Nord Stream 2: Mecklenburg-Vorpommern als Vorposten Russlands in der EU
Der russische Präsident will eine neue Pipeline durch die Ostsee und schickt seinen Freund und Gas-Lobbyisten Gerhard Schröder auch nach Mecklenburg-Vorpommern. Der damalige Ministerpräsident Sellering unterstützt und fördert das Projekt nach Kräften, genau wie seine Nachfolgerin Schwesig. Für Kritiker hatte der Kreml zu viel Einfluss auf Entscheidungen in der Schweriner Staatskanzlei.
Zum Russlandtag 2018 kommt auch der russische Vize-Industrieminister Wasilij Osmakow nach Rostock. Ein Satz bleibt von seinem Auftritt beim Wirtschaftsforum an der Ostsee besonders in Erinnerung: Mecklenburg-Vorpommern sei "eine Art Vorposten für uns in Europa". Und Ministerpräsidentin Manuela Schwesig sagt, dass es ein besonderes Verständnis füreinander gebe. Da hat das gute Verhältnis zwischen dem Bundesland und dem Reich Putins bereits eine langjährige Tradition.
Nord Stream 2 war nicht nur ein wirtschaftliches Projekt
Die riesigen russischen Gasfelder sind eine der Machtstützen von Russlands Präsident Putin. Gas ist für ihn nicht nur eine Einnahmequelle, sondern auch ein politisches Druckmittel. 2011 feiert er in Lubmin bei Greifswald mit deutschen Spitzenpolitikern und der Wirtschaft die Inbetriebnahme von Nord Stream 1 - mit dabei sind Angela Merkel, Gerhard Schröder und Mecklenburg-Vorpommerns damaliger Regierungschef Erwin Sellering. Doch Russland plant schon weiter - Nord Stream 2 soll noch mehr günstiges Gas nach Deutschland befördern und in Lubmin anlanden. Vor allem die deutsche Industrie war begeistert, erinnert sich der Rostocker Politikwissenschaftler Wolfgang Muno: "Günstige Ressourcen aus Russland haben unsere Produkte relativ günstig gemacht, mit denen konnte man dann auf dem Weltmarkt reüssieren. Man dachte, das ist eine Win-win-Situation."
Deutsche Politik ignorierte die Warnungen
Die Pläne stoßen vor allem bei Sozialdemokraten wie Manuela Schwesig, Erwin Sellering, Frank-Walter Steinmeier oder Sigmar Gabriel auf offene Ohren. Aber auch viele Christdemokraten finden das Projekt gut. Zumal im Osten gute Russland-Kontakte beim Wahlvolk ankommen. Warnungen aus dem Ausland, vor allem aus der Ukraine, Polen oder dem Baltikum werden ignoriert. Die Politiker waren nur an dem billigen Gas für die deutsche Industrie interessiert, meint Gerhard Bley von Transparency International, dabei ging es hier auch um strategische Fragen. "Was bei uns ganz stark unterbelichtet war, das ist die geopolitische Dimension." Es habe ja schon seit den 90-er-Jahren immer wieder Auseinandersetzungen gegeben zwischen der Ukraine und Russland um den Gastransit und auch um die Kosten und den Verbrauch von Gas in der Ukraine selbst. "Und das war ein ständiger Unruheherd. Und davon wollte sich die russische Führung befreien", so Bley.
Gerhard Schröders Russland-Connection
Die Wunderwaffe Putins und sein Türöffner nicht nur in Schwerin, sondern in vielen Ländern Europas: Altkanzler Gerhard Schröder. Kurz nach seiner Abwahl 2005 wechselt er die Rolle und wird zum Energie-Lobbyisten im Dienste Russlands. Der Rostocker Historiker Stefan Creuzberger beschreibt das so: "Er wird Privatmann und unmittelbar wenige Monate später Aufsichtsratsvorsitzender bei Gazprom." Und setzt sich intensiv für den Bau der ersten Erdgastrasse durch die Ostsee ein, Nord Stream 1. Und später setzte er seine Kontakte dann auch intensiv für das Folgeprojekt ein, so Creuzberger. "Und das ist das, was mitunter auch als sogenannte Russland- oder Moskau- oder Putin-Connection bezeichnet wird."
