Das Klingelschild der Stiftung Klima- und Umweltschutz in der Nähe des Schweriner Hauptbahnhofs. © picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild Foto: Frank Pfaff/picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild

Nord Stream 2: War die Klimastiftung MV eine Erfindung der Russen?

Stand: 27.02.2025 08:41 Uhr

Eine Stiftung für Klimaschutz baut eine Gaspipeline zu Ende. Bis heute ist umstritten, wer die Idee dazu hatte. Der Vater der Stiftung sei der ehemalige Energieminister der Landesregierung gewesen, sagte Ministerpräsidentin Manuela Schwesig. Doch der ehemalige Chef von Nord Stream 2 widerspricht ihr und die Opposition im Landtag vermutet: die Idee kam ursprünglich aus Russland.

von Frank Breuner, Redaktion Politik und Recherche

Die Verlegearbeiten für Nord Stream 2 sind fast vollendet - da kommt im August 2020 ein Paukenschlag aus Washington, der das Projekt schlagartig zum Erliegen bringt. US-Senatoren drohen mit "vernichtenden" Sanktionen. Ein entsprechender Brief geht direkt an den Hafen Sassnitz-Mukran, der als Versorgungs-Hafen für den Bau der Pipelines diente. Landesregierung und Nord Stream 2 AG standen unter enormem Druck, sagt Gerhard Bley von Transparency International. "Es drohte der Stillstand des Projekts. So, und das ist natürlich schon eine herausfordernde Situation angesichts der auch großen Summen, um die es da ging. Es war ja schon ganz, ganz viel Geld verbaut."

Zeitenwende MV

Nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine sprach Bundeskanzler Olaf Scholz im Bundestag am 27. Februar 2022 von einer "Zeitenwende". Das galt auch für Mecklenburg-Vorpommern. Die engmaschigen Beziehungen zwischen Landesregierung und russischen Institutionen wurden gekappt, Partnerschaftsvereine stellten ihre Arbeit ein, die "Russlandtage" mit ihren Wirtschaftskontakten fanden nicht mehr statt. Seit Juni 2022 beleuchtet ein Untersuchungsausschuss des Landtags die Umstände der Gründung der Klimastiftung MV, die von der Landesregierung auch gegründet worden war, um den Weiterbau von Nord Stream 2 sicherzustellen. In unserer fünfteiligen Serie ziehen wir eine Zwischenbilanz und lassen Experten und Journalisten zu Wort kommen.

Manuela Schwesig und ihre SPD/CDU-Landesregierung wollen sich auf keinen Fall dem amerikanischen Druck beugen. Bereits Ende April 2020 machte die Regierungschefin angesichts schon bestehender Sanktionen eine Ansage: "Wie Sie wissen steht die Landesregierung hinter dem Projekt Nord Stream 2, Nord Stream 2 muss zu Ende gebaut werden."

Stiftung sollte den Weiterbau von Nord Stream 2 sichern

Fieberhaft wurde hinter den Kulissen nach einem Weg gesucht, um die angedrohten Sanktionen zu umgehen. Diese hätten ausschließlich Privatunternehmen getroffen, nicht aber staatliche Institutionen. Die Lösung: Eine vor Sanktionen geschützte staatliche Stiftung soll das Projekt vollenden. Bereits im Oktober 2020 wird an einer entsprechenden Stiftungssatzung gearbeitet, Ende November macht die Landesregierung das Projekt öffentlich.

Bernd Mosebach, der Leiter des ZDF-Studios Mecklenburg-Vorpommern, erinnert sich an eine Pressekonferenz, "wo wir alle als Journalisten dasaßen, mit großen Augen." Von der versammelten Ministerriege der Landesregierung wurde verkündet, dass eine Stiftung gegründet werden sollte, um Umweltschutz zu fördern und ganz nebenbei sollte diese Stiftung auch ein bisschen dazu beitragen, dass Nord Stream 2 zu Ende gebaut wird. Für Bernd Mosebach klang das nicht gerade logisch: "Ich bin mit den Kollegen rausgegangen und habe zu denen gesagt: die haben uns gerade ein bisschen veräppelt."

