor fast zehn Jahren ging das Fracht- und Ausbildungsschiff des VEB Deutsche Seereederei vor der polnischen Ostseeküste unter. Über die Gründe wird bis heute spekuliert, die Schuldfrage ist ungeklärt. Bislang unbekannte Unterlagen und Fotos polnischer Gerichte, die dem NDR exklusiv vorliegen, geben Auskunft über die letzten Stunden der "Georg Büchner" auf See.
Das offizielle Urteil und die anonymisierte Urteilsbegründung der Seekammer am Bezirksgericht Danzig sind in nüchternem Ton verfasst. Auf gut 40 Seiten beschreiben die Behörden das Ende der "Georg Büchner"- von einer ersten Inspektion im Dezember 2012 bis zum Untergang am Abend des 30. Mai 2013. Kurz nach 20 Uhr verschwand die "Büchner" schließlich mit lautem Zischen von der Wasseroberfläche. Sie liegt in etwa 37 Metern Tiefe. Im Urteil werden Prüfberichte genannt, Zeugen und technische Gutachten zitiert, Fotos sind ebenfalls beigefügt. Die einzigen Zeugen des Untergangs waren die Mitglieder der siebenköpfigen Besatzung des Schleppers "Ajaks".
Schlepper zieht kenterndes Schiff weiter hinaus auf Ostsee
Sie sollten das "tote Schiff" im Auftrag der Cuxhavener Schleppreederei Otto Wulf nach Klaipėda zum Verschrotter bringen. Am dritten Tag auf See mussten sie hilflos zusehen, wie das Schiff erst Schlagseite bekam und Stunden später kenterte. Seemännische Praxis ist es eigentlich, sinkende Schiffe so nah wie möglich an Land zu manövrieren. Laut Gericht fuhr die Crew der "Ajaks" stattdessen hinaus ins tiefe Wasser. Warum, ist ungeklärt. Bis heute haben die Besatzung und die Behörden an Land "dicht gehalten" - keine Interviews, keine Veröffentlichungen.
Vier Fotos vom Untergang
Es sind die anschaulichsten Zeugnisse des dramatischen Geschehens: vier Fotos, datiert vom 30. Mai 2013. Sie liegen den Akten bei. Das erste zeigt die "Büchner" so, wie sie tausende Schaulustige bei ihrer letzten Ausfahrt aus dem Rostocker Stadthafen und auf der Warnemünder Mole sahen: ein in die Jahre gekommener "Dampfer" - mit ganz leichter Schlagseite. Auf dem nächsten Bild neigt sich der 153-Meter-Frachter deutlich stärker auf die Steuerbordseite. Das dritte Foto zeigt ihn schon unrettbar mit etwa 45 Grad Krängung. Auf dem letzten Bild ist die "Georg Büchner" bereits gekentert und liegt flach auf der See. Das alles passierte etwa neun Seemeilen nordöstlich vom Kap Rozewie, dem nördlichsten Punkt Hinterpommerns. Wie genau die "Georg Büchner" versank, ist nicht dokumentiert. Zeugenaussagen dazu fehlen in den vorliegenden Gerichtsunterlagen. Dass weitere Bilder und entsprechende Aussagen existieren und im Prozess eine Rolle spielten, lassen allerdings mehrere Querverweise vermuten.
Hinweise auf Mängel
Bereits die ersten Tauchgänge zur Untersuchung der Ursachen des Untergangs Anfang April 2014 lieferten laut Gericht Hinweise auf mögliche Versäumnisse vor dem Ablegen in Rostock. So heißt es in der Urteilsbegründung, "dass zwei Ventile auf der Backbordseite nicht geschlossen waren, eines der Bullaugen auf der Backbordseite unterhalb der Wasserlinie kein Glas oder keine Schutzplatte hatte." Das Papier listet zahlreiche weitere Schäden an anderen Bullaugen auf: Mal ist das Glas zerborsten, mal fehlen die Schutzplatten. Zudem wird vermerkt: "dass die an den Bullaugen angebrachten Schutzplatten nicht wasserdicht waren. Sie waren nur an wenigen Stellen verschweißt und der Spalt zwischen Platte und Bullauge betrug 3-4 mm." Aussagen über den technischen Zustand auf der Steuerbordseite fehlen, da das Wrack auf dieser Seite am Meersboden liegt. Offen bleibt also auch, ob es dort vergleichbare Schäden gibt.
Versäumnisse beim Erteilen der Schlepperlaubnis der "Büchner" sieht die Seekammer dennoch nicht und begründet das ausführlich: "Die Beobachtungen können nicht als gleichbedeutend mit der kategorischen Angabe der Gründe für den Untergang des Schiffes G.B. angesehen werden", heißt es dazu in der Übersetzung der Urteilsbegründung.
