Wie ein nordfriesisches Dorf die Verkehrswende angeht
Wie kann auf dem Land der Umstieg auf einen klimaschonenden Verkehr gelingen? In Gegenden, in denen keine U-Bahn fährt und nur selten ein Bus. In der neuen Folge des NDR Info Podcasts "Mission Klima - Lösungen für die Krise" geht es darum, wie ein kleiner Ort in Schleswig-Holstein mit gutem Beispiel vorangeht.
In Klixbüll im Kreis Nordfriesland tut sich etwas. In dem Ort mit rund 1.000 Einwohnern setzt der Bürgermeister auf Lösungen, die in die Zukunft weisen sollen. Eine Zukunft mit klimaschonendem Verkehr. Ein Puzzle-Teil ist das sogenannte Dörpsmobil: ein Elektro-Carsharing, speziell für das Land entwickelt. Die Ausgangssituation in Klixbüll ist typisch für viele Dörfer in Norddeutschland: Im Ort hält sich kein Kaufladen, kein Arzt, kein Friseur. Die Bewohner müssen für ihre Erledigungen in die nächstgelegenen größeren Orte wie Niebüll fahren. Kein Wunder, dass die meisten mindestens ein Auto haben.
Wie bringt man die Leute dazu, aufs eigene Auto zu verzichten?
Für die Verkehrswende in Deutschland wird aber entscheidend sein, dass viele auf das eigene Auto verzichten. Gerade auf dem Land ist das eine große Herausforderung, wie zwei Statistiken verdeutlichen: In der Stadt leben immerhin mehr als 30 Prozent der Menschen ohne Auto - auf dem Land sind es gerade mal fünf Prozent. Und in der Stadt fährt jeder Zweite mindestens einmal pro Woche mit Bus und Bahn - auf dem Land macht das nur jeder Zwölfte.
Das Dörpsmobil will nun eine Alternative zum eigenen Auto sein. "Dörp" ist Plattdeutsch und heißt Dorf. Ein Dörpsmobil ist ein E-Auto, das im Dorf gemeinschaftlich genutzt wird. Geladen werden die Wagen mit grünem Strom. Seit 2016 gibt es das Dörpsmobil in Klixbüll. Der schlaue Kopf dahinter: Werner Schweizer - ein Vorreiter für klimaschonenden Verkehr. Er ist seit 2013 Bürgermeister im Ort und sagt: "Mich macht zufrieden, wenn Dinge entstehen, die positiv in die Zukunft wirken. Dann bekomme ich ein gutes Gefühl."
Anders als Carsharing in der Großstadt
So ein Modell für die Zukunft ist eben das Dörpsmobil. Es unterscheidet sich bewusst von Carsharing-Modellen in Großstädten. Anders als etwa in einer Metropole wie Hamburg kann man das entliehene Auto nicht auf einem x-beliebigen öffentlichen Parkplatz abstellen. "In Klixbüll hat das Auto einen festen Standort. Um es nutzen zu können, musst du erstmal Mitglied in einem Verein werden." Fünf Euro sind dafür im Monat fällig. Die Fahrten an sich sind mit 3,50 Euro pro Stunde sehr günstig - und die Ausleihe funktioniert wie in Großstädten über eine App.
Auch eine 96-Jährige macht mit
Kommt das Dörpsmobil gut an? "Wir haben hier inzwischen Familien, die haben selber kein eigenes Auto mehr. Die kommen und nutzen es einmal in der Woche für ihren großen Einkauf", berichtet der Bürgermeister. "Unser ältestes Mitglied ist eine 96 Jahre alte Dame, sie fährt zwar selbst nicht mehr. Aber wenn die Verwandten aus Hamburg oder München zu Besuch sind, machen sie mit einem Dörpsmobil ihre Ausflüge."
