Klimakiller Plastik: Die Lüge vom Recycling
Plastik verursacht große Mengen an Treibhausgasen. Die Industrie verspricht aber, bis 2050 klimaneutral zu werden - und setzt dabei auf neue Recyclingverfahren. Doch die werden das Problem nicht lösen.
Der Rhein führt derzeit mal wieder wenig Wasser, die Schifffahrt ist eingeschränkt. Ein Problem, das durch den Klimawandel häufiger wird. Und es ist auch ein Problem für den größten Chemiekonzern der Welt: BASF. Denn an seinem Standort in Ludwigshafen ist das Unternehmen auf Schiffstransporte angewiesen. Sie bringen die nötigen Rohstoffe, auch jährlich Hunderttausende Tonnen Öl.
In den BASF-Anlagen wird das Öl in sogenannten Steamcrackern aufgespalten und in Chemikalien verwandelt. Ein großer Teil davon wird später zu Kunststoffen für Autos, Haushaltsgeräte, Lebensmittelverpackungen, Jacken oder Turnschuhe.
Plastik ist doppelt klimaschädlich

All diese Produkte verschärfen wiederum die Klimakrise. Denn das Plastik wird nicht nur aus klimaschädlichem Erdöl hergestellt, sondern es ist dafür auch viel Energie nötig - für die Förderung des Öls, die Aufbereitung in Raffinerien und die weitere Verarbeitung. Die Energie stammt größtenteils aus dem Verbrennen von Erdgas.
Plastik verursacht so etwa zwei Milliarden Tonnen CO2 pro Jahr. Damit ist es für rund fünf Prozent aller Treibhausgas-Emissionen weltweit verantwortlich - etwa doppelt so viel wie der globale Flugverkehr.
Plastikhersteller BASF bestreitet das nicht. Das Unternehmen betont immer wieder, dass es das Problem angehe. Bis 2050 will der Konzern klimaneutral werden, mehr Strom aus erneuerbaren Quellen nutzen und das Erdöl durch mehr alternative Rohstoffe ersetzen. Kunststoffe können etwa auch aus nachwachsenden Rohstoffen wie Mais hergestellt werden. Noch aber macht Plastik aus Biomasse nur etwa ein Prozent der Gesamtmenge aus. Eine deutliche Steigerung ist schwierig, denn der Anbau konkurriert auch mit Nahrungsmitteln.
BASF hofft auf chemisches Recycling
Eine weitere Möglichkeit ist das Recycling. Bislang aber wird nur wenig Plastik aus recyceltem Kunststoff hergestellt. In Deutschland sind es derzeit etwa 15 Prozent. Denn das klassische, mechanische Verfahren - Plastik zu schreddern, zu schmelzen und wieder für neue Produkte zu nutzen - funktioniert nur, wenn der Abfall möglichst sauber und sortenrein getrennt ist.
BASF setzt deshalb insbesondere auf ein anderes Verfahren, das sogenannte chemische Recycling. Es soll dabei helfen, mehr Plastik im Kreislauf zu halten. Das chemische Recycling ist laut BASF "ein wichtiger Pfeiler" für das Ziel der Klimaneutralität. Die Idee dahinter: Alter Kunststoff wird wieder in sein Ausgangsmaterial zerlegt, etwa mithilfe von großer Hitze. So kann aus Plastik wieder Öl werden.
Verfahren funktioniert für Altreifen

Tatsächlich ist die Idee nicht neu, seit Jahrzehnten wird an solchen Verfahren geforscht. Doch bislang gibt es weltweit nur sehr wenige chemische Recycling-Anlagen. Eine wird von dem Unternehmen Pyrum in Dillingen an der Saar betrieben. Auch BASF ist daran beteiligt.
Die Anlage verarbeitet alte Autoreifen und verwandelt das Gummi zurück in Öl und gewinnt andere Bestandteile wie Ruß zurück. Dafür werden die Reifen sortiert, zu Granulat geschreddert und dann in einem luftdichten Reaktor auf über 600 Grad erhitzt. "Dabei entsteht dann ein dicker, schwerer, gelber Dampf, und dieser Dampf ist eine Mischung aus Öl und Gas", erklärt Gründer und Geschäftsführer Pascal Klein. Der Dampf wird abgesaugt und gekühlt - so entsteht am Ende Öl, aus dem wieder neues Plastik werden kann.
Mit alten Reifen funktioniert das Verfahren. Wirtschaftlich soll es sich laut dem Firmenchef vor allem wegen des Rußes rechnen, der als Grundstoff in der Industrie verwendet wird, unter anderem, um neue Reifen herzustellen.
Anteil recycelter Rohstoffe bei BASF verschwindend gering