Deutschland hält sich raus
Auch die deutschen Behörden können nichts zur abschließenden Klärung der Ursachen des Untergangs beitragen. Ulf Kaspera, Direktor der Bundesstelle für Seeuntersuchungen, teilt dem NDR schriftlich mit: "Die 'Georg Büchner' war seit 1998 aus dem Schiffsregister gelöscht und hatte daher weder die Berechtigung, überhaupt in Fahrt zu gehen, geschweige denn die deutsche Flagge zu führen." Als sie 2013 nach Polen geschleppt werden sollte, sei sie deshalb rechtlich gesehen als Ladung zu behandeln gewesen. "Es ist auch kein Amtshilfeersuche an die Bundesstelle für Seeuntersuchungen herangetragen worden", so Kaspera weiter.
Ex-Hafenkapitän hängt der "Büchner" noch immer nach
In Rostock gibt es vor allem Bedauern. Der ehemalige Hafenkapitän Gisbert Ruhnke hängt auch heute noch an der "Büchner", auf der er selbst gefahren ist und später Matrosen ausbildete. Er war einer von wenigen deutschen Zeugen, die vor der polnischen Seekammer aussagen mussten. Ein schlechtes Gewissen habe er nicht, sagt er. Es sei alles korrekt abgelaufen. Ob er ein Schiff in diesem Zustand heute wieder in See schicken würde, diese Frage lässt er offen. "Das Schiff ist untersucht worden im Hafen", erklärt Ruhnke. "Da war alles in Ordnung. Trotz der 30 Jahre, die es da gelegen hat." Ruhnke hält es für möglich, dass sich durch die Bewegung des Schiffes auf See an der Steuerbordseite, über die es auch gesunken ist, verrostete Nieten gelöst haben könnten. "Und dadurch ist nach und nach Wasser eingedrungen."
"Und irgendwann kentert er durch und legt sich schlafen"
Der Gutachter und Taucher Eyk-Uwe Pap, dessen Firma Baltic Taucher den Rumpf untersucht und das Schiff seeklar gemacht hatte, bestätigt diese Theorie. Zumal während der Überführung zeitweise Windstärke 4 bis 5 herrschte. "Sobald der Rumpf arbeitet - und das Schiff hatte sich totgelegen - entstehen Öffnungen, Risse", erklärt Pap. "Dann geht es Schluck für Schluck. Wenn so ein Dampfer Wasser zieht, dann geht er in Lage. Das Schiff hat ja schon mit einer gewissen Krängung den Hafen verlassen. Und irgendwann kentert er durch und legt sich schlafen."
Schuldfrage offen
Die Schuldfrage kann auch die polnische Seekammer nicht klären. In der Entscheidung heißt es: "Die Ursache des Untergangs war der Verlust des Auftriebs durch Wassereinbruch in den Rumpf des geschleppten Schiffes; die wahrscheinliche Ursache war ein Leck im Rumpf und/oder ein unzureichender Schutz der Bullaugen und Seitenventile." Auch die Besatzung des polnischen Schleppers "Ajaks" hat laut Gericht nicht zum Untergang beigetragen. Eine individuelle Schuldzuweisung sei demnach nicht möglich. Das entlastet auch die deutschen Behörden - besonders aber die Hafenverwaltung in Rostock. Denen war immerhin von Prozessbeteiligten vorgeworfen worden, die "Büchner" nicht ordnungsgemäß für die Seereise vorbereitet zu haben - bis hin zum Vorwurf, dass sie in ihrem Zustand niemals den Hafen hätte verlassen dürfen. Doch dazu mag sich das Gericht nicht durchringen, obwohl es in der Urteilsbegründung "Ungereimtheiten" einräumt.
Für immer auf Grund
Die Prozessakten sind nun geschlossen. Die "Georg Büchner" wird wohl dort bleiben, wo sie ist. Für Eyk-Uwe Pap, den Spezialisten für Bergungen, ist es eine Frage des Geldes. Natürlich könne man die "Büchner" heben, aber das sei ein
"riesengroßer Aufwand", der "viele Millionen" koste: "Ich bin im vergangenen Jahr angesprochen worden, was es kostet, allein die Maschine aus dem Schiff zu holen. Da waren wir schon bei mehr als drei Millionen Euro. Ich glaube nicht, dass in diesem Leben dieses Schiff je gehoben wird", so Pap.
"Und damit sollte man es belassen"
Viele Fragen müssen unbeantwortet bleiben. So sei bis heute immer noch unbekannt, wem das Schiff am Tage des Untergangs überhaupt gehörte, meint schulterzuckend Kapitän Ruhnke. Spekulationen über einen möglichen Versicherungsbetrug oder andere kriminelle Szenarien können so nicht mit letzter Sicherheit ausgeschlossen werden. Der Schlepperkapitän Siegfried Kempe hat in den 1970er-Jahren seine Ausbildung zum Seemann auf der "Büchner" gemacht. Er war als diensthabender Lotse der letzte deutsche Seemann an Bord der "Schorsch" und sagt heute: "Die 'Georg Büchner' hat ihre letzte Ruhestätte gefunden. Und damit sollte man es belassen." Mehr mag er zum Thema nicht sagen.