Experten bezweifelten früh den Sinn von Nord Stream 2
Auch in Mecklenburg-Vorpommern war der Altkanzler ein gern gesehener Gast. Und das, obwohl es auch scharfe Kritik am Projekt Nord Stream 2 gab. Eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung kommt 2018 zu dem Ergebnis: Eine weitere Ostsee-Pipeline ist überflüssig, das Projekt beruhe auf überholten Annahmen. Es gebe nur eine Erklärung, warum sie gebaut werden soll, nämlich dass Russland ein Interesse daran habe, die Transitroute durch die Ukraine zu umgehen. Claudia Kempfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hielt damals auch das Argument von der Versorgungssicherheit der deutschen Industrie für falsch: "Wir kennen auch aus der Vergangenheit immer schon, dass die Prognosen des Erdgasbedarfs tendenziell immer überschätzt werden und nie so hoch eingetreten sind, wie man es angenommen hat."
Deutsch-russisches Netzwerk in Mecklenburg-Vorpommern
Doch Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) und seine Nachfolgerin Manuela Schwesig (SPD) teilen diese Bedenken nicht. Im Gegenteil: In Mecklenburg-Vorpommern ist ein engmaschiges deutsch-russisches Netzwerk entstanden. 2009 wird das Ostinstitut in Wismar gegründet, das sich vor allem für enge Wirtschaftsbeziehungen mit Russland einsetzt. Sellering ist dort zweitweise Vorstandsmitglied. Ab 2014 führt er die Russlandtage ein, die Schwesig fortsetzt. 2016 setzt das Land einen Russlandbeauftragten ein, 2018 gründet Sellering den Verein Deutsch-Russische Partnerschaft, ein Jahr später beschließt das Land einen Partnerschaftsvertrag mit dem Leningrader Gebiet in Russland.
Russland betrieb Sponsoring in Mecklenburg-Vorpommern
Im Gegenzug zeigten sich russische Firmen wie Gazprom oder Nord Stream großzügig, wie Gerhard Bley aufzählt: "Das Geld floss zum Ostinstitut, das Geld floss zu den Russlandtagen, das Geld floss zu Sportvereinen hier in Schwerin. Das Geld floss aber auch in Vorpommern, in Sportvereine, oder Schulen haben Computerausstattung bekommen. Das Geld floss in kulturelle Geschichten." In allen möglichen Bereichen habe es Sponsoring mit mindestens vierstelligen Beträgen gegeben, stellt Bley fest.
Landesregierung errichtet eine Klimastiftung, um Gaspipelines zu bauen
Die Geschichte gipfelt in einer kühnen Idee. Als US-amerikanische Sanktionen das Projekt Nord Stream 2 bedrohen, errichtet das Land eine Stiftung. Offiziell eine Stiftung für Klima- und Umweltschutz, soll sie doch vor allem mit einem eigenen Geschäftsbetrieb mögliche Sanktionen umgehen und den Weiterbau der Pipelines sichern. Am 7. Januar 2021 beschließt der Landtag ohne Gegenstimmen dieses bemerkenswerte Konstrukt, doch es hagelt auch schnell Kritik, etwa von der Umwelt- und Klimaaktivistin Theresia Crone: "Wir denken, dass es definitiv eine Mogelpackung ist. Aus unserer Perspektive könnte man die Stiftung vielleicht eher in Stiftung deutsch-russische Zusammenarbeit umbenennen."
Ein Ende mit Schrecken
Aber solche Kritik bringt die Landesregierung – damals eine Koalition von SPD und CDU – nicht vom Weg ab. Erst Putins Krieg beendet im Februar 2022 die Russland-Politik Schwerins. Ein Fiasko mit Ansage sei das gewesen, meinen Kritiker. Gerhard Bley rät dazu, aus Fehlern zu lernen: "Dass man auch auf seine Nachbarn, zum Beispiel Polen, eigentlich immer, dass man auf die hören muss und das nicht ausblendet und dass wir ja lernen müssen, dass wir für korruptives Vorgehen anfällig sind."
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