Das Öl liefert Pyrum an BASF. Viel ist es allerdings nicht im Verhältnis zu dem, was der Konzern insgesamt verbraucht. Laut Geschäftsbericht hat BASF 2024 weltweit von verschiedenen Lieferanten gerade mal 11.300 Tonnen recycelte Rohstoffe bekommen - also etwa Öl aus Altreifen. Insgesamt entsprach das 0,04 Prozent des gesamten Verbrauchs. Für 2025 hatte BASF noch kürzlich das Ziel von 250.000 Tonnen formuliert. Das Unternehmen hält aber an seinem langfristigen Ziel fest.
Auf Anfrage des NDR teilte BASF mit, man bleibe "trotz einiger Herausforderungen entschlossen, fossile durch recycelte Rohstoffe zu ersetzen". Chemisches Recycling könne die Gesamtrecyclingquoten erheblich steigern. Es gebe dafür ausreichend Technologien.
Chemisches Verfahren für Plastikabfall nicht geeignet
Allerdings sagen viele Experten etwas anderes. Es sei technisch "kein Kinderspiel" gewesen, soweit zu kommen, wie sie jetzt seien, sagt etwa Pyrum-Chef Pascal Klein. 15 Jahre hätten sie gebraucht - dabei ist der Prozess mit alten Reifen noch vergleichsweise einfach. Denn da sei die Grundmischung "immer grob die gleiche", erklärt Klein. Bei einem Mix verschiedener Kunststoffe, wie sie normalerweise in Abfällen sind, sei das viel schwieriger. "Mir ist die Mischkunststoffgeschichte zu heiß", sagt Klein. Als Unternehmer würde er sich da nicht dran trauen. "Wir haben es im Labor ausprobiert, aber wir haben auch viel kaputt gemacht im Labor."
Kerstin Kuchta, Umweltschutz-Ingenieurin an der TU Hamburg, hält chemisches Recycling für technisch nicht ausgereift. Produkte aus verschiedenen Kunststoffsorten und gemischter Abfall ließen sich damit nicht in größerem Umfang recyceln, sagt Kuchta, die seit Jahrzehnten zu Kunststoffen forscht. Denn die Abfälle seien meist nicht nur gemischt, sondern auch verschmutzt und feucht, während die chemischen Reaktionen sehr sensibel auf Veränderungen reagierten. "Damit ist es großtechnisch sehr, sehr schwierig zu realisieren. Tatsächlich so schwierig, dass wir es noch nicht hinbekommen haben", sagt Kuchta. Deshalb gebe es bisher auch kaum chemische Recycling-Anlagen. "Insofern ist es keine realistische Lösung für unser Problem, was wir jetzt haben und unser Klimaproblem, was wir bis 2050 gelöst haben müssen."
Zielmarke für chemisch recyceltes Plastik meilenweit verfehlt

