Wohnungsbau: Wie Bürokratie Genossenschaften ausbremst

Stand: 11.04.2024 16:45 Uhr

Bezahlbarer Wohnraum wird in Deutschland immer mehr zur Mangelware. Damit sich die Lage auf dem Wohnungsmarkt entspannt, bräuchte es hunderttausende neue Wohnungen. Doch eine schnelle Umsetzung von Neubau-Projekten scheitert oftmals an vielen Vorschriften und Genehmigungen. Ein Beispiel aus Hamburg.

von Anina Pommerenke und Marvin Weber

Neun Jahre lang hat Sebastian Schleicher zusammen mit seinen Kolleginnen und Kollegen von der Buchdrucker Baugenossenschaft für die Baugenehmigung eines Projekts im Hamburger Stadtteil Lokstedt gekämpft. In diesem Herbst sollen in die 88 Wohnungen am Rimbertweg die neuen Mieter einziehen können. Das Bauvorhaben im Bezirk Eimsbüttel entsteht zusammen mit der Hamburger Lehrer-Baugenossenschaft. Um den Wohnungsbau wieder anzukurbeln, will die Bundesregierung nun auf weniger Vorschriften setzen, wie Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) beim Wohnungsbau-Tag am Donnerstag in Berlin versprach.

Geplante Nachverdichtung wird zu Langzeitprojekt

Sebastian Schleicher, kaufmännischer Vorstand der Buchdrucker Baugenossenschaft, steht vor einem Wohnungsneubau in Hamburg. Er trägt einen grünen Helm. © NDR / Anina Pommerenke Foto: Anina Pommerenke
Neun Jahre hat lang hat Sebastian Schleicher von der Buchdrucker Baugenossenschaft für die Baugenehmigung im Hamburger Stadtteil Lokstedt gekämpft.

Die Mitarbeiter der Buchdrucker Baugenossenschaft sind trotz des langjährigen Verfahrens bis zur finalen Baugenehmigung des Projekts in Lokstedt am Ball geblieben. "Wir sind 2014 gestartet und haben hier mit dem Baudezernenten des Bezirks eine Baubegehung gemacht. Und dieser konnte sich vorstellen, dass wir hier eine vereinfachte Genehmigung nach Paragraf 34 des Baugesetzbuches erhalten - da gab es dann kurze Zeit später rechtliche Bedenken. Das führte dann dazu, dass ein vorhabenbezogener Bebauungsplan notwendig wurde und ein Architekten-Wettbewerb", berichtet Schleicher, kaufmännisches Vorstandsmitglied der Baugenossenschaft.

Die geplante Nachverdichtung auf den Flächen der Genossenschaft, auf denen bereits ein Mehrfamilienhaus aus den 1960er-Jahren mit 45 Wohnungen steht, wird aufgrund des nun benötigten vorhabenbezogenen Bebauungsplans und des Architekten-Wettbewerbs deutlich teurer und zeitintensiver als geplant. Hinzu kommen die Explosion der Baukosten und gestiegene Zinsen. Für die neuen Wohnungen kalkuliert die Hamburger Baugenossenschaft daher nun mit deutlich höheren Mietpreisen als bei anderen Objekten im Quartier. Die geplante Nettokaltmiete am Rimbertweg beträgt 17 Euro pro Quadratmeter - sechs Euro mehr als bei anderen Objekten in der Nähe, die schneller fertiggestellt worden sind.

Weitere Informationen
Bauarbeiter arbeiten auf einer Baustelle. © picture alliance / Sven Simon Foto: Frank Hoermann/SVEN SIMON
8 Min

Wohnungsbautag: Branchen zwischen Bürokratie und hohen Kosten

Laut Experten fehlen in Deutschland 800.000 Wohnungen. Der Wohnungsbautag in Berlin steht unter dem Motto "Worauf wartet Deutschland?" 8 Min

Mehr Vorschriften ziehen Antragsverfahren in die Länge

Dass es von ersten Bauskizzen bis zum Spatenstich einige Jahre dauern kann, sei kein Einzelfall, bestätigt Andreas Breitner, Direktor des Verbands der norddeutschen Wohnungsunternehmen (VNW) gegenüber dem NDR. Breitner kritisiert vor allem die zunehmende Bürokratie: "Es ist wahnsinnig komplex geworden: Früher haben Sie einen Bauantrag vierfach ausgedruckt und an vier Stellen geschickt, heute an 40." Das liege auch daran, dass es heutzutage deutlich mehr Vorschriften und Standards gebe, wie beispielsweise den Lärm- und Schallschutz oder energetische Details der Neubauten.

