Rostock: Sozialsenator Bockhahn tritt aus der Partei Die Linke aus
Rostocks Sozialsenator Steffen Bockhahn ist nach über 27 Jahren aus der Partei Die Linke ausgetreten. Der 44-Jährige nannte den Russland-Kurs seiner Partei als Grund. Führende Linkenpolitiker reagierten mit Bedauern - und Verständnis. Politische Beobachter sehen einen schwelenden Flügelkampf in der Partei.
Die Linke schaffe es nicht, so Bockhahn wörtlich, den "faschistischen Diktator Putin als solchen zu benennen und zu ächten", heißt es in seiner Austrittserklärung, die dem NDR vorliegt. Es gelinge ihr nicht, Putin klar zum Täter zu erklären und seine Kriegsverbrechen in der Ukraine anzuprangern, so Bockhahn weiter.
Die Linke mache sich zunehmend unglaubwürdig
Putin, so Bockhahn, sei ein Massenmörder, nicht nur an anderen Völkern, sondern auch an seinem eigenen. Statt Putin zu ächten, würden aber Scheindebatten über die NATO und die USA geführt. Im Parteivorstand sei man zudem auch bereit, mit Rechtsradikalen für den Frieden zu kämpfen - eine Anspielung auf das sogenannte "Manifest für den Frieden", das die ehemalige Fraktionschefin Sahra Wagenknecht initiiert hat.
Bockhahn: Zustand bedauernswert
Der Rostocker Sozialsenator und frühere Bundestagsabgeordnete erklärt, der Zustand der Linken sei bedauernswert. Dabei sei eine linke Partei angesichts der Gegensätze zwischen arm und reich dringend nötig. "Da braucht es eine Partei, die mit modernen linken Konzepten und konkreten Ideen Angebote macht, statt Zeigefinger zu heben und auf moralischer Überlegenheit zu bestehen", so Bockhahn.
Bedauern beim Fraktionsvorsitzenden der Linken im Bundestag
Dietmar Bartsch, einer von zwei Vorsitzenden der Bundestagsfraktion der Linkspartei, bedauert den Austritt Bockhahns. Gegenüber NDR 1 Radio MV lobte er die gemeinsame politische Arbeit. Er gehe davon aus, dass Bockhahn auch weiterhin ein "guter linker" Senator für die Hansestadt sein werde. Über die Gründe für den Austritt wolle sich Bartsch persönlich mit Bockhahn unterhalten.
Rostocks OB Kröger: "Kann ihn ein Stück weit verstehen"
"Er hat einen großen Beitrag geleistet, dass ich selbst bei den Linken eingetreten bin", sagte Rostocks Oberbürgermeisterin Eva-Maria Kröger NDR 1 Radio MV. Sie habe die Zerwürfnisse und Missstände innerhalb der Partei ebenso wie Bockhahn miterlebt: "Ich kann ihn also schon ein Stück weit auch verstehen - erst recht mit Blick auf die aktuelle Krise." Kröger sagte weiter, es gebe viele bei den Linken sehr kritische Positionen gegenüber dem russischen Angriffskrieg sowie dem russischen Machthaber Wladimir Putin. "Es zu verallgemeinern, dass die Linke da generell zu unkritisch ist, kann ich jetzt persönlich nicht unterschreiben - zumal ich selbst natürlich auch eine sehr klare Haltung in dieser Beziehung habe."
Keine "klare friedenspolitische Haltung" bei den Linken
Auch sie wünsche sich, dass alle in ihrer Partei eine klare friedenspolitische Haltung hätten. "Das ist nicht der Fall. Deshalb kann ich nachvollziehen, dass er da auch unzufrieden ist." Kröger sagte, sie bedaure seinen Parteiaustritt. "Er war immer ein leidenschaftlicher und sehr kluger Mitstreiter." Der Landesvorsitzende der Linken, Peter Ritter, wollte den Austritt vorerst nicht kommentieren. Auch Bockhahn selbst steht auf Anfrage des NDR nicht für ein Interview zur Verfügung.
Publizist von Lucke: Es geht gegen den Kurs von Wagenknecht
Von einem "längst überfälligen Schritt" sprach der Publizist Albrecht von Lucke bei NDR MV Live. Bockhahn benenne zwar nicht eindeutig Ross und Reiter, um wen oder gegen wen es geht, aber es sei ganz eindeutig, dass dies der Kurs von Sahra Wagenknecht und anderen sei. "Im Kern haben wir es mit einer Partei zu tun, die völlig disparate Strömungen kennt", so von Lucke. Der Strömung um Wagenknecht gehe es in völliger Verklärung der Tatsachen darum, "den eigentlich für sie Verantwortlichen für die Kriegssituation kenntlich zu machen - und das ist die NATO. Ein russischer Angriffskrieg wird gewissermaßen zu einem präventiven Verteidigungskrieg gegen die NATO umgedichtet", so der Chefredakteur der "Blätter für deutsche und internationale Politik".
Kein Dank an seinen Förderer Bartsch
Stattdessen stehe Bockhahn auf der Seite der Parteireformer um den Berliner Senator Klaus Lederer, die ihren Kurs aber nicht offensiv genug vertreten würden. Laut von Lucke sei auffällig, dass Bockhahn seinem langjährigen Förderer Dietmar Bartsch in seinem Rücktrittsschreiben nicht gedankt habe. "Aber Bartsch - und das ist sicherlich der Kernvorwurf gewesen - ist immer der gewesen, der parteitaktisch den Kompromiss mit Wagenknecht gesucht hat. Der sich nie distanziert hat und nur eines im Schilde führte: mit Wagenknecht gemeinsam das Überleben der Partei zu sichern."
"Die Linke hat ihren Kern verloren"
Doch warum fällt es der Linken so schwer, Putin zu verurteilen? Für von Lucke ist klar: "Weil die Linke ihren Kern verloren hatte. Das, was eigentlich eine freiheitliche Linke ausmachen müsste: Auf dem Boden des Völkerrechts klar zu sagen, dass ein derartiger Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine nichts mit der Idee internationaler Solidarität zu tun hat." Dies verlange zunächst, den Aggressor klar zu benennen. Doch das traue sich die Linke nicht, weil sie einen Teil ihrer Wählerschaft verprellen würde. Zudem wüssten Teile der Linken, dass sie mit der "Angstmache gegen die NATO" sehr viele Menschen im Land erreiche - auf der rechten wie auf der linken Seite. "Das ist die Strategie von Sahra Wagenknecht, die letztlich versucht, (…) die Populisten aller Parteien nationalistisch grundiert zu sammeln - rechte wie linke", so von Lucke.
Mehrere Jahre im Bundestag
Der 44-jährige gebürtige Rostocker Bockhahn saß von 2009 bis 2013 als direkt gewählter Abgeordneter im Bundestag. Er war zudem von 2009 bis 2012 Landesvorsitzender der Linken in Mecklenburg-Vorpommern und von 2004 bis 2014 Mitglied der Linken-Fraktion in der Rostocker Bürgerschaft, wo er auch das Amt des Fraktionsvorsitzenden inne hatte.