Stiftungsgründung musste verschoben werden

Die Zeit drängte, nicht nur Russland wollte die Pipeline so schnell wie möglich fertig bauen. Ursprünglich sollte der Landtag in Schwerin deshalb schon im November 2020 die Gründung der Stiftung beschließen, doch dieser Plan musste in letzter Minute abgeblasen werden. Noch fehlte der Stiftungsidee der Segen der Bundesregierung, deshalb verzögerte sich der Start auf den Januar 2021. Die Nord Stream 2 AG stiftet 20 Millionen für Klima- und Umweltprojekte. Im Landtag gab es keine Gegenstimme, nur die AfD-Fraktion enthielt sich. Vorstandschef der Stiftung wurde Ex-Ministerpräsident Erwin Sellering, weitere Vorstandsmitglieder waren der CDU-Politiker Werner Kuhn und die Unternehmerin Katja Enderlein.

Weitere Informationen
Podcastbild zum Podcast "MV im Fokus" © NDR Foto: [M]
30 Min

Nord Stream 2: Wie groß war Russlands Einfluss in MV?

Schröder, Schwesig, Scholz - sie alle sind 2025 im parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Klimastiftung als Zeugen geladen. 30 Min

Kritiker werfen der Stiftung fehlende Transparenz vor

Der Unternehmensberater Steffen Petersen wurde als Geschäftsführer für den wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb der Stiftung bestellt, auf Vorschlag der Nord Stream 2 AG. Damit war Petersen für den Weiterbau der Pipelines zuständig. Sein Name wurde von der Stiftung lange geheim gehalten. Nicht das Einzige, was der Öffentlichkeit verborgen blieb. Schon im Februar 2021 warf der Bund der Steuerzahler der Klimastiftung MV fehlende Transparenz vor. Für ZDF-Journalist Mosebach durchaus zutreffend. "Zu Details hat ja niemand etwas erfahren. Es gab keine Summen, die genannt wurden. Es wurde nicht gesagt, wie viele Mitarbeiter dieser Geschäftsbetrieb hat, wo die sitzen, welche Räume angemietet werden. Das war also alles "top secret"."

Presse muss Informationen einklagen

Die Büros der Klimastiftung befinden sich heute in einem unscheinbaren Gebäude gegenüber des Schweriner Hauptbahnhofs. Nur ein Klingelschild an der Haustür und ein in ein Fenster geklebter Zettel mit einem Logo verrät, dass sich hier der Sitz einer millionenschweren Stiftung befindet. Nach und nach wird eine Frage in der Öffentlichkeit immer lauter gestellt: Wer war dieser geheimnisvolle Geschäftsführer des wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs, den Stiftungschef Sellering partout nicht herausrücken wollte?

Um das herauszufinden, klagte die Tageszeitung "Welt" vor mehreren Gerichten gegen das Landes-Justizministerium, das als Stiftungsaufsicht eigentlich eine Auskunftspflicht besaß. Die Klagen waren zwar erfolgreich, das Ministerium weigerte sich aber trotzdem, die Information an die Presse herauszugeben. Die "Welt" musste schließlich mit dem Gerichtsvollzieher drohen, erzählt der Journalist Uwe Müller. Erst dann rückte das Justizministerium mit dem Namen Steffen Petersens heraus. Für Müller ein beispielloser Vorgang: "Also, so etwas habe ich in meinem ganzen Berufsleben noch nie erlebt. So was gibt es nur in Mecklenburg-Vorpommern."