Das zuständige Bezirksamt Eimsbüttel verweist darauf, dass der Bezirk die von der Stadt geforderte Zahl an Baugenehmigungen seit Beginn der Vereinbarung 2011 jedes Jahr erfülle oder sogar mehr neue Wohnungen genehmigt habe. "Ein Baugenehmigungsverfahren ist aufgrund der vergleichsweise vielen Rechtsvorschriften ein komplexes Verfahren. Als Bezirksämter, die geltendes Recht und Vorschriften umsetzen müssen, haben wir hier kaum eigene Spielräume zur Beschleunigung", heißt es auf Anfrage des NDR.

Weitere Informationen
Bauarbeiter stehen im Neubaugebiet Kronsrode beim Bau eines Mehrfamilienhauses. © picture alliance/dpa | Melissa Erichsen Foto: Melissa Erichsen

Günstiger Bauen in Hamburg: SAGA entwickelt Effizienzhaus

Das städtische Wohnungsbauunternehmen hat einen Neubau entwickelt, der bezahlbare Mieten in Hamburg möglich machen soll. mehr

Bundesregierung setzt auf Bürokratie-Abbau

Bundesweit fehlen dem Verbändebündnis Wohnungsbau zufolge 800.000 Wohnungen. Die Bundesregierung werde auch in diesem Jahr ihr Ziel von 400.000 neuen Wohnungen pro Jahr verfehlen, kritisiert das Bündnis, dem der Deutsche Mieterbund, die IG Bauen-Agrar-Umwelt, die Wohnungswirtschaft und Verbände der Bauindustrie angehören.

Um den Wohnungsbau in Deutschland wieder anzukurbeln, setzt die Bundesregierung vor allem auf Bürokratie-Abbau und eine Absenkung der Baustandards, wie Bauministerin Geywitz (SPD) am Wohnungsbau-Tag erklärte. Neue Subventionen für die Wohnungswirtschaft, wie vom Bündnis Wohnungsbau gefordert, lehnte Geywitz hingegen ab. "Mit einer Dauersubvention in allen Bereichen wird es nicht gehen."

Geywitz erklärte, ein neuer Gebäudetyp mit reduzierten Vorschriften sei bereits in Arbeit. Viele Vorschriften seien nicht notwendig, "um ein gutes und um ein sicheres Haus zu bauen". So sei es zum Beispiel nicht sinnvoll, im sozialen Wohnungsbau Tiefgaragen zu verlangen, obwohl man wisse, "dass die dann wahrscheinlich halb leerstehen". Auch serieller und modularer Bau könne die Kosten senken.

Großteil der neuen Wohnungen bereits vermietet

Sebastian Schleicher und Mitarbeiter der Baufirma schauen auf einen Bauplan. © NDR / Anina Pommerenke Foto: Anina Pommerenke
Die Wohnungen im Hamburger Stadtteil Lokstedt sollen bis zum Herbst fertig sein. Ein Großteil ist bereits vermietet.

Sebastian Schleicher von der Buchdrucker Baugenossenschaft wünscht sich, dass gerade die Genossenschaften, die sich für bezahlbaren Wohnungsraum einsetzen und die Objekte auch langfristig betreuen, mehr als Partner der Stadt wahrgenommen würden. Behandelt werde man aber genauso wie kommerzielle Investoren. "Man braucht viel Geduld und Durchhaltevermögen. Und man darf nicht vergessen, dass wir hier die Stimme für diejenigen im Quartier sind, die keine Wohnung haben, aber dringend eine suchen. Deren Familienplanung Kinder vorsieht und die vielleicht deshalb eine größere Wohnung brauchen. Oder wo die Kinder ausziehen wollen und ihre erste eigene Wohnung haben - an die Menschen haben wir hier gedacht und es deswegen das Projekt immer weiter verfolgt", sagt Schleicher.

