Das Bergamt Stralsund © picture alliance/dpa | Stefan Sauer

Nord Stream 2: Haben die Kontrolleure beide Augen zugedrückt?

Stand: 27.02.2025 13:22 Uhr

Das Bergamt Stralsund genehmigte die Gas-Pipelines durch die Ostsee - und arbeitete dafür eng mit Nord Stream 2 zusammen. Zu eng? Beamte und "Nordstreamler" gingen zusammen essen und segeln - gaben sie im Planungsverfahren sensible Daten der Deutschen Marine an Russland preis?

von Frank Breuner, Redaktion Politik und Recherche

Zehn Milliarden Euro - so viel kostete der Bau von Nord Stream 2. Das Genehmigungsverfahren lag in der Hand einer Behörde mit nicht einmal 20 Mitarbeitern: Das Bergamt in Stralsund war zuständig für das Projekt in deutschen Gewässern und es stand dabei unter Beobachtung von Politik und Wirtschaft. Den Mitarbeitern der Behörde war dabei klar, welchen Stellenwert die Pipelines hatten, meint Gerhard Bley. Bley arbeitet heute bei Transparency International gegen Korruption und für Aufklärung - davor arbeitete er als Abteilungsleiter in verschiedenen Landesministerien. Er kennt den Druck, dem Behörden wie das Bergamt ausgesetzt sind. "Es war ja klar für alle Mitarbeiter klar, dass das Top Priorität hat in der Landespolitik."

Zeitenwende MV

Nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine sprach Bundeskanzler Olaf Scholz im Bundestag am 27. Februar 2022 von einer "Zeitenwende". Das galt auch für Mecklenburg-Vorpommern. Die engmaschigen Beziehungen zwischen Landesregierung und russischen Institutionen wurden gekappt, Partnerschaftsvereine stellten ihre Arbeit ein, die "Russlandtage" mit ihren Wirtschaftskontakten fanden nicht mehr statt. Seit Juni 2022 beleuchtet ein Untersuchungsausschuss des Landtags die Umstände der Gründung der Klimastiftung MV, die von der Landesregierung auch gegründet worden war, um den Weiterbau von Nord Stream 2 sicherzustellen. In unserer fünfteiligen Serie ziehen wir eine Zwischenbilanz und lassen Experten und Journalisten zu Wort kommen.

Bergamt unter Erfolgsdruck

Dass die Landesregierung das Projekt Nord Stream 2 unbedingt wollte, war genauso klar. Haben die Beamten sich davon leiten lassen? Kritiker werfen dem Bergamt vorauseilenden Gehorsam vor. Gerhard Bley hält das für möglich. "Also das ist auch mein eigenes Erleben. Es gibt die Erwartung von Leuten aus der Politik oder Leuten in der Ministerialverwaltung, dass man ihre Vorhaben umsetzt."

Im Juni 2023 sagt Rocco Müller vor dem Untersuchungsausschuss des Landtags zur Klimastiftung MV und zu Nord Stream 2 aus. Müller war der zuständige Sachgebietsleiter für die Pipelines im Bergamt Stralsund. Er sei sich felsenfest sicher, dass bei der Planung von Nord Stream 2 alles nach Recht und Gesetz gelaufen sei, sagte er da. Doch nicht nur die Landtagsopposition hat Zweifel an seiner Version der Geschichte.

Zweifel an professioneller Distanz des Bergamts zu Nord Stream 2-Vertretern

Sind Müller und seine Mitarbeiter allzu unkritisch den Wünschen und Vorgaben der Pipeline-Bauer gefolgt? Zum Beispiel bei der Frage der Zertifizierung, also beim Gutachten zur Sicherheit der Pipeline - Julian Staib von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung hat zu der Freigabe des Gutachtens durch das Bergamt recherchiert. "Gemäß der deutschen Gesetze muss, wenn eine Pipeline fertig ist, geschaut werden, ob sie auch wirklich sicher ist, bevor wirklich Gas durchfließen darf."

Im Nachhinein sei diese Zertifizierung sehr fragwürdig, findet Staib. Denn ein Mitarbeiter der Firma, die sie unabhängig durchführen sollte, hatte zuvor bei Nord Stream gearbeitet. "Sprich: Jene, die die Pipeline für sicher erklärten, hatten davor die Pipeline errichtet.", fasst der FAZ-Journalist das zusammen.

Der Zeitung lägen weitere Dokumente vor, die zeigten, dass sich die Mitarbeiter des Bergamts und die von Nord Stream 2 duzten. "Es war alles zu eng. Und dadurch stellt sich natürlich die Frage, wie unabhängig erfolgte das alles, wie unabhängig war die Aufsicht.", so Staib.

Segeltörn zur Nord Stream - Baustelle

Zuviel Nähe - immer wieder wird dieser Vorwurf von Kritikern erhoben. Es geht da auch um einen gemeinsamen Ausflug mit dem Greifswalder Traditionssegler, der Greif, zu der Nord Stream-Baustelle auf der Ostsee, es geht um gemeinsame Mittagessen mit den "Nordstreamlern". Für Gerhard Bley ist das mit den herrschenden Regeln für Beamte nicht vereinbar.

"Danach ist es so, dass die Grenze dessen, was man annehmen kann, eine Tasse Kaffee ist." So habe er es jedenfalls zu Beginn seines Beamtenlebens gelernt. Und das sei hier deutlich überschritten worden, schätzt Bley ein.

Bergamt veröffentlichte sensible Militärdaten im Internet

Wellen schlägt noch eine andere Episode des Genehmigungsverfahrens: Ende 2023 sagt im Untersuchungsausschuss des Landtags Peter Hensel aus, ein früherer Referatsleiter im Bundesamt für Infrastruktur der Bundeswehr. Laut Hensel hat das Bergamt Stralsund bei der Bundeswehr im Auftrag von Nord Stream 2 nach NATO-Daten zu Marinemunition und Koordinaten von U-Boot-Tauchgebieten in der Ostsee gefragt. Für die Landtagsopposition ein Skandal, denn teilweise wurden diese sensiblen Daten dann auch noch vom Bergamt im Internet veröffentlicht. Auch für Gerhard Bley ein merkwürdiger Vorgang: "Wenn man mal guckt, was da alles an Daten abgefragt worden ist, kann man sich schon fragen: was hatte das eigentlich noch mit der Pipeline zu tun?".

Wollte Russland an NATO-Geheimnisse kommen?

Die Landesregierung konnte zunächst keinen Skandal erkennen, in einer Pressemitteilung des Wirtschaftsministeriums heißt es im Dezember 2023: "Die vereinzelt in der Öffentlichkeit erhobenen Vorwürfe, die Landesregierung sei im Zusammenhang mit dem Genehmigungsverfahren zu Nord Stream 2 leichtfertig mit militärischen Geheimnissen umgegangen, sind haltlos."

Kurze Zeit später muss der ehemalige Energieminister Christian Pegel (SPD) aber dann doch einräumen - es habe sich um ein "Versehen" des Bergamts gehandelt, die Daten wurden im Internet gelöscht. Ein Versehen, oder steckte doch ein militärstrategischer Plan der Nord Stream 2 AG dahinter? Immerhin ist das Unternehmen eine Tochterfirma des russischen Staatskonzerns Gazprom, sagt Gerhard Bley.

"Also wenn man heute sieht, wie Russland agiert und wenn man zurück guckt, seit wann Russland offensichtlich einen strategischen Plan verfolgt, dann würde ich da gar nichts ausschließen." Laut Bley kann man die NATO-Daten noch heute auf einer polnischen Website nachlesen. Das Internet vergisst eben nicht.

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