Weitere Informationen
Podcast Akte Nord Stream 2 - Eine Pipeline unter Wasser © iStock Foto: golero

Akte Nord Stream 2 - Gas, Geld, Geheimnisse

Wie viel Einfluss übte Russland auf die Landesregierung in Mecklenburg-Vorpommern aus? In diesem Podcast öffnen wir die Akte Nord Stream 2. mehr

"Welt": In der Klimastiftung wurden Aufträge an Verwandte vergeben

Dann tritt der Stiftungsvorsitzende Sellering die Flucht nach vorne an und stellt Petersen im Mai 2022 bei einer Pressekonferenz der breiten Öffentlichkeit vor. Doch Sellering gibt immer nur etwas preis, wenn es gar nicht mehr anders ging, sagen Kritiker. Vieles blieb im Verborgenen, immer wieder mussten Journalisten klagen, um genaue Einzelheiten zu erfahren. Unter anderem auch ein Detail, das Uwe Müller für die "Welt" recherchierte - über den Geschäftsführer und seine Tätigkeit innerhalb der Stiftung: "Er schusterte seiner eigenen Unternehmensberatung einen Auftrag von 1,2 Millionen Euro zu. Und die Firma seines Bruders, die für die Zertifizierung der Nord Stream-Pipelines zuständig war, bekam sogar einen Auftrag in Höhe von 6,2 Millionen Euro. Wir haben das in der "Welt" dann "Geschäft unter Brüdern" genannt."

Streit um die Urheberschaft der Klimastiftung MV geht weiter

Seit fast drei Jahren versucht ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss des Landtags in Schwerin Licht ins Dunkel zu bringen. Für die Regierungsfraktionen überflüssig, die Opposition sieht längst nicht alle Fragen rund um die Klimastiftung MV geklärt. Und eine Frage wird dabei immer wichtiger: wer hatte eigentlich die Idee zur Stiftung? Kam sie letztlich aus Russland - oder doch aus Schwerin? Laut Manuela Schwesig war ihr damaliger Energieminister Christian Pegel der Erfinder der Stiftung. Er habe auch maßgeblich die Satzung der Stiftung geschrieben.

Doch Ende Januar dieses Jahres kam es zu einer faustdicken Überraschung: Im Untersuchungsausschuss des Landtags präsentierte der ehemalige Chef der Nord Stream 2 AG, Matthias Warnig, seine Version der Geschichte. Laut Warnig wurde die Idee zur Stiftung von den Juristen in der Rechtsabteilung der Nord Stream 2 AG entwickelt. Für die Landesregierung eine hochproblematische Aussage, meint Gerhard Bley von "Tansparency International": "Weil natürlich die Landesregierung den Eindruck auf jeden Fall vermeiden wollte, dass sie bei diesem Vorhaben von Nord Stream oder aus Russland dominiert worden ist." Man wolle unbedingt den Eindruck aufrecht erhalten, dass man in seinen Entscheidungen souverän geblieben sei. "Das ist natürlich aus Sicht der Landespolitik wichtig", so Bley.

Klimastiftung MV - eine unendliche Geschichte

In der Ukraine herrscht Krieg, die Pipelines sind durch einen Anschlag zerstört. Erwin Sellering hat sein Engagement für die Stiftung eingestellt. Die aber lebt immer noch, man wird sie nicht los. Unauflösbar sei die Klimastiftung MV, heißt es sogar in juristischen Gutachten. Der neue Vorstandschef, ein erfahrener Insolvenzverwalter, will nur noch in die Zukunft schauen, wie er sagte.

Noch immer wartet der Untersuchungsausschuss des Landtags auf die Unterlagen des wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs der Stiftung, einen Antrag auf zwangsweise Herausgabe der Papiere haben die Oppositionsfraktionen bereits im vergangenen Jahr beim Amtsgericht Schwerin gestellt, eine Entscheidung lässt aber auf sich warten. Eine Stiftung, von einem Bundesland gegründet um Sanktionen zu umgehen und die von der Weltpolitik eingeholt wurde. Für Gerhard Bley war es der Versuch der Landesregierung Mecklenburg-Vorpommerns, eine Nebenaußenpolitik durchzusetzen. "Und wenn man sieht, dass wir hier ein relativ kleines Bundesland sind, dann war diese Idee auch eine Anmaßung."