Eine umfassende Recherche des NDR zur Marktsituation zeigt, dass die Branche ihre Ziele schon jetzt weit verfehlt. Der Verband der Kunststoff-Industrie, Plastics Europe, hatte 2021 angekündigt, dass im Jahr 2025 in Europa bereits 1,2 Millionen Tonnen neue Kunststoffe durch chemisches Recycling produziert würden. Zwei Jahre später wurde das Ziel auf 900.000 Tonnen gesenkt. Aber auch davon ist die Branche weit entfernt. 2024 waren es laut den NDR Recherchen deutlich weniger als 100.000 Tonnen.
Die Geschäftsführerin von Plastics Europe Deutschland, Christine Bunte, räumt Probleme ein. Sie sehe, "dass die Entwicklung und auch die Hoffnungen, die man hatte, aktuell noch nicht erreicht wurden." Gründe dafür seien die Kosten für das Recycling und dass "oft kein Markt besteht", so Bunte. Es gebe also "noch ein Nachfrage-Defizit." Zudem habe man "technologisch noch Rückschritte erlebt".
"Es löst nicht unser Plastikproblem"
Auch der Ökonom Henning Wilts vom Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt und Energie sieht - neben den technischen Problemen - wirtschaftliche Gründe für den mangelnden Ausbau. Es werde weder genug in das chemische Recycling investiert, noch funktioniere es in der Breite. "Ich glaube jeder, der verspricht, dass chemisches Recycling unser Plastikproblem löst, verkennt, für welche kleinen Mengen das eigentlich sinnvoll ist und welche Investitionen dafür notwendig wären", sagt Wilts. "Für mich ist das ein kleiner Baustein, ein wichtiger Baustein, aber es löst nicht unser Plastikproblem."
Auch der Ausbau des klassischen, mechanischen Recyclings kommt nicht so schnell voran wie geplant. 2018 hatte die EU-Kommission eine "Circular Plastics Alliance" gestartet mit dem Ziel, im Jahr 2025 insgesamt 10 Millionen Tonnen recyceltes Plastik in der EU zu nutzen. Viele Unternehmen sagten zu, das zu unterstützen. Doch nach Recherchen des NDR ist sehr unsicher, ob das Ziel noch zu erreichen ist: 2022 lag die Marke bei weniger als 7 Millionen Tonnen. Und seit 2023 ist die Nachfrage nach recyceltem Plastik und damit auch dessen Produktion ins Stocken geraten, weil neues Plastik aus Erdöl billiger ist.
Klimaneutrales Plastik bis 2050 wohl unerreichbar
Klimaneutrales Plastik bis 2050 scheint also unerreichbar zu sein - und zwar aus einem weiteren, entscheidenden Grund. Der weltweite Plastikverbrauch steigt und steigt, vor allem in Schwellenländern. Wenn der Wohlstand steigt, nutzen Menschen mehr Plastik.
Auch BASF baut seine Produktionskapazitäten aus. In China investiert das Unternehmen gemeinsam mit dem staatlichen Ölkonzern Sinopec in ein gigantisches neues Werk. Hier sollen künftig jedes Jahr Millionen Tonnen Erdöl verarbeitet werden, für mehr neues Plastik. BASF glaubt dennoch, dass das Klimaziel zu erreichen sei - allerdings im Gegensatz zu vielen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. "Wenn wir jetzt mehr Kunststoff produzieren, wie wir es bisher tun, dann haben wir natürlich mehr Klima-Auswirkungen und werden nicht auf Klimaneutralität kommen", sagt etwa Ingenieurin Kuchta.
Noch deutlicher wird der Jurist Helmut Maurer. Er hat bis vor wenigen Jahren für die EU-Kommission gearbeitet, unter anderem an der Plastikregulierung. Das Versprechen der Branche, durch mehr Recycling klimaneutral zu werden, hält er für eine "Imagekampagne". "Es geht darum, den Menschen weiszumachen, dass chemisches Recycling ein Problem lösen kann, dass mechanisches Recycling noch nie lösen konnte, auch in Zukunft nicht lösen wird, und dass die Überproduktion von Plastik kein Problem darstellt", sagt Maurer. "Das war nicht wahr, ist nicht wahr und wird auch nie wahr werden."
Klage gegen ExxonMobil in Kalifornien

In den USA wird der Plastikhersteller und Ölgigant ExxonMobil nun sogar wegen falscher Versprechen verklagt. Der Generalstaatsanwalt von Kalifornien wirft dem Konzern eine Lüge vor: ExxonMobil täusche mit der Werbung für Recycling vor, dass das Plastikproblem damit zu lösen sei. Auf unsere Anfrage dazu antwortete Exxon nicht.
Der Plastikindustrie-Kenner Maurer hält es dagegen für zutreffend, dass die Öffentlichkeit getäuscht würde, auch in Europa. Das chemische Recycling diene "als Marketinginstrument, um die Bürger glauben zu machen, dass es einen Weg gäbe, um Kunststoffproduktion klimaneutral zu machen".
Branchenverband hält an 2050-Ziel fest
Dem widerspricht Christine Bunte von Plastics Europe. Der Verband habe seine "Strategie auch von Experten checken lassen, inwieweit die das für realistisch halten, dass wir mit den geplanten Maßnahmen bis zum Jahr 2050 klimaneutral werden. Und da kommen wir tatsächlich zu der Annahme, dass das für die europäische Produktion möglich ist."
Viele Experten sind anderer Auffassung. Maurer glaubt nicht an das Versprechen der Industrie: "Es gibt nur einen Weg", sagt er. "Wir müssen reduzieren. Wir müssen weniger Kunststoffe herstellen. Daran führt leider auch überhaupt kein Weg vorbei."