Insgesamt gibt es zehn Ladesäulen für E-Autos im Ort. Das ist sehr komfortabel für so ein kleines Dorf. Das System des Dörpsmobils ist mit relativ wenig Aufwand zu betreiben - und die Kosten sind überschaubar. Deshalb hat es sich von Klixbüll aus auch stark weiterverbreitet: Mittlerweile gibt es an 30 Standorten in Schleswig-Holstein Dörpsmobile.
Der Rufbus mit Dieselmotor ist nicht gefragt
Das Dörpsmobil schlägt in seiner Beliebtheit auch eindeutig den Rufbus, der vielerorts auf dem Land als Alternative zum eigenen Auto eingeführt worden ist. Die Rufbusse fahren nicht nach einem festen Fahrplan, sondern auf Vorbestellung. Eingestiegen wird an fixen Rufbus-Haltestellen. Klixbülls Bürgermeister ist von diesem Modell nicht überzeugt. "Der Rufbus wird bei uns kaum genutzt", erzählt Schweizer. "Bei meiner letzten Rot-Kreuz-Versammlung habe ich gefragt: Wer kennt den Rufbus? Da gingen alle Hände hoch. Zweite Frage: Wer hat ihn schon mal genutzt? Noch keiner!" Dies liegt nach Ansicht des Bürgermeisters daran, dass sich das Rufbus-System nicht per App nutzen lässt und dass es die Leute nicht von Haustür zu Haustür bringt. "Gerade für Ältere ist das oft eine Hürde zu viel", meint der Bürgermeister.
Bald noch ein Auto mit Anhängerkupplung im Angebot
"Meine Idee wäre, dass die nicht angenommenen Rufbusse hier im nördlichen Nordfriesland ersetzt werden durch ein Dörpsmobil-System - natürlich auch mit innovativer Buchungsautomatik per App", so Schweizer. Hinzu kommt: Die Rufbusse seien noch herkömmliche Dieselbusse. "Es passt alles nicht mehr in die Zeit und kostet uns trotzdem zwei Millionen Euro pro Jahr."
Kurzfristig will der Bürgermeister das Dörpsmobil mit weiteren Fahrzeug-Typen attraktiver machen: etwa mit einem Transporter, einem Kleinbus oder einem Auto mit Anhängerkupplung - also mit Fahrzeugen, die die wenigsten zu Hause haben. Dieses Angebot könnte ein Anreiz für möglichst viele Menschen im Dorf sein, zumindest den Zweitwagen abzuschaffen.
"Dann ist es der Schritt in die richtige Richtung"
Für Fahrten zur Schule brauchen die Familien in und um Klixbüll zumindest kein Auto. Dafür ist der Schulbus da. Jedes Kind, das mehr als zwei Kilometer von der Schule entfernt lebt, hat einen Anspruch darauf, zur Schule gebracht zu werden. In Klixbüll betrifft das momentan 24 Kinder, die in den Nachbarorten wohnen. Der Schulbus fährt mittlerweile elektrisch, mit Ökostrom aus der Region. Schulbusfahrer Maik Nielsen lobt die Verkehrswende in Klixbüll: "Das Klima zu retten, das kriegt niemand allein hin. Aber wenn viele diese Schritte machen, die wir jetzt machen, ist es auf jeden Fall der Schritt in die richtige Richtung."
Und hinten kommt reines Wasser raus
Für die Bewohner von Klixbüll gibt es eine weitere klimaschonende Alternative zum Auto. "Klixbüll hat das Glück, dass wir an der B199 liegen. Und damit sind wir an den Schnellbus Niebüll-Flensburg angebunden, der in der Regel jede Stunde fährt", sagt Bürgermeister Schweizer. "Da sind wir also sehr viel besser dran als viele Ortschaften nördlich und südlich dieser Bundesstraße."
