Nord Stream 2: Geheimniskrämerei in Rostocks Hafen
Um eine Pipeline durch die Ostsee zu bauen, brauchte man einen Service-Hafen. Die USA drohten aber mit Sanktionen gegen alle, die sich am Projekt Nord Stream 2 beteiligen. Da pachtet die Firma Rokai eine Kaianlage von der Hansestadt Rostock und machen sie zum Versorgungszentrum für den Pipeline-Bau. Doch nach dem Deal ist von gezieltem Tricksen und Täuschen die Rede.
Im Spätsommer 2020 geht beim Weiterbau der Gaspipelines nichts mehr - die bloße Androhung von Sanktionen zweier US-Senatoren zeigen durchschlagende Wirkung. Der Hafen Sassnitz-Mukran will nicht mehr mitmachen bei dem Projekt. Landesregierung und die Nord Stream 2 AG suchen händeringend nach einem Ersatz.
Der NDR-Journalist Martin Möller recherchiert seit vier Jahren zur Firma Rokai - und beschreibt die Rolle der Landesregierung damals so: "Das Energie- und Verkehrsministerium damals war natürlich von vornherein mit eingebunden, weil eigentlich, das wissen wir aus einem Aktenvermerk, hat man sich Mukran als Servicehafen gewünscht." Mukran aber wollte nicht mitspielen, also brauchte man eine Alternative. Da fiel die Wahl dann auf Rostock, fasst Möller zusammen.
Millionendeal für die Hansestadt Rostock
Und wie durch ein Wunder stehen zwei Insider der maritimen Branche schon bereit - die Unternehmer Christian Cammin und Peter Cipra machen der Hansestadt ein Angebot, das die kaum ablehnen kann. Es geht darum, eine Kaianlage, die der Stadt gehört, zu pachten, Bezeichnung: MAGEB-Süd. Dafür werden sie eigens eine Firma namens Rokai gründen. Der Journalist Uwe Müller hat für die Tageszeitung "Welt" herausgefunden, dass Cipra und Cammin die Pacht bei der Stadt bezahlen wollten, noch bevor Rokai offiziell existierte. "Das ist nicht gerade das normale Geschäftsgebaren konservativer Mittelständler. Die Firma ist noch nicht einmal gegründet, aber die beiden wollen 1,7 Millionen vorab bezahlen, mit Umsatzsteuer sogar über zwei Millionen."
Kritiker: Chefs von Rokai erhielten Auftrag von Nord Stream 2 AG
Cipra und Cammin erhalten einige Monate später den größten Auftrag der Klimastiftung MV, die seit Januar 2021 den Weiterbau von Nord Stream 2 organisiert. Auftragswert für Rokai: 36 Millionen Euro. Am MAGEB-Kai werden Materialien gelagert und die Schiffe für die Nord Stream-Baustelle versorgt. Aber woher wussten die beiden Unternehmer Cipra und Cammin von dem lukrativen Geschäft? Warum gründeten sie Rokai ausgerechnet zu dieser Zeit? "Das kann man sich natürlich nur so vorstellen, dass die vorab entsprechende Zusagen von Nord Stream 2 bekommen haben", meint der Journalist Uwe Müller.
Rokai-Bosse suchten Unterstützung bei der Politik
Auffällig auch: Cipra und Cammin haben es eilig mit der Anpachtung des Kais. Einige Emails von Dezember 2020, die der "Welt" vorliegen, zeigen: Als die Verhandlungen mit der Stadt stockten, suchten die Rokai-Bosse Unterstützung bei einem CDU-Bundestagsabgeordneten, sagt Uwe Müller. "Er schreibt, dass das Vorhaben auch eine politische Komponente habe und dass die Ministerpräsidentin und der Energieminister zu diesem Projekt stehen und über unser Vorhaben informiert sind." Es kam dann auch schließlich zum Vertragsabschluss.
Transparency International: Hintergrund des Rokai-Deals wurde geheim gehalten
Den Finanzsenator im Rostocker Rathaus musste man nicht überzeugen, der war begeistert von dem Millionen-Deal mit Rokai. Und auch der damalige Oberbürgermeister Claus Ruhe Madsen (parteilos) wusste genau, worum es ging. Bloß an die große Glocke wurde der Deal in der Öffentlichkeit nicht gehängt. Denn beim Thema Nord Stream 2 drohte Widerstand von den Grünen in der Rostocker Bürgerschaft. Deshalb hätten die Stadtoberen wichtige Informationen bewusst zurückgehalten, meint Gerhard Bley von Transparency International. Wissen werde eben nicht mit jedem geteilt. "Das ist ein Baustein aus dem Herrschaftsinstrumenten-Koffer. So. Da wird dann an Vorlagen vielleicht auch mal 'rum gefeilt, damit es einfach läuft nachher in der Beschlussfassung der Gremien."
Rostocks Grüne fühlten sich von Stadtspitze getäuscht
Und es lief ja auch. Als über den Pachtvertrag mit Rokai im Hauptausschuss der Rostocker Bürgerschaft abgestimmt wurde, stand in der Beschlussvorlage kein Wort zu Nord Stream 2, weiß NDR-Journalist Martin Möller: "Da stand drin, dass es um den Umschlag von Offshore-Anlagen geht, das ist natürlich ein weiter Begriff." Die meisten vermuteten wohl, es solle um Windkraft gehen und deshalb stimmten auch die Bürgerschaftsabgeordneten der Grünen zu. "Hätten sie gewusst, dass es um Nord Stream 2 ging, hätten sie ganz sicher dagegen gestimmt", meint Möller. Die Fraktionschefin der Bündnisgrünen fühlte sich dann auch getäuscht, als der NDR im März 2021 aufdeckte, worum es bei dem Pachtvertrag wirklich ging.
Finanzsenator spricht von "Kommunikationsfehlern"
Rostocks Finanzsenator von Wrycz-Rekowski (SPD) räumte im Januar 2025 vor dem Untersuchungsausschuss des Landtags Fehler in der Kommunikation ein. Schon 2021 war das Motto der Stadtverwaltung in Sachen Rokai-Deal: alles halb so wild. Schließlich habe es sich ja nicht um ein anrüchiges Projekt gehandelt, sagte der Pressesprecher der Hansestadt dem NDR. Aber warum dann so viel Geheimniskrämerei rund um Rokai? - und zwar bis heute. Verschiedene Medien, auch der NDR, haben erfolgreich gegen die Stadt Rostock geklagt - doch die rückt wichtige Unterlagen bis heute nicht raus. Martin Möller hält das Handeln der Stadtverwaltung bis heute für mehr als fragwürdig. "Transparenz gehört zur Demokratie. Man kann ja verschiedener Meinung sein, man muss es aber irgendwie auch ausdiskutieren können." Aber im Fall Rokai habe jegliche Transparenz gefehlt. Für den Journalisten Uwe Müller ist der Fall Rokai symptomatisch für den gesamten Nord Stream 2-Komplex: "Hier sieht man genau, mit welchen Methoden vorgegangen wurde."
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