Der Bedarf an neuen Wohnquartieren ist jedenfalls groß. Ein Großteil der Wohnungen in Lokstedt ist jetzt - ein halbes Jahr vor der Schlüsselübergabe - schon vermietet. 

Weitere Informationen
An einem Feld stehen moderne Einfamilienhäuser. © imago images / Panama Pictures Foto: Panama Pictures

Viel Leerstand: Wie Senioren den Wohnraummangel lindern können

Auch in Niedersachsen wird diskutiert, wie mehr Wohnungen entstehen können - dabei gibt es viel ungenutztes Potenzial. mehr

Ein Kran steht auf einer Baustelle. © picture alliance/dpa Foto: Daniel Bockwoldt

Wohnungsbau: Hamburg will Bauordnung vereinfachen

Um den Wohnungsbau aus der Krise zu holen, soll günstiger gebaut werden können. Im Stadtentwicklungsausschuss ging es um geeignete Maßnahmen. mehr

Ein Bauarbeiter nimmt auf einer Baustelle einen Balken entgegen. (Symbolfoto) © picture alliance / Sven Simon Foto: Frank Hoermann/SVEN SIMON

Dramatischer Einbruch beim privaten Wohnungsbau in Hamburg

Im vergangenen Jahr ging der Neubau durch die freien Wohnungsunternehmen im Verband BFW Nord in Hamburg um 85 Prozent zurück. mehr

Mehrfamilienhäuser werden im Neubaugebiet Kronsrode gebaut. © picture alliance/dpa Foto: Julian Stratenschulte

Sozialwohnungen in Niedersachsen: Bestand weiter zurückgegangen

2023 sank die Zahl um rund 1.400. Laut Bauministerium soll sich der Trend in den kommenden Jahren aber umkehren. mehr

Ein Wohngebäude im Bau vor blauem Himmel. © Imago Images / Müller-Stauffenberg Foto: Müller-Stauffenberg

Wohnungsbau: Krise im Norden spitzt sich dramatisch zu

Die Branche spricht von starken Einbrüchen. Dazu kommt jetzt noch ein Förderstopp für den Sozialen Wohnungsbau in SH. mehr

Ein eingerüsteter Rohbau © Screenshot
1 Min

Bauverband MV sieht pessimistisch in die Zukunft

Das geht aus einer Bilanz hervor. So ist die Zahl der neu gebauten Wohnungen um ein Drittel zurückgegangen. 1 Min

Dieses Thema im Programm:

NDR Info | NDR Info | 11.04.2024 | 16:00 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Wohnungsmarkt

Ein Smartphone mit einem eingeblendeten NDR Screenshot (Montage) © Colourbox Foto: Blackzheep

NDR Info auf WhatsApp - wie abonniere ich die norddeutschen News?

Informieren Sie sich auf dem WhatsApp-Kanal von NDR Info über die wichtigsten Nachrichten und Dokus aus Norddeutschland. mehr

Eine Frau schaut auf einen Monitor mit dem Schriftzug "#NDRfragt" (Montage) © Colourbox

#NDRfragt - das Meinungsbarometer für den Norden

Wir wollen wissen, was die Menschen in Norddeutschland bewegt. Registrieren Sie sich jetzt für das Dialog- und Umfrageportal des NDR! mehr

Mehr Nachrichten

Zwei Hände in Handschellen vor einem Polizeiwagen. © Fotostand Foto: K. Schmitt

Geplanter Anschlag: 17-Jähriger aus Elmshorn wollte "ins Paradies"

Im Kieler Landtag sind Details des Falls erörtert worden. Der Jugendliche soll einen Terroranschlag im Dezember oder Januar geplant haben. mehr

Eine Hand hält ein Smartphone mit dem News-Spiel "NDR Wohn-O-Mat" vor einer norddeutschen Landschaft mit Schafen und Leuchtturm © Fotolia, PantherMedia Foto: JFL Photography, Peopleimages

NDR Wohn-O-Mat: Welcher Wohnort im Norden passt zu dir?