Seit eineinhalb Jahren sind auf der Strecke zwei Wasserstoff-Busse im Einsatz. Sie nutzen die reichlich vorhandene Windenergie in der Region, allerdings indirekt: Sie tanken den vor Ort hergestellten grünen Wasserstoff. "Hinten am Bus kann man sehen, wie das Wasser austritt", sagt Bernd Arens vom Unternehmen Autokraft, das die ÖPNV-Linien im Kreis Nordfriesland bedient. "Für einige Mitmenschen ist das sehr irritierend. Die denken: Oh, der Bus leckt. Ist das Öl? Nein, es ist reines Wasser."
Die Reichweite der Wasserstoff-Busse beträgt 500 bis 600 Kilometer. "Ursprünglich waren nur 400 Kilometer angedacht. Wir sind also von der großen Reichweite angenehm überrascht", sagt Arens. Ein weiterer Pluspunkt: Die Wasserstoff-Busse lassen sich schnell auftanken - schneller, als man einen Elektrobus laden könnte.
Klimaschutz in Deutschland: Sorgenkind Verkehr
Klar ist: Die Verkehrswende muss auch auf dem Land gelingen, nicht nur in den Städten. Denn bislang ist der Verkehr eines der größten Problemfelder beim Klimaschutz in Deutschland: 20 Prozent der Treibhausgase gehen auf das Konto des Verkehrs. Der allergrößte Teil davon entsteht im Straßenverkehr. Ein aktuelles Gutachten des Expertenrats für Klimafragen - der die Einhaltung der Klimaziele überwacht - zeigt die ganze Dramatik: Will die Bundesregierung ihre eigenen Ziele für den Verkehr bis 2030 noch erreichen, müsste sich das Tempo beim Klimaschutz um den Faktor 14 steigern.
"Wie wollen wir das bis 2030 noch hinkriegen?"
Der Verkehrsforscherin Meike Jipp reichen die bisherigen Anstrengungen für eine Verkehrswende längst nicht aus. "Ich bin da sehr besorgt, weil es letztendlich ja so ist, dass wir bis 2030 auf ungefähr 50 Prozent der Treibhausgas-Emissionen von 1990 zurückgehen müssen. Und wenn ich mir angucke, dass sich seit 1990 sehr wenig getan hat bei diesen Zahlen, dann frage ich mich schon: Wie wollen wir das eigentlich bis 2030 noch hinkriegen?"
Jipp leitet das Institut für Verkehrsforschung im Deutschen Institut für Luft- und Raumfahrt. Seit Sommer 2022 ist die Professorin außerdem Co-Vorsitzende eines Experten-Gremiums, das das Bundesverkehrsministerium in Klimafragen berät.
Forscherin: Bestrafung führt zu schneller Verhaltensänderung
Jipp sagt in der jüngsten Folge des Podcasts "Mission Klima - Lösungen für die Krise": E-Autos, Fahrräder, Carsharing, Rufbusse und ein attraktiver öffentlicher Nahverkehr seien wichtig. Aber zusätzlich seien Maßnahmen notwendig, die klimaschädliches Verhalten bestrafen. "Man kann Verhaltensänderungen provozieren durch positive Anreize. Das Problem mit den positiven Anreizen ist, dass sie lange dauern, bis sie wirken. Und wir haben leider nicht mehr ganz so viel Zeit. Die andere Variante ist, ein nicht gewünschtes Verhalten zu sanktionieren. Ich sage als Psychologin immer gern: Bestrafung - um dieses böse Wort zu benutzen - führt zu einer sehr schnellen Verhaltensänderung." Gemeint sind zum Beispiel höhere Preise auf Benzin und Diesel oder höhere Steuern für Verbrennerautos. Oder: in Städten den Platz für Autos zu begrenzen, um Platz für Radfahrer zu schaffen.
Die Verkehrsexpertin geht davon aus: Wenn zur Bestrafung noch die positiven Ansätze wie in Klixbüll hinzukommen - mit Dörpsmobil und umweltfreundlichen Bussen -, dann könne Tempo reinkommen in die erforderliche Verkehrswende.