Zeitenwende MV: Die Analyse weiterlesen

Weitere Informationen
Nicht verbaute Rohre für die Ostsee-Gaspipeline Nord Stream 2 von Russland nach Deutschland liegen auf dem Gelände des Hafens in der Gemeinde Sassnitz. (Themenbild) © picture alliance/dpa Foto: Stefan Sauer/dpa/picture alliance

Kapitel 1 - Nord Stream 2: Mecklenburg-Vorpommern als Vorposten Russlands in der EU

Für Kritiker hatte der Kreml zu viel Einfluss auf Entscheidungen in der Schweriner Staatskanzlei. mehr

Andreas Steininger, geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Ostinstituts Wismar, vor dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Klimastiftung MV. © picture alliance/dpa Foto: Jens Büttner/dpa/picture alliance

Kapitel 2 - Nord Stream 2: Ein Institut unter Lobbyismus-Verdacht

Ein ehemaliger Bundeswirtschaftsminister und ein Wirtschaftsjurist, der lange in Moskau gearbeitet hat, gründen in Wismar ein Institut. Das kümmert sich vor allem um die Wirtschaftsbeziehungen zu Russland. Kritiker werfen dem Ostinstitut Lobbyismus im Sinne Moskaus vor. mehr

Stadtansicht mit Warnow, Warnemünde und Überseehafen. (Themenbild) © picture alliance/Blickwinkel Foto: picture alliance/blickwinkel/Luftbild Bertram

Kapitel 4 - Nord Stream 2: Geheimniskrämerei in Rostocks Hafen

Um eine Pipeline durch die Ostsee zu bauen, brauchte man einen Service-Hafen. Die USA drohten aber mit Sanktionen gegen alle, die sich am Projekt Nord Stream 2 beteiligen. Da pachtet die Firma Rokai eine Kaianlage von der Hansestadt Rostock und machen sie zum Versorgungszentrum für den Pipeline-Bau. Doch nach dem Deal ist von gezieltem Tricksen und Täuschen die Rede. mehr

Das Bergamt Stralsund © picture alliance/dpa | Stefan Sauer

Kapitel 5 - Nord Stream 2: Haben die Kontrolleure beide Augen zugedrückt?

Das Bergamt Stralsund genehmigte die Gas-Pipelines durch die Ostsee - und arbeitete dafür eng mit Nord Stream 2 zusammen. mehr

Weitere Informationen
Steffen Dobbert und Ulrich Thiele zu Gast auf dem Roten Sofa © Screenshot
ARD Mediathek

DAS! mit Steffen Dobbert und Ulrich Thiele, Journalisten

Die Investigativ-Journalisten beschäftigen sich mit der deutsch-russischen Gas-Allianz und den Vorgängen rund um Nord Stream 2. Video

Ein Segelboot auf der Ostsee. © ARD Foto: Studio Fritz Gnad

Tatort Ostsee - Wer sprengte die Nord-Stream-Pipelines?

In diesem Podcast geht es um einen der rätselhaftesten Sabotage-Akte unserer Zeit. mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Radio MV | Nachrichten aus Mecklenburg-Vorpommern | 02.03.2025 | 19:30 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Nordstream 2

Mehr Nachrichten aus Mecklenburg-Vorpommern

Zwei Wegweiser mit den Aufschriften "CDU" und "AfD" und den jeweiligen Partei-Logos stehen übereinander. © ZB (Fotomontage) Foto: Sascha Steinach

AfD im Landtag kopiert Unionsanfrage zu Demokratieförderung

Die Landtags-AfD greift den Vorstoß auf und fragt die Landesregierung nach staatlicher Förderung von Vereinen und Verbänden der Zivilgesellschaft. mehr

Bundestagswahl 2025: Blick von in den Plenarsaal im Bundestag, auf die leeren blauen Stühle für die Abgeordneten. © dpa Bildfunk Foto: Michael Kappeler

Bundestagswahl 2025: Alle Infos für Mecklenburg-Vorpommern

Am 23. Februar wurde gewählt. Hier finden Sie Infos zu Wahlkreisen, Personen und Ergebnissen zur Bundestagswahl in MV. mehr