Offene Fragen zehn Jahre nach Untergang der "Georg Büchner"
Am 30. Mai 2013 ist das Fracht- und Ausbildungsschiff der DDR vor der Küste Hinterpommerns gesunken. Unterlagen polnischer Gerichte, die dem NDR vorliegen, geben Auskunft über die letzten Stunden der "Georg Büchner" auf See. Knapp zehn Jahre später hat ein Rechercheteam weitere Dokumente des Schiffsunfalls einsehen können - inklusive zuvor nicht veröffentlichter Fotos.
In den letzten Strahlen der tiefstehenden Sonne neigt sich der 153 Meter lange Frachter am 30. Mai einige Meilen vor der Halbinsel Hela bedenklich auf die rechte Schiffseite, kippt stetig weiter, bis die Wellen ungebremst über die Bordwand brechen. Wenig später liegt der Kiel im Abendlicht - flach auf der bewegten See. Diese Fotos der letzten Stunden der "Georg Büchner" sind in den Gerichtsakten der Seekammer beim Bezirksgericht von Danzig zu finden - nicht aber der tatsächliche Schiffsuntergang. Die allerletzten Minuten im Schiffsleben der "Georg Büchner" dokumentieren Fotos, die ein polnisches Team im Auftrag des NDR im Archiv der Seekammer in Gdynia gefunden hat.
Das "Büchner"-Wrack soll nicht gehoben werden
Das Wrack der "Georg Büchner" liegt etwa acht Seemeilen nördlich von Kap Rozewie. Es liegt auf der rechten Seite. Auf dem Sonarbild sei gut zu erkennen, wie der Schiffskörper in den vergangenen zehn Jahren mehr als sechs Meter tief in den Meeresboden gesunken ist, beschreibt der stellvertretende Direktor des Meeresamtes Gdynia, Jan Młotkowski, die Szenerie. Seine Behörde plane nicht, die "Büchner" zu heben.
Tausende Taucher besichtigen das Wrack
Das wäre ein teures Unterfangen und das Wrack selbst stelle weder eine Gefahr für die Umwelt noch die Schifffahrt dar. Seit 2018 bereits könne dort ohne Sondergenehmigung getaucht werden. Und seitdem würden bis zu 2.000 Taucher pro Jahr diese Chance nutzen, schätzt Młotkowski. Eines der Wahrzeichen des maritimen Erbes in Rostock ist so doch noch zu einer Touristenattraktion geworden - wenn auch anders, als es sich viele Seemänner, die auf ihren Decks das Rüstzeug für die große Fahrt erhalten haben, gewünscht hätten.
Der perfekte Ort zum Tauchen
Seit 2018 war Tomasz Stachura mit den Tauchern der Baltictech-Gruppe schon mehrmals an der "Büchner". Ein malerischer Ort, schwärmt er und an sonnigen Tagen sei die Ostsee dort lichtdurchflutet fast bis zum Grund - ein idealer Spot, um mit dem Wracktauchen zu beginnen, wirbt er. Aber Stachura macht sich trotzdem so seine Gedanken. Bereits bei den ersten Tauchgängen sei ihm aufgefallen, dass die Bullaugen auf der Backbordseite größtenteils offen waren. Es sei eine große Überraschung gewesen, schildert er, dass ein Schiff bei einer Reise von mehreren Tagen auf See nur ein paar Dutzend Zentimeter über der Wasserlinie "Löcher" gehabt habe. Das mache man nicht, erklärt er kategorisch im Interview. Das schreie ja geradezu nach einer Tragödie. Doch bei der Frage, ob es jemanden gegeben haben könnte, der das Schicksal der "Georg Büchner" absichtsreich besiegeln wollte, mag sich auch Stachura nicht festlegen.
Viele offene Fragen
Heute jährt sich der Untergang der Georg Büchner zum zehnten Mal. Obwohl die Akten zur Untersuchung des Unfalls vor Polens Ostseeküste geschlossen wurden und kaum noch jemand über die Ereignisse von damals sprechen will, bleiben viele Fragen offen. Und vielleicht gibt es ja nach dem letzten Akt des Dramas noch ein Nachspiel?