Wohnungsbau: Wie Bürokratie Genossenschaften ausbremst
Bezahlbarer Wohnraum wird in Deutschland immer mehr zur Mangelware. Damit sich die Lage auf dem Wohnungsmarkt entspannt, bräuchte es hunderttausende neue Wohnungen. Doch eine schnelle Umsetzung von Neubau-Projekten scheitert oftmals an vielen Vorschriften und Genehmigungen. Ein Beispiel aus Hamburg.
Neun Jahre lang hat Sebastian Schleicher zusammen mit seinen Kolleginnen und Kollegen von der Buchdrucker Baugenossenschaft für die Baugenehmigung eines Projekts im Hamburger Stadtteil Lokstedt gekämpft. In diesem Herbst sollen in die 88 Wohnungen am Rimbertweg die neuen Mieter einziehen können. Das Bauvorhaben im Bezirk Eimsbüttel entsteht zusammen mit der Hamburger Lehrer-Baugenossenschaft. Um den Wohnungsbau wieder anzukurbeln, will die Bundesregierung nun auf weniger Vorschriften setzen, wie Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) beim Wohnungsbau-Tag am Donnerstag in Berlin versprach.
Geplante Nachverdichtung wird zu Langzeitprojekt
Die Mitarbeiter der Buchdrucker Baugenossenschaft sind trotz des langjährigen Verfahrens bis zur finalen Baugenehmigung des Projekts in Lokstedt am Ball geblieben. "Wir sind 2014 gestartet und haben hier mit dem Baudezernenten des Bezirks eine Baubegehung gemacht. Und dieser konnte sich vorstellen, dass wir hier eine vereinfachte Genehmigung nach Paragraf 34 des Baugesetzbuches erhalten - da gab es dann kurze Zeit später rechtliche Bedenken. Das führte dann dazu, dass ein vorhabenbezogener Bebauungsplan notwendig wurde und ein Architekten-Wettbewerb", berichtet Schleicher, kaufmännisches Vorstandsmitglied der Baugenossenschaft.
Die geplante Nachverdichtung auf den Flächen der Genossenschaft, auf denen bereits ein Mehrfamilienhaus aus den 1960er-Jahren mit 45 Wohnungen steht, wird aufgrund des nun benötigten vorhabenbezogenen Bebauungsplans und des Architekten-Wettbewerbs deutlich teurer und zeitintensiver als geplant. Hinzu kommen die Explosion der Baukosten und gestiegene Zinsen. Für die neuen Wohnungen kalkuliert die Hamburger Baugenossenschaft daher nun mit deutlich höheren Mietpreisen als bei anderen Objekten im Quartier. Die geplante Nettokaltmiete am Rimbertweg beträgt 17 Euro pro Quadratmeter - sechs Euro mehr als bei anderen Objekten in der Nähe, die schneller fertiggestellt worden sind.
Mehr Vorschriften ziehen Antragsverfahren in die Länge
Dass es von ersten Bauskizzen bis zum Spatenstich einige Jahre dauern kann, sei kein Einzelfall, bestätigt Andreas Breitner, Direktor des Verbands der norddeutschen Wohnungsunternehmen (VNW) gegenüber dem NDR. Breitner kritisiert vor allem die zunehmende Bürokratie: "Es ist wahnsinnig komplex geworden: Früher haben Sie einen Bauantrag vierfach ausgedruckt und an vier Stellen geschickt, heute an 40." Das liege auch daran, dass es heutzutage deutlich mehr Vorschriften und Standards gebe, wie beispielsweise den Lärm- und Schallschutz oder energetische Details der Neubauten.
Das zuständige Bezirksamt Eimsbüttel verweist darauf, dass der Bezirk die von der Stadt geforderte Zahl an Baugenehmigungen seit Beginn der Vereinbarung 2011 jedes Jahr erfülle oder sogar mehr neue Wohnungen genehmigt habe. "Ein Baugenehmigungsverfahren ist aufgrund der vergleichsweise vielen Rechtsvorschriften ein komplexes Verfahren. Als Bezirksämter, die geltendes Recht und Vorschriften umsetzen müssen, haben wir hier kaum eigene Spielräume zur Beschleunigung", heißt es auf Anfrage des NDR.
Bundesregierung setzt auf Bürokratie-Abbau
Bundesweit fehlen dem Verbändebündnis Wohnungsbau zufolge 800.000 Wohnungen. Die Bundesregierung werde auch in diesem Jahr ihr Ziel von 400.000 neuen Wohnungen pro Jahr verfehlen, kritisiert das Bündnis, dem der Deutsche Mieterbund, die IG Bauen-Agrar-Umwelt, die Wohnungswirtschaft und Verbände der Bauindustrie angehören.
Um den Wohnungsbau in Deutschland wieder anzukurbeln, setzt die Bundesregierung vor allem auf Bürokratie-Abbau und eine Absenkung der Baustandards, wie Bauministerin Geywitz (SPD) am Wohnungsbau-Tag erklärte. Neue Subventionen für die Wohnungswirtschaft, wie vom Bündnis Wohnungsbau gefordert, lehnte Geywitz hingegen ab. "Mit einer Dauersubvention in allen Bereichen wird es nicht gehen."
Geywitz erklärte, ein neuer Gebäudetyp mit reduzierten Vorschriften sei bereits in Arbeit. Viele Vorschriften seien nicht notwendig, "um ein gutes und um ein sicheres Haus zu bauen". So sei es zum Beispiel nicht sinnvoll, im sozialen Wohnungsbau Tiefgaragen zu verlangen, obwohl man wisse, "dass die dann wahrscheinlich halb leerstehen". Auch serieller und modularer Bau könne die Kosten senken.
Großteil der neuen Wohnungen bereits vermietet
Sebastian Schleicher von der Buchdrucker Baugenossenschaft wünscht sich, dass gerade die Genossenschaften, die sich für bezahlbaren Wohnungsraum einsetzen und die Objekte auch langfristig betreuen, mehr als Partner der Stadt wahrgenommen würden. Behandelt werde man aber genauso wie kommerzielle Investoren. "Man braucht viel Geduld und Durchhaltevermögen. Und man darf nicht vergessen, dass wir hier die Stimme für diejenigen im Quartier sind, die keine Wohnung haben, aber dringend eine suchen. Deren Familienplanung Kinder vorsieht und die vielleicht deshalb eine größere Wohnung brauchen. Oder wo die Kinder ausziehen wollen und ihre erste eigene Wohnung haben - an die Menschen haben wir hier gedacht und es deswegen das Projekt immer weiter verfolgt", sagt Schleicher.
Der Bedarf an neuen Wohnquartieren ist jedenfalls groß. Ein Großteil der Wohnungen in Lokstedt ist jetzt - ein halbes Jahr vor der Schlüsselübergabe - schon vermietet.